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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 7
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JUGEND

Nr. 7

1901

Obgleich ich nicht Fräulein Gretchen hieß, nahm
ich voll Dankbarkeit den mir gereichten Arm. Ich
betrachtete verwirrt von der Seite nieinen Ritter. Es
war ein junger, sehr hübscher, sehr eleganter Mann,
mit einem lustigen Gesicht. Mich aus dem Gedränge
leitend, führte er mich an einen Tisch des Restau-
rants. Ein Kellner stürzte herbei und stellte zwei
Stühle, die ganz wohl an ihrem guten Platze stan-
den noch besser aus denselben Platz.

„Wie hübsch, Fräulein Gretchen," sagte der
Fremde, indem er mir noch immer zulachte, „das;
ich Sie hier getroffen habe. Zu Hause altes wohl?
die liebe Familie, und der Onkel und die Tante,
alles wohl in Dingsda?"

„Ich bin nicht Fräulein Gretchen," entgegnete
ich, ernsthaft und dumm. „Ich bin auch nicht aus
Dingsda. Sie müssen mich verwechseln, mit einem
andern Fräulein Gretchen —

Er lachte laut auf. Jur selben Augenblick aber
wurde er ernst. Vielleicht fühlte er, das; diese Art
der Maskensprache hier in der That nicht angebracht
>var. Er sah mich prüfend an. „Also wirklich?"
fragte er langsam. „Sic sind in der Thal mcht aus
Dingsda?!?" Er winkle dem Kellner und bestellte
Ehampagner. Noch während er dirOrdre gab, blickte er
unausgesetzt gespannt z» mir Ijin. „Ja, aber wie
kommen Sie hierher?" fragte er in einem gairz ver-
änderten Tone, indem er mir Handschuhe und Facher
abnahm, sich mir gegenüber setzte, und beides auf
den Knieen behielt. „Das ist kein P.rt für kleine
Damen Wer hat Sie hierher verschleppt i

-rg, erzählte mit wenigen Worten, und er sah
mich an mit einem Blick, als wolle er sagen: Lugt
sie oder lügt sie nicht? Instinktiv sühlte ich, daß er
schon bei manchem Maskenball gesessen, solchen er-
zählcndcii, jungen Damen vis-ä-vis, und den Rauch
seiner Cigarette skeptisch über ihre beteuernden Lebens

geschichtc» hingeblasen hatte-Da erblickte ich

Mama Rvsemann. Ich wußte, das; mit ihr meine
Ehrenretterin kam. Mit beiden Armen, erlöst und
befreit, winkte ich ihr enthusiastisch entgegen — —
Wir fasten nun schon über zwei Stunden so, herr-
lich zu Dreien. Noch immer lagen meine Handschuhe
uiid mein Fächer auf meines Ritters Knieen, und
zuweilen, im Eifer und in der Vergessenheit des Ge-
sprächs, strich er liebkosend darüber hin. Mama
Roseinnnn war ganz eingenommen von diesem jun-
gen Mann, der sich ihr nach Ueberreichung seiner
Visitenkarte als der Sohn eines der größten deut-
schen Eisenbahnbauindustriellen entpuppt hatte. Rach
und nach aber wurde sie müde, ihre faltigen Hände
strichen oft unnvthig und belanglos über das Tisch-
tuch hin, ei» Zeichen bei ihr, das; das Einnicken
drohte. Sie blinzelte noch ein wenig mit den Augen,
in das grelle Licht der elektrischen Lampen hinein,
in das Farbenspiel der Masken, dann sank ihr Kopf
ganz sanft an die Brüstung der Rische, in der wir
saßen. Sie schlummerte. Oder that sie nur uns den
Gefallen, die liebe, gütige, alte, weise Frau, zu thun,
als ob sie schlummerte?!?

Wir saßen ganz stumin, mein Ritter und ich-
Plötzlich sagte mein Cavalier, indem er seinen Stuhl
näher zu dem meinen schob, und mich mit seinen hüb-
schen Augen ernsthaft und durchdringend ansah: ^
„lind wann werden wir uns Wiedersehen? Bald?.
Morgen?? Uebermorgen?!"

Mir sielen alle nieine Sünden ein. Die Frage
weckte mich sozusagen aus einem langen Traum.

„Aber ich bin verlobt," — murmelte ich. „Wir
können uns niemals Wiedersehen. Im Juli hei-
rathe ich."

„Verlobt —?" fragte er. Nur dies eine Wort.
Er sah mich an, als sei ich aus einer andern Well
gefallen: als begriffe, verstehe er mich plötzlich nicht.
In seinen Augen lag wieder der Ausdruck von vor-
hin — dies Skeptische, sich und die Maskenlüge Ver-
spottende, der Triumph über sich, den Gefoppten,

und über die kleine, neunhundertneunundneunzigste

Schwindlerin. —

„Kommen Sie," sagte er heftig, indem er Hand-
schuh und Fächer auf den Tisch zurückwars, die er
so lange wie eine Art Schatz auf den Knieen gehal-
ten hatte. „Ihre alte Dame schläft. Wir tanzen

zum Schluß einmal." — Er führte mich fort durch's
Gedränge, ungestüm. Der Musikestrade gegenüber,
mitten im größten Gewühl legte er den Arm um
mich und riß mich in den Tanz.

Nie mehr in meinem Leben habe ich einen solchen
Walzer getanzt. Mein Tänzer hielt mich fest, dock,
ich fühlte, nicht fest genug, um nicht nachher für
immer zu entfliehen, nachdem er glaubte, daß ich
ihn gekränkt, gefoppt, hintergangen, verspottet und
betrogen habe. Dennoch hielt er mich fest, aus eine
Art, die nur die Jugend hat, die noch zehn Arnie
besitzt, die ihr eigenes Herz verlacht, und ihr eigene»
Herz doch wie einen Hammer gegen das Herz der
Geliebten pochen läßt.

Und mitten im Strudel, dort wo das Gewühl
am ärgsten war, wo die pompösen Dominos lachten
und kreischten, und die schmutzigen Tarlatanröckchen
gleich staubigen Wolken wirbelten, riß er mich a»
sich und küßte mich rasch und stürmisch, und mit
einer Art kalter, verachtender Gluth auf den Mund.
Dann, ehe ich noch sprechen, Athem holen, mich
wehren konnte, stand ich wieder bei Mama Rose-
mann. Fächer und Handschuh lagen auf dem Tisch,
auch der große Strauß Nelken den er gekauft. Doch
er selbst, unser stürmischer Maskenherr, war ver

schwnnden.-— — —--

Es ist so süß und traurig zugleich, an einem
Winterabend in einem kleine» stillen Salon zu sitzen,
beim rothen Schein einer Lampe, und auf die Fasch-
ingc des Lebens zurückzublicken. Ein paar große
staubige, verblaßte Flügel liegen neben mir. Sie
gehörten einst einer korallenrothen Taube. Mein
Gort, sie werden bald, in nicht zu vielen Jahre»,
meiner kleinen, blauäugigen Tochter gehören.

Aus dem lyrischen

TageöüS i>e§ Leutnants vonLechwih!

Der Malrerkönig

Wünschen ein Wort von mir über Strauß?
Schwarm für ihn ohne Zrenzen!

Himmlisch in „Zndigo," „Zledermaus,"
Tadellos aber in Tänzen!

Hoppst sich nach keinem Deibel so jut —
Mozart nich ausjeschloffen —

Walzer ihm nur so jelegen in Blut,

Neinweg aus Poren jeslossen!

Darin nich Liner an ihn heran!
Unheimlich fascinirend:

Braucht nur zwei Takle zu schlagen an
Tanzwuth sofort jrassirend;

Beinwerk von force majeure jepackt,

Ileich um in Himmel zu fliegen!
Herzschlag sojar in Walzertakt,

Iar nich mehr stille zu kriegen! —

Linjes jeerbt ja von Vater schon —
Hauptsond selber errungen!

So was wie erster Napoleon:

Königsthron sich erschwungen!

Dies auch unisono anerkannt —

Lebt nich, der das bestreitet —

Schumann ihn Tlaffiker jenannt,

Wagner ihn jradzu beneidet!

Mir auch erzählt, daß Brahms unter vier
Takte von Strauß jeschrieben
sAlbumblatt): „Leider nich von mir" . .
Wörtlich so! Nich übertrieben!!

Dabei bescheiden, nie arrogant,

Seele von Menschen jewesen,

„Immer vor Meistern mit Hut in Hand" -
So in „prochazka" zu lesen.

Ilückspilz, den keine Zeit verdrängt!

Wird ja — wohl außer Zrage —

Leben, so lange man Tanzbein

s chwenkt —

Also — bis jüngsten Tage!
Register
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz
Julius Diez: Mousseux Strauss
 
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