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Nr. 8

. JUGEND .

1901

zen Haare bis an die Nase herabhingen und der
noch bleicher war, als die Andern. Er hatte einen
schwarzen Cow-Boy-Hut mit unsäglicher Krempe.
Seine Freunde umdrängten ihn. Einer schrie:
„Heil dem Siegerl"

„Heil dem Sieger!" echoten die Andern.

Der Bleiche ließ sich in den bekränzten Stuhl
fallen, ohne lang zu fragen, für wen dieser ge-
hörte, und dann sagte er matt, mit einem leichten
galizischen Accent:

„Bitte, Sekt! Aber schnell!"

Man schenkte ihm ein und er schlürfte mit
schöner Geberde aus dem schlanken Stengelglas.
Uebrigens hieß er Eduard Neuenstern.

„Warst Du zufrieden?" fragte Einer. Man
hatte nämlich im „exclusiven Theater" an diesem
Abend Neuensterns vielbercdetes Werk „Aasgeruch,
ein dramatisches Symbol in fünf Trümmern" zum
ersten Male aufgeführt. —

„Wundervoll! Einzig! Mehr, als ich erwar-
ten durfte!" sagte Eduard jetzt, dein der Pommery
die Lebensgeister ein wenig geweckt hatte. „Nach
dem ersten Akt — ,Trumm' wollte ich sagen, ver-
legenes Schweigen. Sie waren wie vor den Kopf
geschlagen. Nach dem zweiten Trumm Grinsen.
Blödes, albernes, viechisches, banausisch dummes
Grinsen! Dann kam die Nachtscene in der Ana-
tomie, wo der junge Doktor mit der Tochter des
Anatomiedieners am Secirtische kneipt, am selben
Secirtische, auf dem seine verlassene Geliebte als
Leiche liegt. Mit dem Leintuch, das sie bedeckt,
will er ein Glas auswischen — —"

„Wie fein!" warf der mit den Sammtauf-
schlägen dazwischen.

„-da erblickt er sein Opfer, wird plötzlich

irrsinnig, reißt ihr das Herz aus der Brust und
fängt an zu schuhplatteln. — Der Vorhang fiel.
Glaubt Ihr, die Idioten hätten einen Nervcnchoc
gekriegt, einen eiskalten Schauder, Weinkrämpfe
oder so was? Gelacht haben sie, gebrüllt haben
sie! Gejohlt haben sie! Miau geschrien haben sie!"

„Unnnn—gllaublich!" flüsterte Einer, der mit
den dreifach gewendeten Manchetten.

„Das vierte Trumm, fuhr der Poet fort, in-
dem er sich ein großes Stück morgenrosigen Lachses
in elfenbeinblasser Hollandaise auf den Teller
legte, dieses Trumm halt ich selbst für das Beste
am Stück. Wie der Held in der Gummizellc mit

Max Feldbauer

dem Kopf gegen die Wand rennt und vierzehn
Minuten lang blos: Lala —tata—lolo —total

stammelt — das hätte wirken müssen! Als der
Vorhang fiel, zog Einer einen Hausschlüssel aus
der Tasche und pfiff. Die Andern pfiffen mit,
auf Hundepfeifen, auf zwei Fingern, auf blecher-
nen Bleistifthülsen. Es war großartig! Aber es
war noch nichts gegen den letzten Aktschluß. Das
fünfte Trumm, wie Ihr wißt, spielt im Zuchthaus:
nachdem der Held von den Gerichtsärzten für zu-
rechnungsfähig erklärt und wegen Leichenschänd-
ung verurtheilt worden ist. Der Prediger der
Strafanstalt — Ihr werdet vielleicht sagen, ich
hätte mich an Strindberg erinnert! — aber das
sind Aeußerlichkeiten — kommt und redet dem
Gefangenen liebevoll zu. Dieser verspricht dem
Geistlichen katholisch zu werden, und wie der Ka-
plan den Kerker verlassen hat, hängt sich der Held
an seinen Hosenträgern auf, nachdem er die Worte
gesprochen: „Es ist zu dumm!" — Und nun das
Publikum: Schreien, Lachen, Brüllen, Trompeten,
Pfeifen, Trampeln! Ein Höllenspektakel I Ich er-
scheine vor der Rampe — der Lärm verzehnfacht
sich! Ich strecke die Zunge heraus! Man wirft
mit harten Gegenständen! Ich werfe wieder —
man wirst mich hinaus!"

Aufathmeud hielt er inne und nippte sein Glas
aus. Dann sagte er mit stolzem Erröthen:

„Es war herrlich! Es war ein Sieg auf der
ganzen Linie!"

„Hoch der Sieger!" schrien sie, schwenkten die
Gläser und warfen sie an die Wand, denn be-
zahlen mußte sie doch der mit der Gardenia. Sie
flochten Neuenstern einiges Lorbecrgewinde um
die Stirne, die der Sekt jetzt geröthet hatte und
an der wirre Haarsträhne liebten. Der mit der
transcendentalen Cravatte stieg auf seinen Stuhl
und dröhnte:

„Ja, wir bringen unser Glas dem Sieger.
Er ist ein Herrenmensch ohne Furcht und Rück-
sicht, er hat das Publikum überwunden mit einer
literarischen That ohne Gleichen. Er hat bewiesen,
daß die Masse der Schneider und Handschuhmacher
nicht werth ist, den Vorhang zu lüften, vor dem
Tempel der Zukunft, sie — die Besiegten I"

„Sie sind Ochsen!"

„Rhinozerosse!"

„Schweinehunde!"

Der Zieger

K7eute war ein großer Abend für den literarischen
ÄA Stammtisch in der Central-Bar. Der Tisch
war festlich gedeckt. In schlanken Vasen standen
schlanke Blumen. Auf jeder Serviette lag eine
bleichduftende Orchidee. Die Tischkarten waren
von blassem Violett. Zwei Stühle waren bekränzt:
Lorbeer und dazwischen müde Theerosen! Zwei
Genossen des literarischen Stammtisches wurden
heute zunr ersten Mal „aufgeführt." Ein Herr,
dessen Cravatte beinahe nicht mehr aufhörte, saß
seit acht Uhr da und belegte den Tisch; hin und
wieder schrieb er matt lächelnd einen Geistesblitz
auf das'Tischtuch; hin und wieder trank er auch
einen Whiskey-Cocktail dazu. Nach zehn Uhr ge-
sellte sich zu dem Herrn ohne Wäsche ein anderer
Herr, dem nran ansah, daß er aus dem Theater
kam, denn auf seinem Hut steckte noch eine ver-
gessene Garderobenummer.

„Nun, wie war's?" fragte der Erste.

„Scheußlich! Bombenerfolg! Der arme Re-
ginald. Unliterarisch bis in die Knochen! Aber
ich hab's ihm immer gesagt! Ich glaube, die
Kerls klatschen noch!"

Sie nahmen jetzt das Blumengehauge von
dem einen Stuhl und bekränzten den andern
doppelt. Dann warteten sie. Der Zweitgekom-
mene nahnr einen Sherry Flip. Nach und nach
kamen Mehrere, denen Allen man ansah, daß sie
zu einander gehörten, obwohl sie einander sehr
unähnlich waren. Jeder hatte irgend etwas an
sich, was die Verachtung gegen den Bildungs-
Philister deutlich ausdrückte: Gamaschen ohne

Knöpfe, eine transcendentale Cravatte, Manchetten,
die schon dreimal umgedreht waren, Sammtauf-
schläge auf dem langen, schwarzen Dekadentenrock,
eine demonstrative Atlasweste, geplatzte Stiefeln.
Mehrere hatten den Schnurrbart rasirt; einige
hatten um den Hemdkragen herum und in der
Gegend der Ohren schwarzgraue Schatten, welche
die edelbleichcn Gesichter noch edelbleicher erscheinen
ließen. Einer war pikfein und hatte eine teller-
große Gardenia am eleganten Frack stecken; das
war der, welcher meistens den Sekt bezahlen durfte.
Er hatte sogar Lackschuhe an.

Um halb elf Uhr kam ein neuer Trupp und
in seiner Mitte ein junger Mensch, dem die schwär-

(Radirung)

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Register
Max Feldbauer: Frigga's Jagd
Fritz Frh. v. Ostini: Der Sieger
 
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