Nr. 8
JUGEND
1901
Aylvesternacht
Ein Dialog
von
Arthur Schnitzler
^as geräumige Speise-
zimmer der Fami-
lie, in dem eben ein
Souper zu vierund-
zwanzig Gedecken
stattgefunden hat.
Gläser mit Cham-
pagner, andere mit rothem und weißem Wein,
halbgefüllt, stehen noch auf dem Tisch. Die Sessel
in Unordnung. Zwei Kellner, die für den heutigen
Abend gemiethet worden sind, verschwinden durch
die Ausgangsthür. Eine andere Thür, die in
den Salon führt, ist angelehnt. Gewirr von
Stimmen dringt herein. Zwei Fenster sind ge-
schlossen, das dritte steht weit offen. Frau Agathe,
die ganz allein ist, blickt hinaus; der Schnee fällt
dicht und lau; zahlreiche erleuchtete Fenster gegen-
über. Unten fährt ein Wagen vorbei wie über
einen Teppich. Stimmen tönen gedämpft herauf.
Der Sohn des Hauses, jung und blond, kommt
aus dem Salon und will das Speisezimmer passiren;
da erblickt er Agathe und wendet sich zu ihr.
Emil: Haben Sie nicht Angst, sich zu ver-
kühlen, gnädige Frau?
Agathe: O nein; es ist ja ganz mild.
Emil: (eine Hand zum Fenster hinaushalteud):
Merkwürdig — der Schnee ist beinah warm. Der
Frühling muß schon in der Nähe sein. Im übrigen,
glückliches neues Jahr.
Agathe: Danke, gleichfalls. Sagen Sie
mir, was wird denn jetzt eigentlich geschehen ?
Emil: In wiefern?
Agarhe: Nun, es wird doch auf irgend
eine Weise für die Unterhaltung gesorgt
werden.
Emil: Selbstverständlich. Ich weiß aller
dings nicht... aber die Stimmung ist ja
schon durch den bedeutenden Augenblick ge-
hoben. Bedenken Sie: ein neues Jahr
beginnt.
Agathe: Freilich.
Emil: Wahrscheinlich wird man tanzen.
Agathe: Haben Sie einen Klavier-
spieler ?
Emil: Fritz wird spielen; — jedenfalls
Agathe: Ihr Cousin?
Emil: Ja. Wir sind ja ganz unter
uns: es ist nichts als ein erweiterter Fa-
milienkreis. Glauben Sie denn, gnädige
Frau, Sie wären heute bei uns geladen,
wenn nicht Ihr Gemahl der Cousin von
Mama wäre?
Agathe: Ach ja.
Emil: In unserem Haus hält man
noch an der schönen Sitte fest, daß an
solchen Abenden nur die Menschen Zusam-
menkommen, die auch zusammengehören,
die durch die Bande der Verwandtschaft mit-
einander verknüpft sind. Na ja, darum
unterhält man sich auch so gut, daher die
festliche und gerührte Stimmung. Haben
Sie das gar nicht bemerkt?
Agathe: Gewiß. Auch Hab' ich die
Sitzordnung so sinnig gefunden: Ehepaare
zusammen, Kinder neben den Eltern_
Emil: Ja. —
Agathe: Und was sollen die Leute thun,
die nicht tanzen?
Emil: Nun, die Herren werden Karten spielen;
Ihr Mann, Papa und Herr Friedmann haben
bereits angefangen.
(Klavierspiel im Nebenzimmer.)
Hören Sie, Fritz hat sich schon an den Flügel
gesetzt.
Agathe: Darauf wird man schwerlich tanzen
können.
Emil: O, er fängt immer mit Tristan und Isolde
an, aber es wird immer wieder die Fledermaus.
Darf ich Sie nicht hineinführen, gnädige Frau?
Agathe: Es hat Zeit; ich tanze nicht mehr.
Emil: O, gnädige Frau!
Agarhe: Bitte, bemühen Sie sich nicht. Ich
bin sechzehn Jahre verheirathet. Wenn Sie mir
vielleicht mein Cape reichen wollten? Dort über
der Lehne hängt es.
Emil: Hier, gnädige Frau.
Agathe: Danke. So — ich bleibe noch ein
bischen ain Fenster; es ist so wunderschön. Aber
stören Sie sich nicht um meinetwillen, ich bitte
sehr. Sie wollten wahrscheinlich fortgehen.
Emil: O nein.
Agarhe: Sie sind gewiß noch irgendwo ein-
geladen und werden wohl noch Ihre besondere
Sylvesterfeier haben, in der richtigen Gesellschaft.
Emil: Das wäre nicht unmöglich... aber
geladen bin ich nicht, wirklich nicht. Ich wollte
nur in mein Zimmer gehen; denn in meinem
Zimmer Hab' ich ein Rendez-vous.
Agathe: Ol was für Zustände in diesem
anständigen Bürgerhause!
Emil: Das anständige Bürgerhaus braucht
sich nicht zu schämen; ich habe Rendez-vous mit
einer Unsichtbaren.
Paul Rieth
ein lust’ger flßusihante
Haben Sie Erlaubniß zum Spielen?
Nein!
Dann begleiten Sie mich!
Is recht — was wollen's denn singen?
Agarhe: Sehr interesiantl
Emil: Hören Sie?
Agathe: Was denn?
Emil: Wie sich der König Marke allmählig
in den Rentier Gabriel Eisenstein verwandelt hat.
(Trällert mit). „O je, o jeh, wie rührt mich
dies-"
Agathe: Also was ist das für ein geheimuiß-
volles Rendez-vous?
Emil: - Das verhält sich folgendermaßen: ich
bin hier, wie Sie bemerken, und sie —
Agarhe: Die Unsichtbare...
Emil: Ja, die Unsichtbare ist in diesem Augen-
blick auch irgendwo, wo sie nicht hiugehört oder
wo sie nicht sein will, ebenso —
Agarhe: Ebenso wie Sie. Das ist nicht sehr
liebenswürdig, aber es ist wahr. Nun weiter.
Wo Sie sind, weiß ich — aber die Unsichtbare. .
Emil: Lassen wir das dahingestellt; vielleicht
auch im Kreise ihrer Familie, vielleicht in einem
anderen Kreis — kurz, wir können zusammen
nicht kommen, der Champagner ist viel zu tief.
Agarhe: Ich bin gegen Witze.
Emil: Entschuldigen Sie, gnädige Frau. —
Nun, und da haben wir uns 'einfach (zum Him-
mel weisend) da droben ein Rendez-vous gegeben.
Agathe: Wo?
Emil: Bei den Sternen.
Agathe: Süß!
Emil: So haben wir uns verabredet: wenn
der Festesjubel auf's Höchste gestiegen — hören
Sie? (trällert wieder mit). „Die Majestät wird
anerkannt...." Also, wenn der Jubel aufs
Höchste gestiegen ist, wie zum Beispiel jetzt in
diesem anständigen Bürgerhause, ziehen wir uns
Beide auf wenige Minuten zurück und treten
Beide einsam an ein Fenster —
Agathe: Ich wünsche Ihnen von Her-
zen, daß die Einsamkeit der Unsichtbaren
ehrlicher sei als die Ihre...
Emil: Ich wage es zu hoffen — treten
an's Fenster, schauen den großen Bären
an — sehen Sie, dort ist er — und träu-
men von einander, so lebhaft als nur
möglich. Ja, das ist unser Rendez-vous
in der Sylvesternacht. Darum wollte ich
eben in mein Zimmer gehen. Aber von
hier aus sieht man den großen Bären gleich-
falls, und nichts hindert mich, zu träumen
— es sei denn, daß Sie so freundlich sein
wollen, gnädige Frau.
Agathe: Nichts liegt mir ferner. Träu-
men Sic. (Auf der Straße gehen Leute;
Gruppen begegnen einander, gedämpfte
Rufe: „Prosit Neujahr!", Lachen, Versuche,
zu singen; dann wieder Stille. — Agathe
und Emil schweigen).
Agathe: AuSgeträumt?
Emil: Ja-
Agathe: Nun erlauben Sie mir viel-
leicht, Ihnen zu sagen, daß Sie mir nicht
ini geringsten iniponiren.
Emil: Nun ja, ich habe auch niemals
den Ehrgeiz gehabt... aber trotzdem, wie
meinen Sie da? ?
Agarhe: Warum sind Sie denn nicht
bei ihr?
Emil: Gnädige Frau, dar ist eben un-
möglich, die Verhältnisse liegen nun ein-
mal so.
Agarhe: Und ich sage Ihnen, Sie
lieben die Unsichtbare nicht, sonst wäre es
nicht unmöglich.
iiS
JUGEND
1901
Aylvesternacht
Ein Dialog
von
Arthur Schnitzler
^as geräumige Speise-
zimmer der Fami-
lie, in dem eben ein
Souper zu vierund-
zwanzig Gedecken
stattgefunden hat.
Gläser mit Cham-
pagner, andere mit rothem und weißem Wein,
halbgefüllt, stehen noch auf dem Tisch. Die Sessel
in Unordnung. Zwei Kellner, die für den heutigen
Abend gemiethet worden sind, verschwinden durch
die Ausgangsthür. Eine andere Thür, die in
den Salon führt, ist angelehnt. Gewirr von
Stimmen dringt herein. Zwei Fenster sind ge-
schlossen, das dritte steht weit offen. Frau Agathe,
die ganz allein ist, blickt hinaus; der Schnee fällt
dicht und lau; zahlreiche erleuchtete Fenster gegen-
über. Unten fährt ein Wagen vorbei wie über
einen Teppich. Stimmen tönen gedämpft herauf.
Der Sohn des Hauses, jung und blond, kommt
aus dem Salon und will das Speisezimmer passiren;
da erblickt er Agathe und wendet sich zu ihr.
Emil: Haben Sie nicht Angst, sich zu ver-
kühlen, gnädige Frau?
Agathe: O nein; es ist ja ganz mild.
Emil: (eine Hand zum Fenster hinaushalteud):
Merkwürdig — der Schnee ist beinah warm. Der
Frühling muß schon in der Nähe sein. Im übrigen,
glückliches neues Jahr.
Agathe: Danke, gleichfalls. Sagen Sie
mir, was wird denn jetzt eigentlich geschehen ?
Emil: In wiefern?
Agarhe: Nun, es wird doch auf irgend
eine Weise für die Unterhaltung gesorgt
werden.
Emil: Selbstverständlich. Ich weiß aller
dings nicht... aber die Stimmung ist ja
schon durch den bedeutenden Augenblick ge-
hoben. Bedenken Sie: ein neues Jahr
beginnt.
Agathe: Freilich.
Emil: Wahrscheinlich wird man tanzen.
Agathe: Haben Sie einen Klavier-
spieler ?
Emil: Fritz wird spielen; — jedenfalls
Agathe: Ihr Cousin?
Emil: Ja. Wir sind ja ganz unter
uns: es ist nichts als ein erweiterter Fa-
milienkreis. Glauben Sie denn, gnädige
Frau, Sie wären heute bei uns geladen,
wenn nicht Ihr Gemahl der Cousin von
Mama wäre?
Agathe: Ach ja.
Emil: In unserem Haus hält man
noch an der schönen Sitte fest, daß an
solchen Abenden nur die Menschen Zusam-
menkommen, die auch zusammengehören,
die durch die Bande der Verwandtschaft mit-
einander verknüpft sind. Na ja, darum
unterhält man sich auch so gut, daher die
festliche und gerührte Stimmung. Haben
Sie das gar nicht bemerkt?
Agathe: Gewiß. Auch Hab' ich die
Sitzordnung so sinnig gefunden: Ehepaare
zusammen, Kinder neben den Eltern_
Emil: Ja. —
Agathe: Und was sollen die Leute thun,
die nicht tanzen?
Emil: Nun, die Herren werden Karten spielen;
Ihr Mann, Papa und Herr Friedmann haben
bereits angefangen.
(Klavierspiel im Nebenzimmer.)
Hören Sie, Fritz hat sich schon an den Flügel
gesetzt.
Agathe: Darauf wird man schwerlich tanzen
können.
Emil: O, er fängt immer mit Tristan und Isolde
an, aber es wird immer wieder die Fledermaus.
Darf ich Sie nicht hineinführen, gnädige Frau?
Agathe: Es hat Zeit; ich tanze nicht mehr.
Emil: O, gnädige Frau!
Agarhe: Bitte, bemühen Sie sich nicht. Ich
bin sechzehn Jahre verheirathet. Wenn Sie mir
vielleicht mein Cape reichen wollten? Dort über
der Lehne hängt es.
Emil: Hier, gnädige Frau.
Agathe: Danke. So — ich bleibe noch ein
bischen ain Fenster; es ist so wunderschön. Aber
stören Sie sich nicht um meinetwillen, ich bitte
sehr. Sie wollten wahrscheinlich fortgehen.
Emil: O nein.
Agarhe: Sie sind gewiß noch irgendwo ein-
geladen und werden wohl noch Ihre besondere
Sylvesterfeier haben, in der richtigen Gesellschaft.
Emil: Das wäre nicht unmöglich... aber
geladen bin ich nicht, wirklich nicht. Ich wollte
nur in mein Zimmer gehen; denn in meinem
Zimmer Hab' ich ein Rendez-vous.
Agathe: Ol was für Zustände in diesem
anständigen Bürgerhause!
Emil: Das anständige Bürgerhaus braucht
sich nicht zu schämen; ich habe Rendez-vous mit
einer Unsichtbaren.
Paul Rieth
ein lust’ger flßusihante
Haben Sie Erlaubniß zum Spielen?
Nein!
Dann begleiten Sie mich!
Is recht — was wollen's denn singen?
Agarhe: Sehr interesiantl
Emil: Hören Sie?
Agathe: Was denn?
Emil: Wie sich der König Marke allmählig
in den Rentier Gabriel Eisenstein verwandelt hat.
(Trällert mit). „O je, o jeh, wie rührt mich
dies-"
Agathe: Also was ist das für ein geheimuiß-
volles Rendez-vous?
Emil: - Das verhält sich folgendermaßen: ich
bin hier, wie Sie bemerken, und sie —
Agarhe: Die Unsichtbare...
Emil: Ja, die Unsichtbare ist in diesem Augen-
blick auch irgendwo, wo sie nicht hiugehört oder
wo sie nicht sein will, ebenso —
Agarhe: Ebenso wie Sie. Das ist nicht sehr
liebenswürdig, aber es ist wahr. Nun weiter.
Wo Sie sind, weiß ich — aber die Unsichtbare. .
Emil: Lassen wir das dahingestellt; vielleicht
auch im Kreise ihrer Familie, vielleicht in einem
anderen Kreis — kurz, wir können zusammen
nicht kommen, der Champagner ist viel zu tief.
Agarhe: Ich bin gegen Witze.
Emil: Entschuldigen Sie, gnädige Frau. —
Nun, und da haben wir uns 'einfach (zum Him-
mel weisend) da droben ein Rendez-vous gegeben.
Agathe: Wo?
Emil: Bei den Sternen.
Agathe: Süß!
Emil: So haben wir uns verabredet: wenn
der Festesjubel auf's Höchste gestiegen — hören
Sie? (trällert wieder mit). „Die Majestät wird
anerkannt...." Also, wenn der Jubel aufs
Höchste gestiegen ist, wie zum Beispiel jetzt in
diesem anständigen Bürgerhause, ziehen wir uns
Beide auf wenige Minuten zurück und treten
Beide einsam an ein Fenster —
Agathe: Ich wünsche Ihnen von Her-
zen, daß die Einsamkeit der Unsichtbaren
ehrlicher sei als die Ihre...
Emil: Ich wage es zu hoffen — treten
an's Fenster, schauen den großen Bären
an — sehen Sie, dort ist er — und träu-
men von einander, so lebhaft als nur
möglich. Ja, das ist unser Rendez-vous
in der Sylvesternacht. Darum wollte ich
eben in mein Zimmer gehen. Aber von
hier aus sieht man den großen Bären gleich-
falls, und nichts hindert mich, zu träumen
— es sei denn, daß Sie so freundlich sein
wollen, gnädige Frau.
Agathe: Nichts liegt mir ferner. Träu-
men Sic. (Auf der Straße gehen Leute;
Gruppen begegnen einander, gedämpfte
Rufe: „Prosit Neujahr!", Lachen, Versuche,
zu singen; dann wieder Stille. — Agathe
und Emil schweigen).
Agathe: AuSgeträumt?
Emil: Ja-
Agathe: Nun erlauben Sie mir viel-
leicht, Ihnen zu sagen, daß Sie mir nicht
ini geringsten iniponiren.
Emil: Nun ja, ich habe auch niemals
den Ehrgeiz gehabt... aber trotzdem, wie
meinen Sie da? ?
Agarhe: Warum sind Sie denn nicht
bei ihr?
Emil: Gnädige Frau, dar ist eben un-
möglich, die Verhältnisse liegen nun ein-
mal so.
Agarhe: Und ich sage Ihnen, Sie
lieben die Unsichtbare nicht, sonst wäre es
nicht unmöglich.
iiS