Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 9

Nr. 9

"]ä' Europa ift erlcpcn — Mer 0tl)fen imtlerftepen v>

ii.)

Der Dandy: Und Sie bestehen darauf, das;
heut' Mittwoch ist?

Rasimir: Aschermittwoch.

Der Dandy (mit dem Ausdruck eines Generals,
der den Schlachtplan entwirft): Demnach: Graue
Hosen, stahlblaue Weste, schwarzer Gehrock, grau-
braune Orchidee und die Alexandritgarnitur.

Rasimir (hat mit hochgezogenen Augenbrauen
zugehört und verschwindet geschäftig wichtig in's
Garderobezimmer).

Der Dandy: Der Alexandrit ist der Ascher-
mittwochstcin. Zwar noch inwendige Glnth, aber
überflort. — Ich plahe heute vor Inspirationen.
— Daran ist die Marquise schuld. Dieses Mäd-
chen ist, was man eine Muse nennt. Dabei tanzt
sie wie das fleischgewordene Fegefeuer. Wenn
sie sich blos die Haare besser färben wollte. In-
dessen: Wer wäre Mensch und ein vollkomme-
nes Thier? (Singt): Man muß nicht un—be-
schei— den sein! Und überdies: Wozu sind wir
Philosophen? Was hätten wir Philosophen zu
thun, wenn die Welt vollkommen wäre? Es ist
jn der That Alles sehr nett eingerichtet. Auch

da? mit dem Aschermittwoch ist gut disponiert.
So kann sich der Mensch doch ausruhen, weil er
muß. Und in sich gehen, Emil I Jn sich gehen! —
Wenn ich so in mich gehe.... Man entdeckt da
allerhand. Zum Beispiel.. . (ruft): Kasimir!

Rasimir (erscheint mit sechs Paar grauen
Hosen): Gnädiger Herr?

Der Dandy: Kasimir, sind Sie schon einmal
in sich gegangen?

Rasimir: Wie befehlen?

Der Dandy: Haben Sie schon einmal den
Stachel der Erkenntniß in Ihren Busen gedrückt?

Rasimir (grinsend): Hähä . .

Der Dandy: Sehr richtig, Kasimir, cS ist
zum Lachen. Ich wußte längst, daß Sie ein
Cyniker sind.

Rasimir: Ich wollte fragen: Welche graue
Hose gnädiger Herr befehlen?

Der Dandy: Auch noch Nuancen verlangen
Sie von mir, Unersättlicher? Einen Moment! Also
gut: die mit schwarzen und grauen Parallelstreifen.

Rasimir (sehr ernst): Ich verstehe: die Un-
end'lichkeitshose.

Der Dandy: Sehr richtig: die Unendlichkeits-
Hose! — Aber was ist denn das: sagen Sie mal,
Kasimir, haben Sie mich heute früh nicht ausge-
zogen?

Rasimir: Gnädiger Herr ließen es nicht dazu
kommen. Gnädiger Herr drohten mir mit Ent-
lassung, wenn. . .

Der Dandy: Sie sind ein Feigling. Gehen Sie!

Rasimir (macht ein beleidigtes Gesicht und
verschwindet mit der Hosenlast).

Der Dandy: Also habe ich Schamloser nicht
einmal die Wäsche gewechselt... Und wir wollen
eine neue Kultur heraufführenI Wir wollen der
Menschheit neue Gebärden beibringen! — Pescher-
ähs sind wir, Pescherähs! — Pfui Teufel, sogar
die Kegelmütze habe ich noch auf dem Kopf. (Eine
hohe Pierrotmütze fliegt aus dem Vorhangspalt
ins Zimmer). Aeh, mein ganzes Gesicht klebt,
und einen Geschmack Hab' ich im Munde . . .
leimig — Weß' aber die Zunge faul ist, deß
Seele kann schwerlich nach Ambra duften. Das
könnte in Jesus Sirach steh'n. Indessen gibt es
Lau de Botot, und somit: Kasimir!

skseine, kiornaricero

Rasimir (schlüpft mit fragender Miene her-
ein): Gnädiger Herr?

Der Dandy: Mischen Sie das Mundwasser!

Rasimir: Befehlen gnädiger Herr die „schwerste
von den Künsten" ?

Der Dandy: 6'est ya, doch mit einem Schuß
old english Lavender water. Aber penibel,
wie Mister Pips, der Bar-Tender! Erst Botot,
dann Cologne, dann peppermint, dann drei Tro-
pfen Myrrhentinktur, dann einen halben Tropfen
von dem ekligen Zeug, womit man, wie Sie
wissen, Kasimir, Leichen konservirt, und schließlich,
aber das gilt blos für heute, ein Spritzerchen von
old Englands köstlichem Lavendelwasser, als Ascher-
mittwochsnüance. So, Kasimir, wusch sich die
ebenso schöne wie erfahrene Königin von Saba
die dunkelkorallenfarbige Höhle des bogenförmigen
Mundes, an dem jener König von Juda zu
hängen gewohnt war, den Sie in der Bibel erstem
Teile nachschlagen können. Und nun verschwinden
Sie, heben Sie sich weg, fahren Sie ab!

Rasimir (verschwindet, hebt sich weg und
fährt ab).

(Man hört knarrende Bewegungen hinter den
Bettvorhängen: dann gerathcn diese selber in Be-
wegung; zwei Füße in Lackschuhen erscheinen;
dann zwei Waden in schwarzseidenen Strümpfen;
dann zwei Schenkel in kuappauliegenden weiß-
seidenen Hosen. Der Vorhang theilt sich: Der
Dandy tritt heraus. Er ist in ein seidenes Pierrot-
kostüm gekleidet: im übrigen ein kräftig schlanker
junger Mann, Ende der Zwanziger, mit einer
Hakennase, starken, in dem gepuderten Gesicht be-
sonders ausgeprägt hervortretenden Augenbrauen,
und ganz kleinem, schwarzen Schnurrbärtchen.)

Der Dandy (zur Waschtoilette schreitend,
pretiös dcklamireud):

Komm, Aurore,

Und entstöre

Dein durchlauchtig Angesicht;

Tulpen flammen

Hell zusammen

Mit der Rosen Purpurlicht;

Wolken wiegen Deinen Wagen,

Den die Morgenwinde tragen:
(Leichthin): Dies ist heute mein Gedicht.

r;;

Max Bernuth (München)

-Kasimir I Kasimir!! Kasimir! I!

Rasimir (huscht eifrig herbei): Gnädiger. . .

Der Dandy: Wo ist der Phonograph? Sind
Sie von Sinnen, Abtrünniger? Soll ich in die
leere Luft dick)ten?

Rasimir: Gnädiger Herr haben ihn heute
früh gegen die Wand geworfen.

Der Dandy (düster): So ist meine Unsterb-
lichkeit um ein Kleinod von Gedicht ärmer. —
Uebrigens, der Anfang kam mir bekannt vor; ent-
weder ick) oder ein anderer muß ihn schon einmal
gedichtet haben. Es wird einem heutzutage imper-
tinent schwer gemacht, originell zu sein. Das Meiste
ist schon weggedichtet. Die ganze Vergangenheit
ist ein einziges großes Plagiat an der Gegenwart.
Weh Dir, daß Du ein Enkel bist! Wenn ich
nicht Emil wäre, möchte ich Goethe gewesen sein. —
Verstehen Sie meinen Schmerz, Kasimir?

Rasimir (grinst und schüttelt seine Koteletten).

Der Dandy: Dann gehen Sie hinaus, Mon-
strum, und sorgen Sie für Malossol. — Womit
könnte man den Aschermittwoch stimmnngsvotür
beginnen, als mit graukörnigem Malossol? 11
Register
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen