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Nr. 10

JUGEND

1901

meine Muse geworden, ist klar, Nein, — um
ernst zu fein, wenn ich meine ganze „erste Periode",

— das was mein Biograph einmal die Zeit mei-
ner „lodernden Entwicklung" nennen wird, —
übersehe, so ist kein anderes Mädel in derselben,
der ich soviel an Anregung, an achter Schaffens
frende verdankt hätte, als diesem kleinen lebens-
lustigen,— beinahe lebenstollen Flitscherl.

Natürlich habe ich sie damals in allen mög-
lichen und unmöglichen Stellungen, Kostümen, Be-
deutungen und Techniken gemalt und aus dieser
Zeit stammt auch das Bild, mit dem mir die tolle
Geschichte passirt ist. Das kam so: Mir waren
auf ein paar Tage an den Ehiemsee gefahren und
da, nach einer Ruderpartie in der glühendsten
pitze, als wir an einer ziemlich abgelegenen Ufer-
partie, von der aus ich den See malen wollte, an
das Land gingen, kam mir die große Idee, und
das Mädel fand das sehr lustig und war lieb ge-
nug darauf einzugehen. Ich hatte mich nämlich
schon lange danach gesehnt einen Akt im Freien,

— so recht im vollen Licht, — zu malen. Na,

— in der Stadt, — auf dem Marienplatz oder in
der Maximilianstraße geht sowas leider nicht, ■—
aber hier, alles weit und breit war still, — also
die Staffelei aufgestellt, den Schirm darüber, die
Palette aufgeklappt und an die Arbeit.

Ich ließ sie sich in das wundervoll saftige Gras
legen, — sie lag auf dem Bauch, die Ellenbogen
aufgestemmt und das Köpferl in den pänden. So
sah sie dem Beschauer voll und lachend, beinahe
ein bissel herausfordernd in's Gesicht. Und die
Beine, von den Knieen abwärts schlenkerten gra-
ziös gegen den Pimmel. Bon oben aber fiel mit
vollem Vrchester die Sonne ein, rund um sie leuch-
tete die Wiese, ein paar höhere Blumen und Palme
sorgten mit ihrem Schatten für die nöthigen schar-
fen Schlager, mit einem Worte, es vereinigten sich
alle die guten Dinge, die damals dazu gehörten,
um mich mit rechter Freude schaffen zu lassen, und
das Bilderl wurde wirklich gut. Gerade das un-
endlich Sonnige des ganzen Kolorits und das über-
müthig Frische, Naturfrohe in der Gestalt und
ihrem Leben brachte ich gut heraus. — Ich war
ganz glücklich über das Gelingen des Ding's und
auch später, als ich die Leinwand in meinem Ate-
lier aufgestellt hatte, freute ich mich immer wieder
darüber und halb int Scherz nannte ich das kleine
Sonnenweibchen „meine Jugend".

Was aber thut Gott? Lin paar Wochen später,
als ich schon durch einige Zeit an pekuniärer Bleich-
sucht litt und das ersehnte Geldschiff gar nicht in
Gang kommen wollte, als also schließlich die idealen
Vorzüge des Umganges , mit mir die materiellen
stark überwogen, erklärte mir die Schlange, daß
sie zu ihrer Tante nach Augsburg fahren müsse,
weil ihr diese eine gute Stellung, — ich glaube
als Direktrice in einem staatlich subventionirten
Schneidersalon, — verschaffen wollte. Nun, —
etwas Derartiges durfte man nicht von der pand
weisen, das war eine Zukunft. Ich gab ihr also
mit zärtlichen Worten mein letztes Zehnmarkstück,

— und drei Tage später sah ich meine Tenta mit
neuem put, Iaquet und Begleiter in der Ludwigs-
straße an mir vorüberfahren.

So etwas ist sehr peinlich. — Ich war natür-
lich wüthend, wie man es nur das erstemal ist.
Ich beschloß, nur noch Stilleben und Landschaft zu
malen. Als ich nach Pause kam und da auf einem
Dutzend Leinwänden und Lartons ihr Bild vor
mir sah, beschloß ich alles zu vernichten, — nichts
sollte mich mehr an sie erinnern. Dann war ich
etwas praktischer, ging zu unserem damaligen
Rettungsanker, dem Kunstschändler Raumer und
bot ihm den ganzen Rummel an. Ihr kennt den
rotheil Gauner ja, —das heißt, heute ist er schon
weiß, — aber ein Gauner ist er noch immer; der
zahlte uns damals für unsere Arbeiten so unge-
fähr die Kosten des Materiales. Der also nahm
die Schwarten, — auch das Sonnenweibchen, und ich
muß offen gestehen, daß ich mich damals gerade
von diesem Bilde nicht mit ganz leichtem Perzen
trennte, — wahrhaftig, — es lag doch ein Stück
Freudigkeit von meiner Jugend darin, — förmlich
kalt kam mir die Bude vor, als es draußen war.

Als ich nach einiger Zeit gegen Abend in der
Stadt an dem Raumer seinem Laden vorbeikam,
stand er gerade in der Thüre und rief mich an.
„Na, — sind noch alle da, die echten Korff's, —
'will sie Keiner kaufe. Wolle Sie Ihre Werke
e biffle ansehe?" Ich war unangenehm berührt,
nickte ihm aber lachend zu und trat in den Laden.
Richtig hingen die verschiedenen Lenta's da, -
aber wie! Jedes Bild in einem gepreßten Gold-
rahmen ordinärster Sorte, — meine theils sehr
hübschen Arbeiten künstlich zum gemeinsten Kitsch
und Klamsch prostituirt. Und dann meine „Jugend"!
Bei Gott, Kinder, — ich habe das Bild erst nicht er-
kannt. In eine breite, überladen ornamentirte Gold-
leiste mit einem kirschrothen Plüschbesatz gerahmt,
und halb erdrückt von der protzigen Brutalität dieses
Rahmens, hing das Ding da, von einer elektrischen
Lampe scharf und rücksichtslos beleuchtet. Die
Farben waren wie verblaßt und eingeschlagen, das
Gras war wie verwelkt, alles Frohe, pelle, was
früher in dem Bilde gewesen, war jetzt beim Teufel,
und ein Gesicht hat das Mädel gemacht, — mild',
verhärmt, gealtert, — ja, ich bin da gestanden und
habe darauf hingestarrt und habe es nicht begriffe».
Und dann habe ich gefühlt wie ich roth geworden
bin im Gesicht, und es ist mir ein Gefühl ge-
kommen, wie wenn ich etwas Unrechtes gethan
hätte, — in diesem Lichte, in dieser Umgebung
kam mir das Bild auf einmal nackt, beinahe un-
anständig vor. Und das Mädel sah mich so vor-
wurfsvoll an, — na, es mag ja dumm gewesen
sein, — ich schämte mich vor ihr.

Der Raumer, der alte Gauner, stand neben mir
und lachte: „Feiner Rahme, - was? Wär' so
was für ein potel garni, das Bildle!"

Ich biß die Zähne zusammen, — ich hätte
ihn ohrfeigen mögen.

„was soll es kosten?"

„Sie werde's ja doch nit kaufe!"

Ich zuckte die Achseln und ging.

Aber glaubt ihr, — das Bild gab mich jetzt
nicht mehr frei. Ich mußte immer wieder an
dieses blaffe, vorwurfsvolle Gesicht, an dieses ver-
grämte und gequälte Lächeln denken, dazwischen
kam mir die Erinnerung, wie frisch sie damals

gewesen, und ich wurde dabei das Gefühl des Un-
behagens nicht mehr los. Ich versuchte es red-
lich, mich mit der ganzen Sache auseinanderzu-
setzen. Was ging es mich schließlich an, ob der
Raumer das Bild gut oder schlecht rahmte und
hing, — hatte ich es ihm nicht verkauft, geradeso
wie die anderen? Aber ich kam nicht darüber
hinaus. Nun ging ich tiefer, — lag es an dem
Modell, — an dem Mädel? Nein, darüber war
ich hinaus; gewiß hatte ich das Mädel lieb ge
habt, — aber warum war mir dann das Schicksal
der anderen 'Bilder, z» denen sie mir gesessen, so
gleichgültig? Bder lag es an dem, was ich da-
mals in das Bild hineingetragen, als ich es malte,

— an Gefühl, an Freude und Leben? War es das,
was sich jetzt wie ein Vorwurf gegen mich selbst
wandte, was den Ausdruck des Bildes vor meinen
Augen so veränderte, daß ich es nur entstellt und
verkümmert sah? Und dann wieder, — hatte ich
das freudige Schaffen nicht doch ihr verdankt?

Ich kam nicht in's Klare, nur soviel weiß ich,
daß mir der Gedanke, das Bildchen noch länger
in den pänden des Raumer oder gar wirklich in
irgend ein kleines Schweinigel-Potel als Zierde
für eine Chambre separee verkauft zuwissen, ganz
unerträglich war. Na, — ich war kein Problem-
schnüffler, — und bin es heute noch nicht, — als
mir aber die Sache am nächsten Tage wieder i»
die (Quere kam und als sie mich am dritten Tage
wieder an der Arbeit hinderte, da schmiß ich die
Palette hin und ging zu dem Kerl und kaufte mir
für baare dreißig Mark meine „Jugend" wieder.
Den Rahmen ließ ich ihm, — ich selbst zog die
Stiften hinten heraus, — »nd glaubt ihr Kinder,

im Augenblick, als ich das Bild dann wieder
frei in pänden hielt, da war es mir wie eine Er-
lösung. Aufgeathinet Hab ich, - und das Bild ist
mir wieder jung geworden unter den Augen.

Zn Panse habe ich mein Bild wieder an
seinen alten Platz gehätigt, dann habe ich mich
davorgestellt und habe es lange angestarrt. Ls
ivar Mittag und die Sonne lag voll am Fenster.
Die Kleine lachte mich wieder froh und glücklich
aus dem Grünen an — und ich Hab' die Palette
wieder anfgenommen, »nd Hab' an Petit Esten ge-
dacht , aber geschafft Hab ich, — wie ein Kuli!"

Der Erzähler schwieg und lächelte in Erinn-
erung an jene Zeit einen Augenblick vor sich hin.

„Und was ist dann aus Deiner „Jugend" ge
worden?" — frug einer.

Nun wurde sein Gesicht ein wenig ernst, und
ernst sprach er weiter, bis er dann später wieder
ein leichtes, überlegenes Lächeln fand: „Ach Gott,

ehe ich geheiratet habe, — da hat mich einmal
meine Braut und ihre Mama in meinem Atelier
besucht. Meine Schwiegermutter hat damals so
merkwürdig fragend nach dem Bild hinaufgeschielt,

— meine Frau, — das heißt meine damalige
Braut, hat mich auch so komisch fragend ange
sehen, — na, manchmal überkommt einen ja die
Dummheit, man weiß selbst kaum wie, — das ge
hört so zum psychologischen Dokument der jungen
Liebe, — ich hatte so das Bedürfniß nach einer
peldenthat, - so griff ich den Rahmen herunter
und blitzschnell zog ich mit dem nächsten Pinsel

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Ad, Hartung; (ßt'rtin)
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A. Hartung: Zierleiste
 
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