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Nr. 13

JUGEND

1901

Die

Einfiedelei im }ardin des Plantes

von Anatole Zrance

Sch konnte noch nicht lesen, hatte Schlitzhosen an, brüllte,
wenn mir die Bonne die Nase putzte, als mich schon die
Sehnsucht nach Ruhm verzehrte.

Es ist wahr, im zartesten Rindesalter hegte ich den
brennenden Wunsch, unverzüglich berühmt zu werden und
meinen Namen dem Gedächtniß der Rieuschen einzuprägen.

Ich sann darüber nach, wie ich es wohl anstellen könnte,
und dabei brachte ich meine Zinnsoldaten in Reih und Glied,
wenn es möglich gewesen, hätte ich mir Unsterblichkeit auf
dem Schlachtselde errungen und wäre wie einer der Generäle geworden,
die meine kleinen pände hin und her schoben und deren waffenglück ich
ihnen auf einem Wachstuchtisch zutheilte.

Aber ich hatte weder Pferd, noch Uniform, noch Regiment, noch Feindes-
heer, lauter Dinge, die zu militärischen Ruhmesthaten nothwendig sind.

Deßhalb dachte ich daran, ein peiliger zu werden. Das bringt weniger
Umstände mit sich und trägt sehr viel Ehre und Anerkennung ein. Meine
Mutter war fromm. Ihre Frömmigkeit — ernst und liebenswürdig wie
sie selber — rührte mich tief. Sie las mir oft aus dem „Leben der
peiligen" vor, einer Lektüre, der ich mit Entzücken zuhörte und die mein
Perz mit Andacht und Bewunderung erfüllte, wie diese Gottesmänner es
angefangen, um ein edles, ersprießliches Leben zu führen, wußte ich also.
Ich wußte, welch' himmlischen Duft die Rosen der Märtyrer ausströmc».
Doch an Märtyrerthum dachte ich nicht, auch nicht an's Apostel- und
Predigeramt. Dies Alles lag zu wenig in meinem Bereich. Ich wollte
mich an's Fasten und Rasteien halten. — Das war ein einfaches und
sicheres Mittel.

Um keine Zeit zu verlieren, weigerte ich mich gleich darauf, mein
Frühstück zu essen. Meine Mutter, die nicht ahnte, welchem Beruf ich mich
hingegeben, glaubte, ich sei krank, und sah uiich mit einer Besorgnis; a»,
die mir zu Perzen ging. Aber vom Fasten ließ ich nicht ab. Nachher,
an Simeon Stylites denkend, der auf einer Säule lebte, kletterte ich auf
das Brunnenrohr in der Rüche, konnte aber nicht dort bleiben, denn
Julie, unser Rindermädche», holte mich schleunigst herunter, von meinem
Brunnen herabgestiegen, eilte ich weiter, ans dem Wege zur Vollkommen-
heit und beschloß, den hl. Nikolaus von patras uachznahmen, der seine
Reichthiimer unter die Armen verthcilte. Das Fenster des Arbeitszimmers
meines Vaters ging nach dem QJitiii hinaus. Durch dieses Fenster warf
ich so etwa ein Dutzend Sousstückc, die man mir geschenkt, weil sie neu
und glänzend waren, dann folgten Bälle, Rreisel mit der peitsche aus
Schlangenhaut.

„Der Bengel ist zu einfältig," rief mein Vater und schloß das Fenster. —
Mich ärgerte und kränkte es, meine Handlungsweise so beurtheilt zu
sehen. Aber ich dachte daran, daß mein Vater, kein peiliger wie ich, den

M. von Brauchitsch (München)

Ruhm der Seligen einst nicht mit mir theilen werde, und
dieser Gedanke war mir ein großer Trost.

Als die Stunde zum Spazierengehen kam, setzte man
mir meinen put auf, ich riß die Feder davon herunter, nach
dem Beispiel jenes Frommen, der, als man ihm eine alte,
schmierige Mühe gab, sie im Rothe herumzog, ehe er sie
aufsetzte. Als meine Mutter von dem Abenteuer mit dem
Pute und den Reichthümern hörte, zuckte sie seufzend die
Achseln. Ich machte ihr großen Rümmer.

Auf dem Spaziergange hielt ich die Augen gesenkt, um
mich nicht durch Aeußerlichkeiten verwirren zu lasscu, damit
einer Weisung folgend, die im „Leben der peiligen" oft
an sie ergangen.

von diesem heilsamen Gange hcimgekehrt, machte ich
mich, um meine Mission zu vollenden, daran, ein Büßer-
gewand herzustellen, indem ich mir das Roßhaar eines alten Fauteuils
in den Rücken stopfte. Neue Prüfungen harrten meiner, denn in eben
dem Augenblicke, wo ich die Jünger des hl. Franziskus nachahmen wollte
kam Julie dazu. Nur am Scheine, ohne dessen Sinn zu ergründen,
haften bleibend, bemerkte sie den durchlöcherten Lehnstuhl und erthcilte mir
in ihrer Einfalt eine Tracht Prügel.

Uebcr die schmerzlichen Ereignisse dieses Tages nachdenkend, sah ich
ein, daß es sehr schwer ist, die peiligkeit im Schooße der Familie auszu-
üben. Ich begriff, weßhalb der hl. Antonius und pieronymus in die
wüste unter die Löwen und pyäuen gegangen, und beschloß, mich gleich
andern Tages in eine Einsiedelei zu begeben. Zn meinem versteck wählte
ich den jardin des Plantes. Dort wollte ich der Beschaulichkeit leben, in ein
Gewand aus palmblättcrn gehüllt, gleich Paul, dem heiligen Einsiedler.

In diesem Garten — so dachte ich es mir — wird es wurzeln geben,
von denen ich mich »ähren kann. Und eine PUtte, abseits auf einem pügel
aelegcu. Dort werde ich mitten unter fämmtlichen Thieren der Schöpfung
zein. Der Löwe, der mit seinen Rrallen das Grab der hl. Maria von
Aegypten gegraben, wird sicherlich kommen und mich holen, um irgend einem
Einsamen der Umgegend die letzten Ehren zu erweise». Ich werde, wie
der hl. Antonius, den Mann mit den Bocksfüßen und das Pferd mit dem
Menschenleib sehen. Und vielleicht werden mich die Engel psalmensingend
gen Pimmel tragen. — —

Mein Entschluß erscheint weniger sonderbar, wenn man weiß, daß
der Jardin des Plantes seit lauge schon eine geheiligte Stätte, eine Art
Paradies auf Lrdeit für mich war, wie ich es in meiner Bilderbibel
abgebildct gesehen. Meine Bonne führte mich oft hin und ich fühlte mich
glückselig dort. Sogar der Pimmel crscbien mir verklärter, reiner als anders-
wo, und in den Wolken, die über den Volieren der Papageien, dem Räfig
des Tigers, dem Bärengraben und dem Elephanteuhaus hinzogen, vcr
meinte ich, Gottvater mit seinem blauen Gewände und seinem weißen Barte
zu sehen, wie er den Arm ausstreckte, um mich, mit sammt der Antilope,
der Gazelle, dem Raninchen und der Taube zu segnen. Und wenn td;
unter der Leder des Libanon saß, sah ich die Strahlen, die der ewige
Vater von seinen pänden ausgehen ließ, durch die Zweige auf mich niedcr-

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Register
Margarethe v. Brauchitsch: Zierleiste
Anatole France: Die Einsiedelei im Jardin des plantes
 
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