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lNr. 17

JUGEND

1901

Ginc treue huncleteele

Bon

M. T. Ssaltykow-^chtichcdrin

A-^ei der Mehlhandlung dcs MoS-
kaner Kaufmanns Worotilvw
war als Wächter ein Hund angestellt,
b:r Tresorka Er bewachte das
»gab und Gut seines Herrn eifrig und
gewissenhaft, verlieh säst niemals
seine Hütte und kannte kaum die
Gegend, in der sich seines Herrn Lade»
besand, und die man de» Schindanger
nannte. Vom frühen Morgen bis zum
späten Abend sprang er, so >veit seine
Kette reichte, hin und her und bellte
beständig: Caveant consules!

Tresorka war ein äuherst kluges
Thier, das niemals die Hausgenossen
seines Herrn anbellte, sondern immer
nur sremde Leute, Wenn Worotiloivs
Kutscher Hafer stahl, beachtete Tresorka
das gar nicht; er wedelte dann blos
mit dem Schwänze und dachte: ach
was, auf das.Bischen Hafer kommt
es gewih nicht an! Zeigte sich aber
ein Fremder, der vielleicht nur vor-
iibergehen wollte', dann erhob Tre-
sorka ein lautes Gebell, als ob er
Diebe! Räuber! rufen wollte.

Worotilvw erkannte auch Trefor-
kas Verdienste an, er sagte bei jeder
Gelegenheit: dieser Hund ist unbe-
zahlbar! Und jedesmal, wenn er
bei der Hundehütte vorbeikam, befahl
er: gebt ihm Spülicht! Tresorka
aber freute sich und bellte: Ham,
ham! schlafen Sie ruhig, weither
Herr! Ham, ham, ham! ich bi»
Ihre ganz ergebenste, wachsame
Hundesecle!

Einst ereignete sich sogar folgender Fall: Der Herr Polizeichef in
höchsteigener Person wollte den Kaufmann Worotilvw mit seinem Besuch
beehren — und siehe da, selbst diesen vornehmen Herrn lieh Tresorka
nicht ungeschoren: er erhob ei» solches Gebell, dah Mann, Frau und Kinder
zusammen liefen und glaubte», ein Räuber wolle sich bei ihnen ciuschleichen;
— derweilen aber war es solch ein theurer Gast!

„Ah, Euer Hochwohlgebvren! Treten Sie doch gefälligst näher!
Kusch, Tresorka, du abscheuliches Vieh! Siehst du denn nicht, wer das
ist'? Bitte, Euer Hochwohlgeboren, ein SchnäpSchen, einen kleinen Imbiß!"

„Danke, danke, Nikanor Ssemjonhtsch! Ein prächtiges Thierchen haben
Sie da, ein gutgesinntes!"

„Ja, Euer Hochwohlgeboren, eS ist das ein so vortreffliches, kluges
Tliier, das; sich mancher Mensch ein Beispiel daran nehmen könnte!"

„Ja, ja, man sieht's ihm au, dah er daS Eigenthum respektirt. DaS
ist heutzutage von großem Werth!"

Dann wandte er sich an Tresorka und ries ihm zu:

„Belle nur, Freundchen,, belle! Auch ein Mensch, der sich als gut-
gesinnt empfehlen ivill, muh jetzt wie ein Hund bellen."

Worotilvw hatte dreimal den Versuch gemacht, seinen Hund zu ver-
führen, bevor er ihm endgiltig sein Hab und Gut anvertraute. Er ver-
kleidete sich als Dieb (diese Kleidung stand ihm ganz vorzüglich) und
wählte eine finstere Nacht, um sein eigenes Lagerhaus zu bestehlen. Den
HuUd wollte er mit einer Brotrinde bestechen. Dieser aber beschnüffelte
sie nur und bis; dann seinen Herrn in die Wade. Ein andermal warf
er dem Hund eine Wurst vor und rief: Faß, Tresorka, sah! Tresorka
aber riß ihm einen Rockschoß ab. Als Worotilvw nun zum drittenmal
seinen Köter mit einem fettigen Rubelzettel verführen zu können glaubte,
erhob dieser ein solches Gebell, daß alle Hunde aus der Nachbarschaft zu
sammenliefen und sich wunderten, das; Tresorka seinen eigenen Herrn
so anbellte.

Worotilvw rief nun alle seine Hausgenossen zusammen und hielt
folgende Rede:

„Tresorka, ich vertraue dir jetzt alle meine Eingelveide, mein Hab und

mein Gut, meine Frau und meine Kinder, an, beschütze sie!.

Bringt ihm Spülicht!"

Wir wissen nicht, ob Tresorka die Rede seines Herrn verstand, oder
ob er nur seiner Hundenatur freien Lauf lieb, kurz, er bellte so fürchterlich
wie noch nie und übertras nun an Wachsamkeit alles bisher Dagewesene.
Bo» jetzt an schlief er nur noch mit einem Auge, mit dem andern spionirle
er fortwährend, ob nicht jemand seines Herrn Thür anfbrechen wolle.
Er legte sich wohl auch manchmal hin, wen» er müde war, rasselte aber

immer mit seiner Kette, als ob er sagen wollte: nehmt Euch in Acht!
Vergaß man ihn zu füttern, so betrübte ihn das durchaus nicht, im
Gegentheil, er freute sich sogar, denn er dachte: wenn man unsereinen
regelmäßig füttert, so wird er in kurzer Zeit so dick, dah er im eigenen Fett
erstickt! Gab man ihm einen Fußtritt, so betrachtete er das als eine noth-
wendige Warnung, denn wenn ein Hund nicht geprügelt wird, so kann
er übermüthig werden und seinen Herrn vergessen.

„Man muh mit uns Hunden sehr streng sein," sagte er; „nicht nur,
wenn wir es verdienen, sondern auch dann, wenn wir nichts verbrochen
haben, müssen wir geprügelt werden, Nur durch Prügel ktinn man uns
zu wahrhaft nützlichen Kötern erziehen!"

Tresorka war, mit einem Wort, ein Hund, der Grundsätze hatte und
der seine Fahne hochhielt; so das; andere Hunde mit Bewunderung zu
ihm aufblicken, die Schwänze einkneisen und gestehen mußten, daß sie von
einer so hohen Vollkommenheit noch iveit entfernt seien.

Obschon er die Kinder sehr lieb hatte, hütete er sich doch vor ihren
Verführungen. Seines Herrn Kinder kamen zuweilen zu ihm und sagten:

„Komm', Tresorka, wir wollen spazieren gehen!"

„Ich kann nicht!"

„Darfst du denn nicht?"

„Dürfen könnte ich wohl, aber ich habe kein Recht dazu!"

„Ach ivas! Komm' doch nur, Tresorka! Wir schleichen uns heim-
lich davon ... niemand soll es merken!"

„Aber das Gewissen?"

Um der Versuchung zu widerstehen, zog nun Tresorka den Schwanz
ein und verkroch sich in seine Hütte.

Einst hatten sich sogar einige Diebe verabredet, Tresorka ein Album
mit Ansichten aus der Schindangergegend zu verehre»; aber auch das war
vergebens und machte gar keinen Eindruck auf ihn.

„Ich brauche Eure Ansichten nicht," sagte er, „aus diesem Hose bin
ich geboren und hier will ich auch meine Laufbahn beschließen; was sollen
mir da die Ansichten nützen? Macht, daß Ihr sortkommt und führt mich
nicht in Versuchung!"

Aber eine schivache Seite hatte Tresorka dennoch: er war in die Kutjka
verliebt; zwar nicht immer, aber doch zeitenweise.

Kutjka war eine gute Hündin, die aus demselben Hofe lebte, aber keine
Grundsätze hatte; denn sie bellte häufig, auch wenn es gar nicht uölhig
war und bellte zuweilen nicht, iveun sie bellen sollte. Daher wurde sie
auch nicht an die Kette gelegt, sondern lief frei umher, hielt sich meistens
in der Küche auf und spielte mit den Kindern. Manche schmackhafte Bissen
hatte sie schon bekommen, aber dem Tresorka hatte sie niemals etwas ab-
gegeben. Dieser nahm es ihr auch gar nicht übel, denn sie war ja eine
Dame und Damen kann man manche Leckerbissen gönne». Wenn aber
Kutjkas Herz wonnevoll zu schlagen ausing, wenn sie leise zu winseln be-
gann und an der Küchenthür kratzte, damit man sie hinauslassen solle,
daun erhob Tresorka ein so wüthendes, charakteristisches Geheul, dah sein
Herr, der dieses Heulen zti deuten verstand, ihn schleunigst loskettcte und
dem Hausknecht Rikita befahl, einstweilen des Hundes Wachtdienst zu ver-
sehen. Tresorka und Kutjka liefen dann wonnetrunken und glückselig da-
von »nd eilten vor das Sserpuchowcr Thor.

Der Kaufmann Worotilvw war dann in übler Laune, und als nun
Tresorka von seinem Ausflug heimkehrte, wurde er mit Karbatschenhieben
empfange». Er war wohl auch von seiner Schuld überzeugt, denn anstatt
munter und schweifwedelnd seinem Herrn entgegenznkommen, >vie es jeder
brave Beamte thut, der seine Pflicht erfüllt hat, kroch er mit eingeknifsenem
Schlvanze heran; er heulte auch nicht unter den Peitschenhieben, sondern
winselte nur ganz leise: m,;a culpa, inea maxima culpa! Im Grunde
genommen war er aber viel zu gescheidt, um nicht einzusehen, daß sein
Herr, der ihn sv behandelte, einige Milderuugsgründe außer Acht ließ;
durch logische Erwägungen kam er aber dennoch zur lleberzengnng, dah,
würde man ihn in diesem Falle nicht gehörig durchhaue», er seine wahre
und achtbare Hundenatur einbüßen könnte.

Eine ganz besonders lobenswerthe Eigenschaft Trcsorkas >var sei»
gänzlicher Mangel an Ehrgeiz. Bon der Bedeutung eines Feiertages schien
er kaum einen richtigen Begriff zu haben; er wußte ivohl gar nicht, daß
die Kaufleute an einem solchen Tage ihre treuen Diener zu beschenken
pflegen; für ihn waren die Tage des heiligen Nikanor und der heiligen
Anfißa (die Namensfeste des Herrn »nd der Hausfrau) von keiner be-
sonderer Wichtigkeit, denn er bellte und sprang an seiner Kette umher, wie
an gewöhnlichen Werktagen.

„Willst du wohl still sein, abscheulicher Köter!" schrie ihn dann An-
fiha Karpowna an, „weißt du denn nicht, lvaS heute für ein Tag ist?"

„Ach, laß ihn doch nur bellen!" antwortete dann NikanorSsemjonhtsch
scherzend, „er gratulirt mir ja zum Namenstag! Belle nur, belle, mein
Tresorchen!"

Rur einmal schien so ctlvaS wie Ehrgeiz in ihm zu erwachen; das
war damals, als man einer Tagediebin, der stößigen Kuh seiner Herrin,
auf Verlangen des Stndthirtcn eine Glocke um den Hals gehängt hatte.
Als sic nun auf dem Hose »mherstolzirte und läutete, da beneidete sie Tre-
sorka wirklich und sagte betrübt:

„Bist du aber glücklich! lind wosür denn eigentlich, frage ich dich?
Denn das; du täglich einen halben Eimer Milch hergibst, ist doch kein Ver-
dienst! Die Milch kostet dich ja nichts und das Quantum hängt gar nicht

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Register
M. J. Ssaltykow-Schtschedrin: Eine treue Hundeseele
Gertrud Kleinhempel: Vignette
 
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