Nr. 18
JUGEND -
1901
verwässerten Wein der Urväter füllen. Vielleicht
wird eine lyrische Kunstpause, eine gründliche
Mauserung der gesammten Romantik erforderlich
sein, und das wäre das Schlimmste nicht.
Einstweilen wollen wir, unbekümmert um das
Schicksal unsrer altehrwürdigen Symbole, Mauern
niederreißen, die uns den Blick in die Weiten
und Tiefen des künstlerischen Schaffens unsrer
Zeit verwehren. Freiheit des Ausblicks ist schon fast
gar die Freiheit selber. Da ist Gottlob kein Acker-
feld menschlichen Wissens und Schaffens, das nicht
seinen poetischen hortulus deliciarum aufzuweisen
hätte. „Jugend" will aus ihnen bunte Sträuße
bringen. Heran, Ihr Gärtner, auch Ihr Aerzte
und Juristen, Ihr Humoristen und Essayisten, Ihr
Forscher und Publizisten, Ihr Biologen und Hi-
storiker, Ihr Philologen und Chemiker, laßt Eure
Herzen springen, noch ist sonniger Tag! Und
Poesie ist überall, wo sich unsere ge-
liebte Muttersprache zu künstlerischer
Verklärung feiner Gedanken fügt. Ganze
Bücher und Epen kann „Jugend" nicht brauchen;
lieber mehr Salz als zu viel Schmalz, in der Kürze
liegt die Würze.
Die Sprache, die ich liebe, ist ein einfaches und
ungekünsteltes Sprechen, das auf dem Papier nicht
anders ist als im Munde. Ein Sprechen mit Saft
und Kraft, kurz und gedrängt, nicht sowohl ge-
leckt und geschniegelt, als geradezu und nachdrück-
lich. Es sei eher schwerverständlich als langweilig,
es sei fern von Ziererei, regellos, abgerissen und
dreist. Jedes Bruchstückchen stelle Etwas für sich
vor. Es sei weder schulmeisterlicher, noch mönch-
ischer, noch advokatischer, sondern eher militärischer
Art- So nennt Sueton den Stil Julius Cäsars,
obgleich ich nicht recht weiß, warum er ihn so
bezeichnet.
Den letzten Absatz hat ein gewisser Mon-
taigne geschrieben. Ich möchte nur hinzufügen:
Militärisch fand Sueton den Stil Cäsars wohl
deßhalb, weil er unter allen Formen der
sprechenden Kunst den Nachkommen a in
meisten imponirt. Es ist auch der Stil
Luthers und Bismarcks und aller besten
Germanen. Unsere gesammte Spruchweisheit >ß
uach Inhalt und Form stärker als jene der Ro-
manen. Aber diese haben für die künstlerische
Jdealisirung der Sinne und Triebe eine allge-
meinere und beweglichere Wcrthschätzuug. Während
der germanische Philister „Kunst" nur da zu erblicken
wagt, wo etwas „Künstelei" dabei ist, wo sich
ein Bildlein betrachten oder ein Verslein nach-
plappern oder ein Liedlein hcrunterleiern läßt,
darf der französische Schriftsteller stolz von sich
sagen: „Nous untres artistes.“ Eine der fein-
sten modernen Nachwirkungen antiker Kultur.
Georg Hirtb
tumlina
2mal täglich
Auflage je 99000
Abonnement /llMi. 3.— pro (Quartal
bei allen Postanstalten
Lelereime und verbreiterte Leitung SüddetifscMands
Hervorragendstes Insertions-Organ.
Zeilenpreis 33 pf., im Aeklcnnetheil 60
28.4 b
JUGEND -
1901
verwässerten Wein der Urväter füllen. Vielleicht
wird eine lyrische Kunstpause, eine gründliche
Mauserung der gesammten Romantik erforderlich
sein, und das wäre das Schlimmste nicht.
Einstweilen wollen wir, unbekümmert um das
Schicksal unsrer altehrwürdigen Symbole, Mauern
niederreißen, die uns den Blick in die Weiten
und Tiefen des künstlerischen Schaffens unsrer
Zeit verwehren. Freiheit des Ausblicks ist schon fast
gar die Freiheit selber. Da ist Gottlob kein Acker-
feld menschlichen Wissens und Schaffens, das nicht
seinen poetischen hortulus deliciarum aufzuweisen
hätte. „Jugend" will aus ihnen bunte Sträuße
bringen. Heran, Ihr Gärtner, auch Ihr Aerzte
und Juristen, Ihr Humoristen und Essayisten, Ihr
Forscher und Publizisten, Ihr Biologen und Hi-
storiker, Ihr Philologen und Chemiker, laßt Eure
Herzen springen, noch ist sonniger Tag! Und
Poesie ist überall, wo sich unsere ge-
liebte Muttersprache zu künstlerischer
Verklärung feiner Gedanken fügt. Ganze
Bücher und Epen kann „Jugend" nicht brauchen;
lieber mehr Salz als zu viel Schmalz, in der Kürze
liegt die Würze.
Die Sprache, die ich liebe, ist ein einfaches und
ungekünsteltes Sprechen, das auf dem Papier nicht
anders ist als im Munde. Ein Sprechen mit Saft
und Kraft, kurz und gedrängt, nicht sowohl ge-
leckt und geschniegelt, als geradezu und nachdrück-
lich. Es sei eher schwerverständlich als langweilig,
es sei fern von Ziererei, regellos, abgerissen und
dreist. Jedes Bruchstückchen stelle Etwas für sich
vor. Es sei weder schulmeisterlicher, noch mönch-
ischer, noch advokatischer, sondern eher militärischer
Art- So nennt Sueton den Stil Julius Cäsars,
obgleich ich nicht recht weiß, warum er ihn so
bezeichnet.
Den letzten Absatz hat ein gewisser Mon-
taigne geschrieben. Ich möchte nur hinzufügen:
Militärisch fand Sueton den Stil Cäsars wohl
deßhalb, weil er unter allen Formen der
sprechenden Kunst den Nachkommen a in
meisten imponirt. Es ist auch der Stil
Luthers und Bismarcks und aller besten
Germanen. Unsere gesammte Spruchweisheit >ß
uach Inhalt und Form stärker als jene der Ro-
manen. Aber diese haben für die künstlerische
Jdealisirung der Sinne und Triebe eine allge-
meinere und beweglichere Wcrthschätzuug. Während
der germanische Philister „Kunst" nur da zu erblicken
wagt, wo etwas „Künstelei" dabei ist, wo sich
ein Bildlein betrachten oder ein Verslein nach-
plappern oder ein Liedlein hcrunterleiern läßt,
darf der französische Schriftsteller stolz von sich
sagen: „Nous untres artistes.“ Eine der fein-
sten modernen Nachwirkungen antiker Kultur.
Georg Hirtb
tumlina
2mal täglich
Auflage je 99000
Abonnement /llMi. 3.— pro (Quartal
bei allen Postanstalten
Lelereime und verbreiterte Leitung SüddetifscMands
Hervorragendstes Insertions-Organ.
Zeilenpreis 33 pf., im Aeklcnnetheil 60
28.4 b