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Nr. 18

1901

Alles bleibt beim Alten

Der Raiscr zum Präsidium
Speicht: „Ach, was ist die Presse dumm!
Ich lass' den Hcrgorr walten,

Ich bin durchaus nicht deprimirt,

Der Rurs wird wie bisher geführt,
Mcrkt's: Alles bleibt beim Alten!"

Und sich, da kommen übcr's Meer
Aus Albion Gesandte her,

Um Zwiesprach da zu halten,

Und horch, wie die Gesandten sind
„Entzückt" von dem Berliner wind —

Ja, alles bleibt beim Alten!

Der Rirchcncr siegt in Afrika,

Der Dcwcr ist noch immer da,

Auch Lotha sieht man schalten,

Der Bur zerstört die Eisenbahn,

Der Engelländce flickt sic dann —

Rurz, alles bleibt beim Alten.

In China zerrt man hin und her,
verwirft, nimmt an, kommt in die Omer,
verspricht und will nicht halten.

Noch immer ist'« wie schlechter wiy,

Der waldcrsce noch an der Spitz' —

Rurz, alles bleibt beim Alten.

Der Russe hat die Mandschurei,

Die Mächte Amoy — einerlei!

Mag X auch X erhalten,
verbürgt bleibt die Integrität
So sicher, wie im Buch sie steht —

Rurz, alles bleibt beim Alten.

In Preußen man nach riecht und Pflicht
Ranälc bauet oder nicht
Und läßt Zensoren walten,

Noch leidet der Agrarier noch,

Und noch ist ihm kein Zoll zu hoch —

Rurz, alles bleibt beim 2lltcn.

Das Zentrum, macht- und siegbewußt,
Läßt immer noch die Rampfcslust
Im Volke nicht erkalten,

Vertheidigt grimmig die Moral,

Die sich bewährt in jedem Fall —

Rurz, alles bleibt beim Alten.

Man kann nicht in die Rarren sch'n,
Minister bleiben oder gch'n
Nach eines Hähern walten,

Und alles, was ein Staatsmann spricht,
Ist: „Nichts Gewisses weiß man nicht!" —
Rurz, alles bleibt beim 2llten.

Noch immer ist's des Bürgers Pflicht,

Zu zahlen und zu schimpfen nicht,

Schon brav das Maul zu halten,

Noch immer der am besten fährt,

Der Papst und Gott und Raiscr ehrt —
Rurz, alles bleibt beim Alten.

Kilian

Liebe Jugend! Auf Deine Anfrage zeige ich
Dir an, daß ich mit meinen Worten

„Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen"*)
nicht an die „Medicin" des Malers Klimt in Wien
gedacht habe. EjetH

Mephistopheles.

*) Zaust I. Scene m. d. Schüler

. JUGEND '

Hba!

Die ultramontane Presse gerätst mit der vertsteidig-
ung Ciguori’s immer mehr ins Gedränge. So
schreibt ein bayerisches Lentrumsblatt: Der Münch-
ner Erzbischof hat, indem er erwähnte, daß der hl.
Alphonsus ursprünglich „Rechtsanwalt" war,
leise angedeutet, daß seine Kasuistische Me-
thode die Spuren juristischer Dezisionen trägt.

wie könnt Ihv nuv in böser Schadenlust
Den Sittlichsten der Nlenschen so verkennen!
Zwei Seelen wohnten, ach, in seiner Brust
Und eine müßt Ihr von der andern trennen!

Zur Hälfte war der heil'gc Mann ein Christ
Von höchster Tugend und von reinster Mystik —
Zur andern Hälfte war er ein Jurist
Und zugethan verzwickter Rabulistik!

Doch selbst so wunderliche Thcilung bringt
Die Rechnung immer noch nicht in die Reihe —
wer weiß, was einem Heiligen gelingt:

Am Ende hatte er der Hälfte» Dreie!

Das mag der Wunderschlüssel sein, womit
Man dieses Wesens dunkle Rärhscl löste:

Zur dritten Hälfte war er ein Jesuit-

Und diese Hälfte, glaub' ich, war die größte!

Jim

Deplacirter Husdruch

„wie gefällt Dir denn heut' mein Lou-
stnchen?"

„Vffen gestanden: nichtsehr. Sie ist heut
Abend so außerordentlich — zugeknöpft!"

Tagesgespräche

„Wünschen Sie eine» Kardinal?" sagteein
Kölner zu einem bayerischen Staatsmann,
indem er ihm eine Prise anbot.

„Danke," lächelte der Staatsmann fein, „mir
genügen die billigeren Sorten."

Ein Vertreter des ärztlichen Standes be-
klagte sich gegen Bülow über das Kurpfuscher-
thum.

„Sie haben es besser als unsereins!" tröstete
ihn der Reichskanzler. „Sie dürfen betreffs der
Pfuscher wenigstens den Mund aufthunl"

vr. Stübel batte in London mit englischen
Diplomaten Verhandlungen gepflogen und ver-
ließ sichtlich befriedigt den Saal.

„Wenn der," lachte einer, „uns wirklich alles
glaubt, so muß es dem vr. Stübel im Oberstübel
fehlen!"

„Warum seid's denn net in Spanien blieben?"
fragteein Oesterreicher einen der einge-
wanderten Jesuitenpaters. „Was wollt's
denn bei uns?"

„Spanien haben wir bereits glücklich gemacht,"
lächelte der Pater milde, „aber bei euch Oester-
reichern fehlt noch ein klein bißl!"

Die Deutschen behaupteten: die Russen, und
diese behaupteten: die Deutschen hätten Walder-
see zuerst zum Oberbefehlshaber vorgeschlagen.

„Recht schmeichelhaft für mich!" seufzte der
Graf, als er davon las. „Jetzt will's keiner ge-
wesen sein."

„Mich können s' net verurtheilen I" sagte
Kneißl, der eben in einer Zeitung gelesen hatte,
zu einem Wärter. „Wenn's zur Verhandlung
kimmt, bin i unschuldi!"

„Was bildfl Dir denn Du ein?" lachte dieser,

„No, der Redemptoristenpater Seidel hat doch
erklärt, der Liguori hält' ganz recht — wenn a
Frau an Ehbruch begangen und den beichl hat,
nacha kann s' mit vollem Recht sagm: ,J bin
unschuldi-' Etz laßt's mir nur glei an Hochwür-
den kcmma!"

wiener 5chnitzel

Man hat Oesterreich einen Operettenftaat genannt,
Ein schlechterer Libretto ilt niemals gelchrieben
worden.

Untere Lhristlich-Socialen entrüsten sich über
den rohen Ton der lladicalen. gealterte Sünder-
innen pflegen kehr strenge zu werden, wenn fie
leibst nicht mehr fündigen können.

Der böhmische Eöwe schluckt die bittersten Pillen
der schwarzen Doktoren, wenn man ihm zuvor
einige Deutsche zum Treffen gegeben hat.

Der Boden der österreichischen Staatskasse ili
der Boden für den Jetzigen nationalen Trieden.

Gespräch zweier Pultdcckel.

Der eine Pultdeckel: Untere Zeit ist ai s
10as waren das für herrliche Stunden, da ich noch in
der Euft geschwungen wurde. 0 wäre ich a r<
Schädel eines Abgeordneten zersplittert und den
(Tod der Helden gestorben!

Der andere Pultdeckel: Beruhige Dich!
Sie werden auch nicht immer reden', das ist un-
natürlich. Daß Ne nur mit Bahnen und Kanälen
anfangen; enden werden fie doch bei uns.
10ir können warten .... --

290
Register
Walter Caspari: Deplacirter Ausdruck
[nicht signierter Beitrag]: Gespräch zweier Pultdeckel
[nicht signierter Beitrag]: Wiener Schnitzel
[nicht signierter Beitrag]: Tagesgespräche
Jim: Aha!
Kilian: Alles bleibt beim Alten
[nicht signierter Beitrag]: Notiz
 
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