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Nr. 21

. JUGEND -

1901

G. E. Dodge t

6s Mehen drei gesellen ...

£5 fliehen drei GeTcllen
Den Kahn wohl ab vom Land.

So lagt mir rasch noch Stand und Jlrt,
Woher des Wegs? wohin die Sahrt?

— Sie sah'n mich nicht und sangen
Und winkten mit der l)and.

Sie sangen laut ;u Dreien:

„Wir fahren einer Zungfrau nach,

Die hat zwei Lippen süh und roth,

Das Kuder schlägt, es schießt das Lost,
wir wollen die Zungfrau freien,

LH' dah die Nacht anbrach.

Ls muh aus ihrem I)aare
Von Sonne wohl ein Krönlein sein,

Das thut so gülden brennen,

Sollen wir die Zungfrau nennen?
wird Zungfer Glück geheißen
Im Lande au; und ein!"

Die Kuder tauchen nieder,

Dnd hörte nimmer ihren Schlag.

Gott gnad', wohin der 'wind auch bläst,
Die Seel' wird frei, der Leib verwest,

Ich glaub', ich seh' euch wieder
Wohl erlt am jüngsten Lag.

ßarl Hülfe

Momentbilder

sub specie aeternitatis

Der Cügenmacber

Es war einmal ein Mann, dem ein Zauberer
verliehen hatte, daß er die Menschen lügen machen
konnte, so oft er wollte. Wie es Menschen gibt,
vor deren Blick die Wahrheit wie von selbst über
die Lippen tritt — so ging von dem Willen Jenes
ein Zwang aus, der die Gedanken der Menschen
schon an ihrer Quelle verkehrte und umfärbte.
Denn das ist die oberflächlichste, verwischbarste Lüge,
die nur das Wort anderswohin schickt, als die
Gedanken gehen: Die gehört kaum dem Menschen
selbst zu, sie entsteht nur an der Grenze zwischen
ihm und der Außenwelt, Die eigentliche Lüge ist

die, wo das Wort dem Gedanken gemäß ist, aber
der Gedanke selbst der tieferen Wirklichkeit in uns
widerspricht; wo die Seele in sich selbst gebrochen
ist und glaubt, wovon sie doch weiß, daß sie es
nicht glaubt. Mit der Wollust eines Folterknechts
zerbrach er so die Menschen und entließ sie mit
den Narben der Schmach, gelogen zu haben. —
Einmal liebte er ein Mädchen, und wußte, daß
sie ihm fremd und kalt war und daß sie cs immer
bleiben würde; zwischen ihnen war ein Abgrund,
den wohl die Liebe überspringen konnte, über den
es aber sonst keine Brücke gab. Sie war gleich-
giltig gegen ihn, aber nicht, wie man es gegen
irgend einen Vorübergehenden ist, sondern mit
der Gleichgiltigkeit, die ein ganz positives Gefühl,
nicht das Ausbleiben eines Gefühles ist — irgend
ein drittes Jenseits von Liebe und Haß, das zu
keinem von beiden werden kann. Er wußte, daß
sie nur Nein sagen durfte. Aber er konnte der
Versuchung nicht widerstehen, seine Macht zu üben:
er zwang sie, ja zu antworten, — nicht obgleich
es eine Lüge war, sondern gerade weil es eine
war. Denn nicht nur mit den Lippen mußte sie
es sagen, sondern auch mit irgend einem Stück
ihres Ich, das oberhalb ihres Herzens lag, mit
irgend einer Schicht, die sie nicht verleugnen
konnte und die die Seele ihrer Seele doch immerzu
Lügen strafte. Sehr bald nun fühlte er die Un-
erträglichkeit der Existenz, die die Frau neben ihm
führte, das Unglück im Unglück, daß sie ihn nicht
einmal von Herzen hassen konnte, sondern ein
verlogenes Gefühl für ihn aufbringen mußte. Und
so hatte er sich doch getäuscht, wie alle, die meinen,
daß man in einem engen Verhältniß auf Kosten
eines Andern glücklich sein kann. Und wie sie so
elend nebeneinander hiulebten, kam ihm einmal
der Gedanke, seine Kraft des Lügenmachens an
sich selbst zu versuchen: sich selbst glauben zu
machen, daß sie beide glücklich wären. Das gelang
vortrefflich, und nun war alles so gut, wie es
sein konnte — wenigstens fast so gut. Jetzt wußte
er erst, wie gut es der Zauberer mit ihm gemeint
hatte.

Die Düse

Unter den vielen Prozessen zwischen der Seele
und dem Leib, die nach jeder Entscheidung doch
gleich an eine höhere Instanz weitergehu, ist auch
einer beim ästhetischen Gerichtshof anhängig. Das
Wesen der Seele ist Bewegung. Wenn der griech-
ische Philosoph leugnete, daß wir zweimal in den-
selben Fluß hinabsteigen könnten und der andere
dies nicht einmal zu können meinte, weil die
Strömung schon während unseres Hinabsteigens
eine andre würde — so ist nichts so sehr dieser

Strom, wie unsre Seele. Darum scheint er, datz
der Körper nur in Bewegung der rechte Ausdruck
ihrer Schönheit sein könnte, im Blick des Auges,
in dem Fluß der Sprache, in der gleitenden
Schönheit der Geste. Aber wir stellen doch an
die Anschauung noch eine andere ideale Forderung:
jeder Moment für sich, losgelöst von seinem Vor-
her und Nachher, nicht als Durchgangspunkt eines
absatzlosen Geschehens, bedarf einer besonderen
Schönheit. Was im Zusammenhänge fließender
Bewegung sinnvolle Schönheit hat, verliert sie oft,
wenn es zum Selbstzweck und dauerndem Gebilde
gerinnen soll; und die gehaltene Bedeutsamkeit
des Bildes verträgt es nicht, in den raschen Fluß
des Handelns getaucht und aufgelöst zu werden:
die Schönheit der Erscheinung, die als Statue
gilt, folgt anderen Idealen als der Reiz der Ge-
berde. Und doch, von jedem Moment, in dem
wir uns darbieten, werden beide gefordert: als
Moment des Handelns soll er sich mit allem Sinn
und Tiefe der Seele schmücken und zugleich der
bloßen Anschauung die blos bildhafte Schönheit
gewähren.

Wem wäre der Konflikt zwischen den beiden
Gesetzgebungen noch nicht zur Pein geworden:
die ästhetische Unzulänglichkeit dessen, woraus doch
die tiefste Seelenhaftigkeit spricht — und die innere
Leerheit der Erscheinung, die „zur Statue enr-
geistert", das Auge mit dem Wohllaut ihrer Linien
füllt. Aber ich habe einmal die Düse an einem
Abend gesehn, wo sie müde oder indisponirt war
und wo sie uns deshalb mehr Freiheit gab, ihre
Kunst zu bestaunen, während sie uns sonst eine
leidenschaftliche Erregung mittheilt, die den rein
artistischen Genuß umwölkt. Und so wurde mir
das Einzige dieser Künstlerin klar: daß sie in
jedem Augenblick, den wir aus ihrer Bewegung
herauslösen, den wir als dauerndes, gegen alle
Seele gleichgiltiges Bild festhalten mögen, unbe-
greiflich schön ist — und daß sie zugleich, in der
Summe all dieser Augenblicke, in ihrer Bewegung,
der vollkommenste, restlose Ausdruck der Seele
und ihrer Strömungen ist. Indem der seelische
Sinn des Lebens ihr zur anschaulichen Schönheit
des Bildes wird, läßt sie uns ahnen, daß, was
wir Schönheit nennen, die Einheit jener streiten-
den Mächte sein mag. Denn was haben Körper
und Seele sonst gemein? Nur die Schönheit kann
dem einen zu Theil werden wie dem andern, sie
ist der Punkt, an dem sie, über sich selbst erhöht,
sich begegnen. Das mögen die Philosophen sich
auch schon sonst ausgedacht haben. Aber so ge-
lehrt, daß der ganze Mensch und nicht nur der
Philosoph es begriff, hat es mich erst die Düse.

Cr. 8,

3:6
Register
G. S.: Momentbilder sub specie aeternitatis
George Ernest Dodge: Zierleiste
Carl Busse: Es stießen drei Gesellen
 
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