1901
JUGEND
Nr. 25
Bei der Toilette
von Banns von Spielberg
Osfizierzimmer in der Kaserne eines Gardekavallerie-
Regiments. Die Einrichtung, sehr ungleichmäßig,
setzt sich aus einfachen, gelieferten Stücken und
einzelnen, sehr eleganten Möbeln zusammen. Vor-
der üppigen Chaiselongue ein sehr schlichter Tisch.
Zwischen den beiden Fenstern ein Toilettenschränk-
chen mit hohem Trumeau. In der Ecke ein alter
Sekretär. Echte Teppiche und schwere Vorhänge. Auf
dem Tisch in der Mitte Bücher, Journale, eine Flasche
Hennessy 8. V. 0., Cigarettenkästchen. Auf dem Se-
kretär Bücher, eine Photographie des Fürsten Bis-
niarck in iverthvollem Bronzerahmen, ein Paar
Sporen und eine Bartbinde. An den Wänden Pserde-
bilder und Familienporträts. Das Zimmer erfüllt
von dichtem, süßlichem Cigarettendust.
Oberleutnant Runo Frhr. von Bolenkusen.
26 Jahre. Schlanke, elegante Figur, scharfgeschnit-
tenes, etwas fanirtes Gesicht. Haupthaar blond, schon
ein wenig gelichtet; starker, sorgfältig gepflegter
Schnurrbart. Ausfallend kleine Füße und Hände.
Rittmeister Rarl Graf plarow. 32 Jahre.
Sehr groß und hager. Energisches Gesicht. Habichts-
nase. Graumelirtes, ganz kurzgeschnittenes Haar:
kleiner, stark aufgesetzter Schnurrbart.
Bolenkusen (steht vor dem Spiegel in seidenen
Unterbeinkleidern, seidenem Hemd mit Leinenman-
chetten, nestelt am Kragen herum, gleitet ein Paar
Mal mit dem Zeigefinger über das Haar,
beugt sich ein wenig nach vorn): „Verdammt
dünn schon! Die Blätter fallen — Herbst-
zeit — bissel früh, scheint es..."
Die Thür geht. Graf Platow tritt ein, in
voller Uniform, Helm aus dem Kopf.
Graf plarow: ,,'n Tag, Kuno —"
Bolenkusen (ohne sich umzuwenden):
„'Morgen, Contel Verzeih — ich bin gleich
fertig. Nimm Dir 'neu Cognak!"
Graf platow (nickt, setzt den Helm aus
den Tisch, zieht sich einen Schaukelstuhl her-
an, schenkt sich einen Hennessy ein und trinkt
in ganz kleinen Zügen): „Laß Dich nicht
stören!"
Pause. Bolenkusen bearbeitet seinen
Schnurrbart mit der Bürste, feuchtet ihn mit
einer Essenz an, legt die Schnurrbartbinde
um. Graf Platow kramt unter den auf den
Tisch liegenden Cigarettenschachteln, zieht aber
dann eine Cigarette aus denr eigenen Etui vor.
Bolenkusen (der letzteres im Spiegel
beobachtet hat): „Schlemmerl"
Graf platow: „Ich bin nu mal meine
Parsimon gewohnt —"
Bolenkusen: „Was sagte denn der
Oberst?"
Graf platow (die Achseln hochziehend):
„Das Uebliche. Aufrichtiges Bedauern, even-
tuell solch schneidigen Offizier verlieren zu
müssen. Aber die Chose müsse bis morgen
Mittag geordnet sein. Sonst —"
Bolenkusen (seine Nägel feilend):
„Sonst —"
Graf platow: „Versetzung beantragen
— Linie —"
Bolenkusen (mit einem bitteren Lachen):
„Als ob ich die Manichäer damit los würdet"
Pause. Der Gras steckt sich eine neue Ci-
garette an. Bolenkusen wendet sich plötzlich
um, schenkt sich einen Cognak^ein, gießt ihn
hastig herunter. Trotz aller Selbstbeherrsch-
ung zittert seine Hand dabei leise. IzäUudeiN
halben Jahr... na, was thut man in solcher Lage
nicht..."
Graf platow: „Und die kleinen Mädchen?"
Bolenkusen: „Pah!"
Pause. Bolenkusen nimmt von den über einen
Stuhl gelegten Kleidern das Beinkleid und beginnt
es anzuziehen. Der Graf wippt sich auf seinem Fau-
lenzer hin und her.
Bolenkusen: „Und was nun?"
Graf platow (gedehnt): „Melanie —"
Bolenkusen: „Pfui Geier!"
Graf plarow (lächelnd): „Nicht gerade höflich
ausgedrückt — das! Ich möchte Dir auch rathen,
mein Lieber, Dich nicht so unvorsichtig mit Kraft-
ausdrücken festzunageln. So was ist immer un-
praktisch. Gar einer — einer Dame gegenüber, die
mindestens ihre Million schwer ist."
Bolenkusen (im Begriff, in die Stiefeln zu stei-
gen; ärgerlich lachend): „... und mindestens 200
Pfund! Ich danke ergebenst."
Graf plarow: „Na ja — bissel üppig ist
Frau Melanie ja. Was so unsere Berliner 'ne
komplette Frau nennen. Alles da... nicht wie bei
— bei armen Leuten. Paßt bei ihr ja dop-
pelt. Aber 's ist doch auch 'n stattliches
Frauchen, gut aussehend, recht chik — alles
was wahr ist. Uebrigens sind die Rund-
lichen immer die bequemsten Frauen. Was
so die dürren sind, die haben mehrschten-
deels den Satan im Leibe."
Bolenkusen: „Conte, Du sprichst wie
der Jud beim Pferdeschacher. Kriegst Du
Perzente?"
Graf plarow: „Nich n' kleinsten Kup-
pelpelz, mein Junge — leider. Aber laß
uns nu mal vernünft'g reden. Sieh' mal:
Melanie's Erster war Brauer — Brauerei-
besitzer! Schön. . . oder nicht grade schön,
wirst Du sagen. Lieber Himmel, schließ-
lich leben wir im 20. Jahrhundert... na,
und sind die Tuchers und die Pappenheims
und so nich auch Brauer? Und sind unsere
Onkels und Vettern nicht mehrschtendeels
auch Spritbrenner? Je höher 's Kontin-
gent, desto besser. Was?! Also: Non ölet!
Non ölet l Und Melanie selber? An ihren
Ruf ist nich zu tippen, und die Art, wie
sie sich so allmählich in der Gesellschaft 'n
Positiönchen — so zu sagen — geschaffen
hat, war so übel nicht. Aber Du hörst ja
gar nicht, Kuno?"
Bolenkusen: „Doch... doch: ich höre!"
Graf platow (sich ausrichtend, auf je-
dem Knie eine Hand): „Im Alter stimmt
Ihr so ziemlich — wenn das in Deiner
Situation auch nicht 'mal entscheidend ist,
besser ist's doch. In Geldsachen ist sie ganz
unzweifelhaft anständig. Ich will nicht
sagen, daß sie Dir nu gleich ihr Checkbuch
zur beliebigen Benutzung übergeben würde.
Dazu ist sie zu helle — was auch wieder
gut ist. Aber sie würde Dich anstandslos
rangiren — und das Vermögen ist groß
genug, daß Ihr dann ganz nach Eurenr
Geschmack Euren Train führen könntet.
Mein alter Kuno, bedenke, was das heißt:
Willst Du den Rock anbehalten — schön!
dann kannste 'n Haus machen, kannst Dir
'n Rennstall zulegen. Willst Du lieber auf
eigner Scholle sitzen — kauft Ihr Euch 'ne
hübsche Klitsche. Willst Du faulenzen —
schneid'st Du einfach die Coupons ab und
Ignat. Taschner (München) reist durch die Welt. So oder so: immer
Bolenkusen (impulsiv): „Und Du kannst mir
wirklich nicht helfen, Karl? Du wärst der Einzige
— die letzte Hoffnung —"
Graf plarow (warm): „Armer Kerl! Auf
Wort, aber — ich kann's nicht! Achtzig Mille, ich
bist' Dich! Ehrlich gestanden: Du hast's n' bissel
arg getrieben in den letzten Jahren."
Bolenkusen: „Jawohl! S' ist ja immer die
alte Geschichte. Aufgezogen wie n' Prinz, in eins
von unfern 'Ämtern gesteckt, mit zu kleiner Zulage,
Schulden, Beichten, wieder Schulden, wieder Beich-
ten. Dann thut der gute alte vergrämte Herr die
Augen zu, der kleine Rest der Erbschaft ist im Nu
hin — je weniger man hat, desto mehr braucht
man ja — schon aus Verzweiflung — Unglück
mit einem Paar Pferden — voila touti Wozu
zähl' ich Dir's eigentlich auf I Na, Entschuldigung
ist's wahrhaftig nicht, und als Erklärung hast Du's
wohl schon öfter genossen."
Graf plarow: „Stimmt! Blos das verfluchte
jeu hast Du vergessen."
Bolenkusen (zuckt die Achseln): „Du weißt es
selbst. Ich war keine cken-Ratte. Erst im letzten
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Nr. 25
Bei der Toilette
von Banns von Spielberg
Osfizierzimmer in der Kaserne eines Gardekavallerie-
Regiments. Die Einrichtung, sehr ungleichmäßig,
setzt sich aus einfachen, gelieferten Stücken und
einzelnen, sehr eleganten Möbeln zusammen. Vor-
der üppigen Chaiselongue ein sehr schlichter Tisch.
Zwischen den beiden Fenstern ein Toilettenschränk-
chen mit hohem Trumeau. In der Ecke ein alter
Sekretär. Echte Teppiche und schwere Vorhänge. Auf
dem Tisch in der Mitte Bücher, Journale, eine Flasche
Hennessy 8. V. 0., Cigarettenkästchen. Auf dem Se-
kretär Bücher, eine Photographie des Fürsten Bis-
niarck in iverthvollem Bronzerahmen, ein Paar
Sporen und eine Bartbinde. An den Wänden Pserde-
bilder und Familienporträts. Das Zimmer erfüllt
von dichtem, süßlichem Cigarettendust.
Oberleutnant Runo Frhr. von Bolenkusen.
26 Jahre. Schlanke, elegante Figur, scharfgeschnit-
tenes, etwas fanirtes Gesicht. Haupthaar blond, schon
ein wenig gelichtet; starker, sorgfältig gepflegter
Schnurrbart. Ausfallend kleine Füße und Hände.
Rittmeister Rarl Graf plarow. 32 Jahre.
Sehr groß und hager. Energisches Gesicht. Habichts-
nase. Graumelirtes, ganz kurzgeschnittenes Haar:
kleiner, stark aufgesetzter Schnurrbart.
Bolenkusen (steht vor dem Spiegel in seidenen
Unterbeinkleidern, seidenem Hemd mit Leinenman-
chetten, nestelt am Kragen herum, gleitet ein Paar
Mal mit dem Zeigefinger über das Haar,
beugt sich ein wenig nach vorn): „Verdammt
dünn schon! Die Blätter fallen — Herbst-
zeit — bissel früh, scheint es..."
Die Thür geht. Graf Platow tritt ein, in
voller Uniform, Helm aus dem Kopf.
Graf plarow: ,,'n Tag, Kuno —"
Bolenkusen (ohne sich umzuwenden):
„'Morgen, Contel Verzeih — ich bin gleich
fertig. Nimm Dir 'neu Cognak!"
Graf platow (nickt, setzt den Helm aus
den Tisch, zieht sich einen Schaukelstuhl her-
an, schenkt sich einen Hennessy ein und trinkt
in ganz kleinen Zügen): „Laß Dich nicht
stören!"
Pause. Bolenkusen bearbeitet seinen
Schnurrbart mit der Bürste, feuchtet ihn mit
einer Essenz an, legt die Schnurrbartbinde
um. Graf Platow kramt unter den auf den
Tisch liegenden Cigarettenschachteln, zieht aber
dann eine Cigarette aus denr eigenen Etui vor.
Bolenkusen (der letzteres im Spiegel
beobachtet hat): „Schlemmerl"
Graf platow: „Ich bin nu mal meine
Parsimon gewohnt —"
Bolenkusen: „Was sagte denn der
Oberst?"
Graf platow (die Achseln hochziehend):
„Das Uebliche. Aufrichtiges Bedauern, even-
tuell solch schneidigen Offizier verlieren zu
müssen. Aber die Chose müsse bis morgen
Mittag geordnet sein. Sonst —"
Bolenkusen (seine Nägel feilend):
„Sonst —"
Graf platow: „Versetzung beantragen
— Linie —"
Bolenkusen (mit einem bitteren Lachen):
„Als ob ich die Manichäer damit los würdet"
Pause. Der Gras steckt sich eine neue Ci-
garette an. Bolenkusen wendet sich plötzlich
um, schenkt sich einen Cognak^ein, gießt ihn
hastig herunter. Trotz aller Selbstbeherrsch-
ung zittert seine Hand dabei leise. IzäUudeiN
halben Jahr... na, was thut man in solcher Lage
nicht..."
Graf platow: „Und die kleinen Mädchen?"
Bolenkusen: „Pah!"
Pause. Bolenkusen nimmt von den über einen
Stuhl gelegten Kleidern das Beinkleid und beginnt
es anzuziehen. Der Graf wippt sich auf seinem Fau-
lenzer hin und her.
Bolenkusen: „Und was nun?"
Graf platow (gedehnt): „Melanie —"
Bolenkusen: „Pfui Geier!"
Graf plarow (lächelnd): „Nicht gerade höflich
ausgedrückt — das! Ich möchte Dir auch rathen,
mein Lieber, Dich nicht so unvorsichtig mit Kraft-
ausdrücken festzunageln. So was ist immer un-
praktisch. Gar einer — einer Dame gegenüber, die
mindestens ihre Million schwer ist."
Bolenkusen (im Begriff, in die Stiefeln zu stei-
gen; ärgerlich lachend): „... und mindestens 200
Pfund! Ich danke ergebenst."
Graf plarow: „Na ja — bissel üppig ist
Frau Melanie ja. Was so unsere Berliner 'ne
komplette Frau nennen. Alles da... nicht wie bei
— bei armen Leuten. Paßt bei ihr ja dop-
pelt. Aber 's ist doch auch 'n stattliches
Frauchen, gut aussehend, recht chik — alles
was wahr ist. Uebrigens sind die Rund-
lichen immer die bequemsten Frauen. Was
so die dürren sind, die haben mehrschten-
deels den Satan im Leibe."
Bolenkusen: „Conte, Du sprichst wie
der Jud beim Pferdeschacher. Kriegst Du
Perzente?"
Graf plarow: „Nich n' kleinsten Kup-
pelpelz, mein Junge — leider. Aber laß
uns nu mal vernünft'g reden. Sieh' mal:
Melanie's Erster war Brauer — Brauerei-
besitzer! Schön. . . oder nicht grade schön,
wirst Du sagen. Lieber Himmel, schließ-
lich leben wir im 20. Jahrhundert... na,
und sind die Tuchers und die Pappenheims
und so nich auch Brauer? Und sind unsere
Onkels und Vettern nicht mehrschtendeels
auch Spritbrenner? Je höher 's Kontin-
gent, desto besser. Was?! Also: Non ölet!
Non ölet l Und Melanie selber? An ihren
Ruf ist nich zu tippen, und die Art, wie
sie sich so allmählich in der Gesellschaft 'n
Positiönchen — so zu sagen — geschaffen
hat, war so übel nicht. Aber Du hörst ja
gar nicht, Kuno?"
Bolenkusen: „Doch... doch: ich höre!"
Graf platow (sich ausrichtend, auf je-
dem Knie eine Hand): „Im Alter stimmt
Ihr so ziemlich — wenn das in Deiner
Situation auch nicht 'mal entscheidend ist,
besser ist's doch. In Geldsachen ist sie ganz
unzweifelhaft anständig. Ich will nicht
sagen, daß sie Dir nu gleich ihr Checkbuch
zur beliebigen Benutzung übergeben würde.
Dazu ist sie zu helle — was auch wieder
gut ist. Aber sie würde Dich anstandslos
rangiren — und das Vermögen ist groß
genug, daß Ihr dann ganz nach Eurenr
Geschmack Euren Train führen könntet.
Mein alter Kuno, bedenke, was das heißt:
Willst Du den Rock anbehalten — schön!
dann kannste 'n Haus machen, kannst Dir
'n Rennstall zulegen. Willst Du lieber auf
eigner Scholle sitzen — kauft Ihr Euch 'ne
hübsche Klitsche. Willst Du faulenzen —
schneid'st Du einfach die Coupons ab und
Ignat. Taschner (München) reist durch die Welt. So oder so: immer
Bolenkusen (impulsiv): „Und Du kannst mir
wirklich nicht helfen, Karl? Du wärst der Einzige
— die letzte Hoffnung —"
Graf plarow (warm): „Armer Kerl! Auf
Wort, aber — ich kann's nicht! Achtzig Mille, ich
bist' Dich! Ehrlich gestanden: Du hast's n' bissel
arg getrieben in den letzten Jahren."
Bolenkusen: „Jawohl! S' ist ja immer die
alte Geschichte. Aufgezogen wie n' Prinz, in eins
von unfern 'Ämtern gesteckt, mit zu kleiner Zulage,
Schulden, Beichten, wieder Schulden, wieder Beich-
ten. Dann thut der gute alte vergrämte Herr die
Augen zu, der kleine Rest der Erbschaft ist im Nu
hin — je weniger man hat, desto mehr braucht
man ja — schon aus Verzweiflung — Unglück
mit einem Paar Pferden — voila touti Wozu
zähl' ich Dir's eigentlich auf I Na, Entschuldigung
ist's wahrhaftig nicht, und als Erklärung hast Du's
wohl schon öfter genossen."
Graf plarow: „Stimmt! Blos das verfluchte
jeu hast Du vergessen."
Bolenkusen (zuckt die Achseln): „Du weißt es
selbst. Ich war keine cken-Ratte. Erst im letzten
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