Nr 25
JUGEND
1901
Marterl
UOrt Kassian Kluibcnschedl, Tulkelemaler
Gpitapb auf einen parlamentarischen Pultdeckel
Aus dem ohnedieß arg strapazieren Staatssäckel
Wurde unter Anderem auch angeschafft dieser Pultdeckel.
Selbst sein gehobelt, mußte er oft ;u einem Mordsspektakel
Wider Willen dienstbar sein manchem ungehobelten Lackel.
Nachdem wir nach der neuesten deutsch-tschechischen Anbandlung
Uns bekehrten zu einer höflicheren parlamentarischen
Verhandlung,
Wurde auch dieses unschuldige Brett, leider schon halb zerfetzt,
Zu der wohlverdienten Ruhe feierlich beigesetzt.
Laßt uns für den selig Entschlafenen sprechen ein frommes Gebet,
Daß er ja nicht eines Tages wieder aufersteht.
Sein bewegter Lebenswandel kommt nicht auf sein Schuldenblatt
Er war nur ein mißbrauchtes Werkzeug. Requiescat.
S »
iV|
Id
i t
Äii;
Oefterreict)ifd)c$ Äiegenlieä
von Pater Scruazius Kimmclkrajler
Schlaf', Lindlein, schlaf',
Sei fromm als wie ein Schaf
Zn unschuldswcißcn Vvsllcnflockcn,
Laff' Dich nicht los von Rom weglocken —
wir decken Dich mit Lutten zu
Fein säuberlich, dann hast Du Ruh'.
Schön finster ist's im ganzen Land,
wir fitzen an der wiege Rand,
Dich gar getreulich zu behüten,
wir Jesuiten.
Schlaf', Lindlein, schlaf',
Am End' wirst römischer Graf,
Dann kannst in Deinen Lebenslagen
Du auch noch ein Monokel tragen —
Und wenn sich endet Deine Zeit,
Stirbst Du im Ruf der Heiligkeit.
Man malt Dich an der Rirchcn wand,
wir schaukeln sacht Dein wicgcnband,
Dich rettend vor des Satans wüthen,
wir Jesuiten.
Das k)aus IcKmemerrn'n'mtcK
Entworfen von st. M. Alberich
Die Lage des Hauses mit der Hauptfront nach
Südwesten, das ich für mich erbaute, drückt die
Grundlagen meines Wesens aus: feuriges, südliches
Temperament mit einer starken Vorliebe für guten
Bordeaux. Das flache Bauterrain kennzeichnet die
Plattheit des alltäglichen Lebens, über welches mich
ineine Kunst einstöckig hinaushebt. Ich bin Jung-
geselle, was durch die Einsamkeit der Lage drastischen
Ausdruck findet. Durch die Wendung meiner Rück-
seite gegen Nordnordost bezeige ich meine Abneig-
ung gegen einen Onkel in Königsbergs Um den
Kontrast zwischen der Mitwelt, die mich nicht ver-
steht, und meinem Wesen klarzulegen, ist die Um-
gebung des Hauses auf 100 Meter im Umkreis in
eine Sandwüste umgewandelt. In dieser erhebt sich
das Haus Jchmeinermirmich mit Macht senkrecht auf-
steigend, in seiner Bedeutung durch Baumsilhouetten
nirgends beeinträchtigt.
So stehe ich in der Welt!
In einsamer Größe!
Das Haus ist ganz glatt. Damit es würdig, ja
kostbar, aber nach außen bescheiden sei, wie mein
Wesen, ist es als solider Bau aus Backsteinen aus-
geführt, aber nach außen mit Mörtel beworfen und
grau gestrichen.
Oer Vorruum
Der Vorraum soll nicht nur Gelegenheit bieten,
Regenschirm und nasse Galoschen abzulegen, sondern
auch schon auf den Geist des Besitzers vorbereiten.
Er ist in einer Harmonie von Bordeauxroth, Wein-
gelb und Flaschengrün gestrichen. Links der Kleider-
rechen erweckt in dem Besucher den Gedanken: hier
kannst Du Deinen Ueberzieher aufhängen! Rechts
hängt kein Spiegel, daraus hinweisend, daß dem Be-
sitzer alle äußerliche Eitelkeit fremd ist. Dieser schlichte
Sinn offenbart sich auch in denr Fehlen einer Tapete.
Alle diese Empfindungen wurden nach meinen Zeich-
nungen ausgeführt!
Oie F)alle
Ein mittelgroßer kubischer Raum, der in dem
Besucher sofort das Gefühl wach ruft: Hier befindest
Du Dich nicht uiehr im Freien. Er ist nach meinen
Entwürfen weiß getüncht, mit einer tiesschmerzlichen
rothen Linie oben, die das Weh des Nochnichtvoll-
ständigallenirdischeublödsinnüberwundenhabens des
Einsamen und Eigenartigen versinnlicht. Meinem
idealen, geraden Sinn entsprechend, ist alles Meuble-
ment, sowohl der Tisch als der Stuhl in linearen
Formen gehalten, wobei das Material — deutsches
Tannenholz — durch den fehlenden Anstrich stark
betont ist. Weiches Holz ist gewählt, weil mein Ge-
müth auch weich ist. An der Wand, aus gleichem
Material ein Bord mit Bierkrügen und Weingläsern,
alles nach meinen Entwürfen im k>0-Pfennigbazar
gekauft und auf die Lieblingsbeschäftigung des Be-
sitzers hindeutend. Wie die Fackel der Hero leuchtet
Nachts eine Gasflamme durch das Gemach. Abends
11 Uhr ab sehe ich zwei Flammen; es ist aber nur
eine da. Ein Drahtgestell mit Ansichtspostkarten
gibt dem Ganzen das Restes. Der Raum ist ganz
aus stillen, zielbewußten Suff gestimmt, mit einem
leichten Stich in's traurige Elend.
Vas Lirnrner cles Moftnens
Festlich reich, heiter, bis zur Ausgelassenheit.
Anstrich blüthenweiß mit einer Abschlußlinie in lä-
chelndem Grün. Die Decke in etwas dunklerem
Weiß gehalten, trägt anmuthig den funkelnden Gas-
arm, aus dessen milchweißer, sanft opalescirender
Glasschale die Gasflamme wie leuchtendes Opfer-
scuer emporlodert. Um den Tisch stehen zwei Rohr-
stühle aus gebogenem Holz in der ganzen Pracht
ihrer geschwungenen Linien. In der Ecke ein Spuck-
napf, in keuschem, alabasternem Weiß, aus Porzellan,
dessen sanfte Höhlung durch lichtgelbes Sägemchl vor *)
*) Ans dem Ausstellungskatalog der nächsten Ausstell-
ung der nächsten Knnstlerkolonte zu Damstettcn i»i
nächsten Jahr.
410
JUGEND
1901
Marterl
UOrt Kassian Kluibcnschedl, Tulkelemaler
Gpitapb auf einen parlamentarischen Pultdeckel
Aus dem ohnedieß arg strapazieren Staatssäckel
Wurde unter Anderem auch angeschafft dieser Pultdeckel.
Selbst sein gehobelt, mußte er oft ;u einem Mordsspektakel
Wider Willen dienstbar sein manchem ungehobelten Lackel.
Nachdem wir nach der neuesten deutsch-tschechischen Anbandlung
Uns bekehrten zu einer höflicheren parlamentarischen
Verhandlung,
Wurde auch dieses unschuldige Brett, leider schon halb zerfetzt,
Zu der wohlverdienten Ruhe feierlich beigesetzt.
Laßt uns für den selig Entschlafenen sprechen ein frommes Gebet,
Daß er ja nicht eines Tages wieder aufersteht.
Sein bewegter Lebenswandel kommt nicht auf sein Schuldenblatt
Er war nur ein mißbrauchtes Werkzeug. Requiescat.
S »
iV|
Id
i t
Äii;
Oefterreict)ifd)c$ Äiegenlieä
von Pater Scruazius Kimmclkrajler
Schlaf', Lindlein, schlaf',
Sei fromm als wie ein Schaf
Zn unschuldswcißcn Vvsllcnflockcn,
Laff' Dich nicht los von Rom weglocken —
wir decken Dich mit Lutten zu
Fein säuberlich, dann hast Du Ruh'.
Schön finster ist's im ganzen Land,
wir fitzen an der wiege Rand,
Dich gar getreulich zu behüten,
wir Jesuiten.
Schlaf', Lindlein, schlaf',
Am End' wirst römischer Graf,
Dann kannst in Deinen Lebenslagen
Du auch noch ein Monokel tragen —
Und wenn sich endet Deine Zeit,
Stirbst Du im Ruf der Heiligkeit.
Man malt Dich an der Rirchcn wand,
wir schaukeln sacht Dein wicgcnband,
Dich rettend vor des Satans wüthen,
wir Jesuiten.
Das k)aus IcKmemerrn'n'mtcK
Entworfen von st. M. Alberich
Die Lage des Hauses mit der Hauptfront nach
Südwesten, das ich für mich erbaute, drückt die
Grundlagen meines Wesens aus: feuriges, südliches
Temperament mit einer starken Vorliebe für guten
Bordeaux. Das flache Bauterrain kennzeichnet die
Plattheit des alltäglichen Lebens, über welches mich
ineine Kunst einstöckig hinaushebt. Ich bin Jung-
geselle, was durch die Einsamkeit der Lage drastischen
Ausdruck findet. Durch die Wendung meiner Rück-
seite gegen Nordnordost bezeige ich meine Abneig-
ung gegen einen Onkel in Königsbergs Um den
Kontrast zwischen der Mitwelt, die mich nicht ver-
steht, und meinem Wesen klarzulegen, ist die Um-
gebung des Hauses auf 100 Meter im Umkreis in
eine Sandwüste umgewandelt. In dieser erhebt sich
das Haus Jchmeinermirmich mit Macht senkrecht auf-
steigend, in seiner Bedeutung durch Baumsilhouetten
nirgends beeinträchtigt.
So stehe ich in der Welt!
In einsamer Größe!
Das Haus ist ganz glatt. Damit es würdig, ja
kostbar, aber nach außen bescheiden sei, wie mein
Wesen, ist es als solider Bau aus Backsteinen aus-
geführt, aber nach außen mit Mörtel beworfen und
grau gestrichen.
Oer Vorruum
Der Vorraum soll nicht nur Gelegenheit bieten,
Regenschirm und nasse Galoschen abzulegen, sondern
auch schon auf den Geist des Besitzers vorbereiten.
Er ist in einer Harmonie von Bordeauxroth, Wein-
gelb und Flaschengrün gestrichen. Links der Kleider-
rechen erweckt in dem Besucher den Gedanken: hier
kannst Du Deinen Ueberzieher aufhängen! Rechts
hängt kein Spiegel, daraus hinweisend, daß dem Be-
sitzer alle äußerliche Eitelkeit fremd ist. Dieser schlichte
Sinn offenbart sich auch in denr Fehlen einer Tapete.
Alle diese Empfindungen wurden nach meinen Zeich-
nungen ausgeführt!
Oie F)alle
Ein mittelgroßer kubischer Raum, der in dem
Besucher sofort das Gefühl wach ruft: Hier befindest
Du Dich nicht uiehr im Freien. Er ist nach meinen
Entwürfen weiß getüncht, mit einer tiesschmerzlichen
rothen Linie oben, die das Weh des Nochnichtvoll-
ständigallenirdischeublödsinnüberwundenhabens des
Einsamen und Eigenartigen versinnlicht. Meinem
idealen, geraden Sinn entsprechend, ist alles Meuble-
ment, sowohl der Tisch als der Stuhl in linearen
Formen gehalten, wobei das Material — deutsches
Tannenholz — durch den fehlenden Anstrich stark
betont ist. Weiches Holz ist gewählt, weil mein Ge-
müth auch weich ist. An der Wand, aus gleichem
Material ein Bord mit Bierkrügen und Weingläsern,
alles nach meinen Entwürfen im k>0-Pfennigbazar
gekauft und auf die Lieblingsbeschäftigung des Be-
sitzers hindeutend. Wie die Fackel der Hero leuchtet
Nachts eine Gasflamme durch das Gemach. Abends
11 Uhr ab sehe ich zwei Flammen; es ist aber nur
eine da. Ein Drahtgestell mit Ansichtspostkarten
gibt dem Ganzen das Restes. Der Raum ist ganz
aus stillen, zielbewußten Suff gestimmt, mit einem
leichten Stich in's traurige Elend.
Vas Lirnrner cles Moftnens
Festlich reich, heiter, bis zur Ausgelassenheit.
Anstrich blüthenweiß mit einer Abschlußlinie in lä-
chelndem Grün. Die Decke in etwas dunklerem
Weiß gehalten, trägt anmuthig den funkelnden Gas-
arm, aus dessen milchweißer, sanft opalescirender
Glasschale die Gasflamme wie leuchtendes Opfer-
scuer emporlodert. Um den Tisch stehen zwei Rohr-
stühle aus gebogenem Holz in der ganzen Pracht
ihrer geschwungenen Linien. In der Ecke ein Spuck-
napf, in keuschem, alabasternem Weiß, aus Porzellan,
dessen sanfte Höhlung durch lichtgelbes Sägemchl vor *)
*) Ans dem Ausstellungskatalog der nächsten Ausstell-
ung der nächsten Knnstlerkolonte zu Damstettcn i»i
nächsten Jahr.
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