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JTn blauen Frühlingstagen

Dom stolzen 0lück des eignen Werths getragen,

- Jils bracht' ihr Lluhn der Landschaft erlt

(jcwinn —

Lehn schöne 3raun an blauen Frühlingstagen
Wie Königinnen durch die Menge hin;

Ms halt' der Knabe Frühling nur im Sinn,
Vas Krönungsvlieh um ihren Leib ;u schlagen,
Und, wie ein Lage, seiner Königin
Mit stillem Dank die Schleppe nachzutragen.

Hugo Salus

6'msanikeit

Es geht Jemand hinter mir.

Ich höre ihn deutlich, wie er mit mir Schritt
zu halten sucht; er folgt allen meinen Wendungen
nach rechts und links, wenn ich einem der wenigen
Begegnenden answeiche. Kaum drei Schritt kann
er von mir entfernt sein. Wenn wir an einer
Straßenlaterne vorübcrgehen, und mein Schatten
plötzlich vorspringt, verschmilzt der seine mit dem
meinen, wächst mit ihm, wird mit ihm blasser,
wird zugleich mit ihm von dem Scheine der nächsten
Laterne aufgesogen. Ich bilde mir ein, zu spüren,
sobald mir vor der Laterne sind, daß der hinter
mir Gehende auf meinen Schatten tritt. Ich
weiß, daß es nur Einbildung fein kann; aber
das Grauen, das diese Vorstellung in mir weckt,
ist mächtiger als meine Logik.

Wenn es ein Bekannter wäre, hätte er mich
schon längst vollends eingeholt und angeredet.
Aber wer sollte es auch sein in der fremden Stadt,
wo ich niemand näher kenne? Und das Gefühl
meiner Einsamkeit, der Zusammenhangslosigkeit
init meiner Umgebung hängt sich wie eine traurige
Last an mich, verdoppelt den trüben Schauer über
diese immer gleiche unsichtbare Nähe hinter mir.

Vielleicht ist es Einer, der Abenteuer sucht.
Er glaubt wohl, ich sei Eine für ihn, und meine
Eile sei Schein und Lockung. Ich brauchte mich
nur zu wenden, ihn mit einem kalten, gleichgiltigen
Blicke zu streifen .... Waruni thue ich es
nicht? Ich kann nicht, ich muß vorwärts, als
ob dieser Unbekannte mit dem rhythmischen Schritt
mich peitschte ... Wenn ich langsamer ginge —
ihn an mir Vorbeigehen ließe —? Doch die
Angst, daß auch sein Schritt sich verlangsamen
möchte — daß alsdann etwas Gemeinsames,
glcichsain Verabredetes uns verbände, zwingt mich

zu immer größerer Eile. Schneller als jetzt kan»
ich nicht — kann — ich — nicht! Ich bin so
athemlos. Mir ist elend, mein perz weint vor
Einsamkeit und Grauen.

Und der Schritt ist immer, immer hinter mir.
Als ob es nie anders werden könne, so ist es.
Als solle es in alle Ewigkeit so bleiben — ich
voran, hinter mir dieser Schritt, der dem meinen
sckuudirt in erbarmungslosem Takt, — vor dem
ich bin, wie ein Wild vor dem Jäger, sinnlos
vor Entsetzen, halb taub vor rasendem Herzklopfen.

Sieht es denn keiner, wie ich leide? verjagt
mir Niemand den Verfolger? So allein bin ich,
daß es in dieser großen, großen Stadt nickst Einen
gibt, der mich erlöst von diesem Schicksal!

Ja, wie das Schicksal schreitet es da hinter
mir. Das Schicksal — der Tod — das, vor dem
es kein Entrinnen gibt .... Ein eisiges Er-
starren in mir —: wenn es mich nun lähmte,
mich widerstandslos vor seine Füße hinwürfe —
— — Vorwärts — nein — vorwärts! Und
wenn es das Unabwendbare ist — ich bin schneller
als das Unabwendbare!

Die Straße wird lebhafter. Wir nähern uns
mehr und mehr der Innenstadt. Es ist wie ein
Winken naher Erlösung. Ich kann diesen Schritt
hinter mir nicht mehr ertragen — diese zudringliche
Nähe, die mir den Rücken zu Eis macht, die
Muskeln auflöst, als kröchen sie auseinander, jede
Faser für sich-

Plötzlich ändert sich der Schall des Schrittes.
Er wird Heller, ferner, kürzer — er verliert sich
in einer lpuerstraße. Zuerst ist es ein Schrecken,
es ist so unerwartet, so anders, so neu. Mein Herz
schlägt auf einmal schneller und leiser. Ich ver-
langsame meinen Gang und athme tief auf mehrere
Male. Ah — Gottlob, denke ich — Gottlob!

Aber ich denke es nur und lausche dabei hinter
mich, enttäuscht fast, den Schritt nicht mehr zu
hören. Es war doch etwas wie eine Begleitung,
etwas, das ich auf mich, auf meine Persönlichkeit
bezog — Närrin!

Und nun drängen sich mir Thränen in die
Augen. Es war ein Frenider, der seines Weges
ging — nicht meines Weges —

Ich bin einsam, so einsam wie nie.

Um mich her klingen und dröhnen die Sym-
phonieen des Lebens, dröhnen unaufhaltsam an
mir vorbei. Ich bin ein versprengter Ton, dcr
zu keiner von ihnen gehört — summe nebenher,
in keiner Harmonie aufgehend, übertönt, ver-

schwimmend, aufgelöst in der unendlichen Leere_

Leonie Meycrhof-Hildeck

414

Gedanken

Wenn man Jemand für dumm hält, ist
er immer noch dümmer.

Das größte Hindcrniß der Vicldenker ist
das Vielwstsen.

Die Kritik gleicht dem Rindvieh, das mir
großen Behagen sein Gras frißt, aber mir den
Rosen nichts anzufangen weiß, als darauf

herum zu trampeln.

Mar von Seydel ch

AS

Tlodurno

Wie ich Dich halte im dämmernden Schweigen,
Fürchte Dich nicht!

lieber uns webt ja den blühenden Reigen
Himmlisches Licht.

lind durch die dunkelen Locken der Bäume
Gleiten der Lenznacht beseligte Jräume,
Dass ihr Geschmeide sich klingend bewegt;
Graulich Dein Köpfchen an’s Herz mir gelegt,
Fürchte Dich nicht.

Lausche nicht ängstlich dem Flüstern und

Hlopfen

Segnender Rächt.

Von dem Gezweig sind die rinnenden Tropfen
Leise erwacht.

Liebling, so zittern auch uns noch im Herzen
Lichte Gedanken, entfliehende Schmerzen;
Liess Dir der Tag eine Thräne zurück,
Schöner verklärt sie das heimliche Glück
Segnender Rächt.

Tief in der Stille die Sorgen versinken;
Flies nun ruht.

Lass aus dem Kelch des üergessens uns trinken
Sehrende Gluth.

Sterne und Stunden vergehn und entschweben,
Rur unsre Liebe noch leuchtet dem Leben.

Franz Langheinrich
Register
Hugo Salus: An blauen Frühlingstagen
Zeno: Sinnspruch
Franz Langheinrich: Nocturno
Ernst Barlach: Reifspiel
Leonie Meyerhof-Hildeck: Einsamkeit
Max v. Seydel: Gedanken
 
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