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r/ A. v. Kubinyi

(München)

Hier die Vertreterin leichtern Sanges:

Die Chansonette zweiten Ranges.

Tritt auf in einem Colosseum,

Zuweilen heisst es auch Orpheum,

Soupirt mit einem Herrn Baron,

Zuweilen heisst der Herr auch Cohn.

Sie hat drei Armbewegungen
Für innere Erregungen,

Und diese dreh’n sich um das Eine —

Sie Alle wissen, was ich meine.

Sie hat nicht grosse Ambitionen,

Für sie soll sich die Sache lohnen.

Sonst pfeift sie auf den ganzen Bettel,

Sie ist halt schlecht und recht beim „Brettel.'

diesem Sem Millionen der herrlichsten Späße steck-
ten. womit sollte man anfangen? Charlie hatte
es gleich. „wir legen ihn auf die Schienen und
erschrecken die Motorkerls damit." Die Motor-
kerls waren die Lenker der elektrischen Straßen-
bahnwagen, die den elektrischen Motor handhabten.
Jubelnde Annahme des Vorschlages. Als es dunkel
war, schleppten sie Sem um die Tckc und legten
ihn auf die Schienen. Dann versteckten sie sich
im nächsten lsauseingang. Da lag nun Sem in
seinem schwarzen Frack, für sieben Dollars, der
schon merkwürdig ramxonirt aussah, und mit

»II.

Hier das Produkt des bittern Zwanges:

Die Chansonette dritten Ranges.

Der Hauptbestandtheil: Schmink’ und Flitter,
Das Uebrige ist einfach bitter.

Die Roheit ohne alle Hüllen,

Die Zote um der Zote willen,

Schmutz ohne Grazie, ohne Laune,

Belohnt vom Wiehern trunk’ner Faune,
Gekreischt im Qualme dunst’ger Höhlen,
Und nicht um Sekt und um Juwelen,

Ach nein, nur um das nackte Leben,

Des „Freundes“ Prügeln preisgegeben:

Die arme, dicke, alte Vettel
Repräsentirt das , Unterbrettel.“

den Unglückseligen von den Schienen. Sie sahen
ihm iu’s Gesicht, in das spöttisch lächelnde Gesicht
Sems, des jüdischen Jüngelchens, und sie fluchten
und der Wagenlenker versetzte Sem einen fürchter
lichen Tritt, worüber Sem wieder lächelte, und
von gegenüber erscholl ein indianisches Jubel
geheul aus Knabeukehleu. Da merkten es die
Leute, daß sie grausam gefoppt waren. So trieben
es Tharlie Wurm und seine Kameraden mit einem
Straßenbahnwagen nach dem andern und sie freu-
ten sich unbändig und Sem freute sich mit ihnen.
Gott, wie wundervoll! ^a, das war doch anders

seiner papiernen Rose und freute sich spitzbübisch
auf die spaßigen Dinge, die sich ereignen mußten.
Ts dauerte auch nicht lange, so kam ein Straßen-
bahnwagen um die Ecke gefegt. Als der wagen
lenker beim Sdjctit der Gaslatcrnen ein mensch-
liches Wesen auf den Schienen liegen sah, wurde
er aschfahl und bremste wie ein Besessener. Ts
gab einen jähen Ruck, die Fahrgäste wurden wie
Billardbälle durcheinander geworfen und der wagen
kam hart vor dem wann auf den Schienen zum
Stehen. Die Männer im wagen, der Schaffner
und der Wagenlenker sprangen herab und zogen

1901


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Nr. 26

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Register
Alexander (Sandor) v. Kubinyi: Chansonetten
 
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