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Nr. 27


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1901

Der letzte Christ

Von Ldgar Steiger

„Läutet nur die Kirchenglocken!
Schwinget Zahn' und weihrauchfah!
Euer liebeheuchelnd Locken
Klingt mir wie geheimer Hatz.

Seinen Namen auf der Lippe
Und im Mund fein heilig Wort,
Dienet Zhr und Eure Sippe
Nur dem Mammon fort und fort.

Statt im Kämmerlein zu beten,
wo Euch Niemand fieht als er,
Müht ähr auf die 6affe treten
Wortereich und liebeleer.

Selbft fein brunftig Vaterunser,
Seines Rerzens ftiller Schrei,
wird in Euren Rosenkränzen
Eitle Lauberlitanei.

Statt im 6eift den ßeift zu ehren,
Baut ähr eifrig Dom auf Dom,
Und wie dud und Samariter
Streiten Moskau fich und Rom.

,Kindlein, Kindlein, liebt einander!'
lzorch, wie s luftig pufft und knallt,
wie vom Ehriftenfterberöcheln
Erd' und Bimmel widerhallt!

Sieh, wie fich die Brüder quälen
Von ßefchlechte zu ßefchlecht,
wie fie morden, fengen, stehlen
JTIlcs nach ßefetz und Recht!

wie die schweren Ketten klirren
Durch Sibiriens Steppengras,

Und von Chränen jedes .Huge
Und von Blut die Erde nah!"

JTIfo sprach der greife Seher,

Dem die Seele überrann;

Und das Raupt der Pharisäer
Chat ihn gleich in Jkbt und Bann.

Und der weife hob den Zanger:
„Meint der Dope wohl, mich reut's?
wie der Meifter, fo der Zünger!
Zeder trage ftill fein Kreuz!

Ei! was gafft Zhr fo verwundert?
Pricftcr gibt's wie Sand am Meer,
Kirchen hundert über hundert,

.Rbcr keine Ehriften mehr!"

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Paul Haustein (München)
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Paul Haustein: Zierrahmen
 
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