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H. Meyer- Cassel

Brust ist noch nie ein gesundes, starkes Gefühl
erwacht, und als Du ein Weib nahmst, geschah
es nicht aus wahrer Liebe, sondern nur aus Be-
rechnung , um eine für Dich und Deine Bedürf-
nisse geeignete Lebensgefährtin zu haben. Du
hast Dein halbes Leben gelernt, uiu das Gelernte
in der andern Lebenshälste wieder zu vergessen.
Deine einzige Sorge war, von den Annehmlich-
keiten des Lebens möglichst viel zu genießen; nur
die Behaglichkeit, das Sattseiu war Dein Lebens-
zweck. Tu bist ein nichtsnutziger, inhaltsloser
Mensch, ein überflüssiger, nutzloser Tropf, den
Niemand braucht. Was wird denn von Dir übrig
bleibe», wenn Du stirbst? Nichts, keine Spur;
Du brauchtest gar nicht gelebt zu habenI"

Das verdammte Buch rückt mir immer näher;
es liegt wie ein Alp auf meiner Brust und würgt
mich! seine Blätter umschlingen, erdrücken mich
und flüstern mir zu:

„Fehntauscnde auf Erden gleichen Dir; Ihr
hockt jahrein, jahraus wie die Küchenschaben in
Eure» warmen Ritzen und Euer Leben ist trostlos
und schal,"

Ich höre diese Reden aufmerksam an und lange,
kalte Finger scheinen mir im Herzen herumzu-
wühlen. Mir wird übel, elend, ruhe- und fried-
los zu Muthe. Das Leben war mir niemals be-
sonders freudenreich; ich betrachtete es immer nur
wie eine zur Gewohnheit gewordene Pflicht. Wenn
ich aufrichtig sein will, muß ich bekennen, daß ich
eigentlich niemals ernsthaft darüber nachdachte
— ich lebte gedankenlos dahin, — das war alles.
Run kommt dieses einfältige Buch und gibt mei-
nem Leben eine unausstehlich-traurige, trübselige
Färbung I

„Die Menschen leiden, verlangen und streben
nach etwas, und Du — warst ein Beamter. Wo-
zu? Webhalb? Was hatte das für einen Sinn?
Machte es Dir etwa Vergnügen? Oder nützte es
Jemandem? Wozu lebtest Tu eigentlich?"

Alle diese Fragen belästigten und folterten
mich; ich konnte nicht einschlafen. Der Mensch
in uß aber doch schlafen!

Die Helden des Buches stierten mich aus den
Blättern an und fragten:

..Weßhalb lebtest Du?"

„Das geht Euch nichts an," wollte ich ant-
worten, konnte aber kein Wort Hervorbringen.
In meinen Ohren rauschte und flüsterte es. Mir
war, als ob des Lebensmecres Wellen mein Bett
schaukeln, emporheben und in die uferlose Ferne
hinaustragen. Die Erinnerung an die Vergangen-
heit rief in mir eine Art von Seekrankheit hervor.
Ich schwöre, daß ich noch nie eine so ruhelose
Nacht erlebt habe.

Und nun frage ich Sie, mein Herr, was kann
solch' ein Buch für einen Nutzen bringe»? Es
beunruhigt nur und läßt uns nicht schlafen. Aber
ein Buch soll ja die Energie stärkenI Schüttet
es uns aber Nadeln in's Bett, so schadet es doch

nur! Solche Bücher müssen verboten, vernichtet,
verbrannt werden! Denn der Mensch braucht
Lebensfreudigkeit, — Unlust schafft er sich selbst
mehr als genug I

„Und was geschah nun weiter?"

Etwas sehr Einfaches. Als ich teufelswild am
Morgen aufstand, nahm ich das Buch, brachte es
zum Buchbinder und der band es mir dauerhaft
und solid ein. Nun steht es auf dem untersten
Brett meines Bücherschranks, und wenn ich bei
guter Laune bin, gebe ich ihm mit der Fußspitze
einen Stoß und frage:

„Was hast Du nun damit erreicht? — Hä!"

Deutsch von W. Heuckel

Bcrababnbau

Lebt, dort blinkt sie scbo», die Doppelzeile,
Weber Fels und Matten lriutt dle Spur.
Aeb, sle macben'uns — verdammte'Ltlc! —
Mieder einen Stricb durcb die lkatur.

A. von Ehemann

Neues von Serenissimus

Serenissimus wohnt mit seinem Minister einem
Konzerte bei, welches in einem ziemlich kläglich er-
wärmten Saale stattfindet. Die auftretende Klavier-
virtuosin bekommt nach einigem Spielen auf der
kalten Klaviatur steife Finger, so daß mehrere tech-
nisch-schwierige Passagen verunglücken. In der
Pause, die der Leiter des Konzertes bei Serenissi-
mus verbringen darf, bespricht man diesen fa-
talen Punkt. „Ju Schade, das mit der Klavier-
spielerin, sagen Sie mal, mein lieber Musikdirektor,
ich habe mal so was von wohltemperiertem
Klavier gehört?"

Vergebticke Hoffnung

Der alte Dnkel besuchte nach längerer Zeit
verwandte auf dem Lande. Er freute sich dort
seines herangewachsenen hübschen pathenkindes.
Aber mit Kummer hörte er, daß das junge
Mädchen stark dazu neige, zu verwildern und
aus der guten alten Art zu schlagen. Die Kla-
gen wurden plötzlich durch Fanny selbst unter-
brochen, die — allerdings etwas ungestüm —
an den Nähtisch der Mutter lief und darin her-
umwühlte.

„Na, seht Ihr!" sagte der Dnkel entzückt, „sie
will nähen!"

„Nein!" rief Fanny, „eine Stricknadel will
ich!"

Eifrig reichte ihr-die Mutter eine.

„Die ist zu dick," sagte Fanny ungeduldig.
„Ich muß durchpiken —"

„Ach so, sie will eine Masche aufnehmen!"
sagte die Mutter gerührt dazwischen —

Fanny vollendete etwas unsicher:

„ . . . sie hat keine Luft — meine Zi-
garette!"

Die Prozession

In der Pfalz herrscht große Dürre. Schon
lange hat es keinen Tropfen mehr geregnet. Zwei
benachbarte Dorfgemeinden entschließen sich, auf die
zwischen ihnen liegende Anhöhe täglich einen Bitt-
gang zu veranstalten, wobei sie sich oben treffen
wollen. Lange Zeit thun sie das, aber ohne Er-
folg. Lines Tages kommen die Bewohner des
einen Dorfes vor denen des andern an; plötzlich
zieht ein Gewitter herauf, und ein mächtiger Platz-
regen strömt hernieder. Da eilt athemlos die an-
dere Prozession den Berg hinaus; aber schon von
weitem schallt es ihnen aus urkräftigen Pfälzer
Lungen entgegen: „Bleibt deheem, mer
hon's alleen gepackt!"

Vertrauen

Nun ich mit einem ralchen Klort äich kränkte,

Fühl ich crit ernkt in allen herzenstieken,

K>ie lieb Du mir, und alle Killen Quellen
Käulchen Heraul, die noch verborgen lchlielen.

Mo ilt ein Ibort, zu Klären, zu verlöhnen?
lch weih Dich gut und will vertrauend schwelgen,
bnd kröhlich lein, dah nun die reinen Quellen
lur dich im Yerzen voll und voller steigen.

Gustav Falke

Oie JTltc

3d) gab, ich gab; — ich gab mein junges Blut
Und meinen jungen Leib dem heihen gatten,
gab meinen Kindern sllher Nahrung Sluth,
gab täglich alle Kraft, bis ;um Lrmatten,
gab ihnen alles, was Id) Hab' und bin,

Lieb, Zeit und Zieih, ihr Leben zu verschönen,
gab meinen armen kleinen Sparschatz hin
Zum Aohl den Töchtern und den Söhnen.

Aar wie im Fof der Lorn: ich gab, ich gab.

-Und nun zum ersten Blal muh ich mich

schämen,

Streck bittend, nun so nah am 6rab,

Nie harten Fände aus, um anzunehmen!

Inda Schanz

Al6
Register
Hans Meyer-Cassel: Zierleiste
Alfred v. Ehrmann: Bergbahnbau
Gustav Falke: Vertrauen
Frida Schanz: Die Alte
[nicht signierter Beitrag]: Neues von Serenissimus
[nicht signierter Beitrag]: Vergebliche Hoffnung
[nicht signierter Beitrag]: Die Prozession
 
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