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Nr. 28

. JUGEND ->

1901

Whisky (fleht wieder mechanisch zu dem prachr-
vollen Schrank. Ais er sich mndreht, sicht er, daß
ltr. Kann fort ist. Er bemerkt, daß Dr. Kann die
Thür hat offen stehen lassen und will sie schließen.
Draußen vor der offenen Thür steht eine Dame.
Whisky taumelt zurück und ruft): Lydia! Aber
Lydia!

Lydia (kommt von rechts hereiugestürzt, in
elegantem offenen Morgenrock und losem Haar.
Sie sieht ebenfalls die Dame und eilt auf ihren
Manu zu. Sie stehen angstvoll aneinander ge-
drängt. Die Dame draußen hat eintreten wollen,
geht aber weiter.)

Whisky: Das zweite Mal! Nun kann niemand
mehr daran zweifeln.

Lydia (außer sich): Aber was ist denn das?

Whisky (empört): Sagt Dir das Dein Gewissen
nicht?

Lydia: Mein Gewissen? Mach mal die Thür zu.

Whisky: Ich trau mich' nicht.

Lydia: Aber ich. (Die Thür wird von außen
geschloffen.) Siehst Tu! Tu bist natürlich wieder
betrunken.

Whisky: Was bin ich — — ?

Lydia: Ein Betrüger bist Du! Hast Du mir
nicht feierlich versprochen, was hinter uns liegt soll
begraben sein? Und jetzt fragst Du diesen alten
Nulpe, den Dr. Kann, über mich aus, als ob ich
im Verbrecheralbum Cabinetformat- hätte.

Whisky: Aber Lydia — ?

Lydia: Was denkst Du alter Esel Dir denn
eigentlich!

Whisky (mit Würde): Ich gehe, aber ich sage
Dir — ich sage Dir —! (Geht.)

Lydia (ihn nachäffend):. „Ich sage Dir — ich
sage Dir —" Du bist ein elender Kerl und weiter
nichts.

Langfricd tritt ein. Dämlich): Stehst Du da?
(Er geht langsam vorausgenießend auf sie zu.)

Lydia (hat ihn an der Stimme erkannt. Sie
führt beide Hände zur Brust, ohne sich umzuwenden).

Langfricd (flüstert ihr ins Ohr): Danke auch
noch für gestern Abend! (Umarmung.)

Lydia (leidenschaftlich): O, niemand
darf uns trennen, Langfried. Niemand in
der Welt kann Dir sein, was ich Dir bin.

Hast Du e-s nicht selber gesagt, hast Du
nicht? Antworte I

Langfricd (küßt sie leidenschaftlich):

Ist das Antwort genug?

Lydia: Nie genug!-- Langfried.

laß uns reisen I

Langfricd: Jetzt? Muß es gleich sein?

Lydia: Noch heute Nacht!

Langfricd: Nu ja, meinetwegen, aber
nun laß uns doch erst mal. .. Setzen wir
uns! Wir haben ja eigentlich noch gar
nicht miteinander gesprochen. Denn gestern
Abend-

Lydia: Na?

Langfricd: Ich schweige von gestern
Abend. Es war zu schön, um davon zu
sprechen .. .

Lydia: Also setze» wir uns ...

Langfricd: Aber so wie immer. (Sie
grupviren sich auf der Chaiselongue): So!

Na, was macht denn der Herr Gemahl?

Lydia: Danke, er sanft so weiter. Aber
er wird mir immer widerlicher — weißt Du,
schon deshalb müssen wir reisen. Auch Dei-
ner Arbeit wird es wohlthun.

Langfricd: Meinst Du meiner Undine?

Lydia: Was? Du componirst eine
Undine?

Langfried: Ja. . .

Lydia: Aber Mensch, cs gibt ja schon
eine, von Lortzing.

Langfried: Du, meine Welle! Wirk-
lich? Gibt es schon eine. Oh, meno male:
es kommt mir auf die Zahl nicht an. Sagen
wir llndine Dodine, Tredine. . .

Lydia: Dodine?! — O ja, das klingt
auch schöner . . .

Langfricd (zärtlich): Dodine!

Lydia: Du liebst mich eben nur in deiner
Musik . . .

Langfricd: Unkörperlich?

Lydia: Na! —

Langfried: Eben. Das wollt ich doch sagen ...

Lydia (leidenschaftlich): O Langfricd! - L-chon
dieser Name! Den gab man Dir um nieinetwillen.
Du sollst niein langer Friede sein! (Sie drückt sich
dicht an ihn.)

Langfried: Meine Dodine!

Lydia: Ol — O geh mit mir in die Stadt!
Jetzt gleich I (Sie springt auf.)

Langfricd: In die Stadt? (Er erhebt sich.)

Lydia: Ich muß noch etwas Reiscgarderobe
haben.

Langfricd: Ja so. Die Hauptsachen vergißt
man immer. — Na, also gehst: wir (Er geht zur
Thür im Hintergründe.)

Lydia (flüstert ihm nach): Mein Langfried!...?
(Sie geht zur Thür rechts.)

Langfricd (vor der Thür im Hintergründe,
dreht sich um): Hm?

Lydia (die jetzt an der Thür rechts steht): Gehst
Du da hinaus?

Langfried: Gibts einen andern Weg, — der
frei ist? —

Lydia (gleitet rechts rückwärts hinaus).

Langfricd (ihr nach) --.

Dr. Rann (tritt ein): Pardon! (Er sieht sich
um): Ich hatte das hier vergessen (Er nimmt das
Etui vorsichtig vom Tisch und geht ab.)

Vorhang.

3. Alt

In demselben Hotel ersten Ranges, ein kleineres
Zimmer zn 6 Mk. 50

Langfried (steht vor einem großen geöffneten
Koffer und sortirt Noten. Es klopft): Herein!

Dr. Ran» (kommt herein mit seinem Etui, das
er sorgfältig unter dem Arm trägt). Ah? Du
packst?

Langfried: Die Noten müssen dann und wann
sortirt werden. Sonst..

C'JUW

VerjwetfUing

Dr. Rann (stellt sein Etui mit Sorgfalt auf
den Sophatisch): So, so.. Du weißt, ich bin nicht
allein hier. Ich habe ein junges Mädchen mit.
Langfricd: Aus Amerika?

Dr. Rann: Ja. Aber sie ist eine Norwegerin.
Erst siebzehn Jahre.

Langfricd: Ich habe so wenig Zeit . . .

Dr. Rann: Sie möchte Dir eine Geschichte er-
zählen.

Langfricd: Nu ja, natürlich. Aber wann?
Jetzt gleich?

Dr. Rann: Warum nicht?

Langfricd: Geht das?

Dr. Rann: Cie ist Amerikanerin und Nor-
wegerin in einer Person.

Langfricd: Ja, so . . .

Dr. Rann (klatscht in die Hände).

Borgny, die stumme Dame ans dem Hinter
grund des zweiten Akts erscheint.

Dr. Rann: Darf ich vorstellen: Miß Cherry
Brandy — mein Neffe Langiried. (Er klingelt.
Der Piccolo erscheint und macht ein fragendes Ge-
sicht.) Na?

Piccolo: Befehlen?

Dr. Rann: Na? Was sollst?

Piccolo: I woaß net . . .

Dr. Rann (zn Langfricd und Borgny): Er ist
noch zu harmlos. Ich halte es nämlich vom dra-
matisch-technischen Standpunkt aus für richtig, wenn
ich jetzt irgend ein kleines Geschäft habe, das mich
nöthigt, Euch allein zn lassen... (zum Piccolo): Na?

Piccolo (lächelnd): lins personne dit, que
monsieur l’attend ... (Er deutet mit dein Dau-
men über die Schulter.)

Dr. Rann: Cest bien. Entschuldigen Sic.
(Geht, der Piccolo folgt ihm.)

Langfricd: Bitte! Sie.. wollten mir eine Ge-
schichte erzählen?

Borgny: Ja.

Langfricd: Und .. Sie sind erst siebzehn Jahre
alt?

Borgny: Ja. — Kann ich anfangen?
Langfricd: Bitte lehr.

Borgny: Ich höre, Sie wollen eine
Oper schreiben?

Langfricd: Die Dodine, ja . . .
Borgny: Haben Sie schon einen Stofs?
Langfried: Stoff? Ach so. N in.
Borgny: Sehen Sie, das dacht ich
niir . . .

Langfricd: Aber ich habe diese neue
weiße Stimme, wissen Sie, die weiße Klage
der Dodine.. und die dunkle Stimme, in
der sie unlergeht . . und dann die matt-
gelbe—ja! Und diesen grünen Ton! Oh!
den habe ich ganz besonders!

Borgny: Ja. Aber es muß doch was
passieren?

Langfricd: Passieren? Warunl eigent-
lich ? Wozu diese ewige psychologische Holz-
und Haarspalterei? Das Leben soll sich
direkt in Farben, in Linien, in Tönen, in
der schönen Bewegung, die beim Drama
Alles ist, manifestieren. Ueberraschend, frap-
pierend, ewig neu und doch ewig symme-
trisch soll das Theater ganz zur kindlich
reinen Freude am Kaleidoskop zurückfüh-
ren . . . Aber Pardon, Sie wollten mir ja
etwas erzählen? Eine Geschichte?

Borgny: Ja, etwas was in meiner Fa-
milie passirt ist. Es ist die Geschichte von der
todtklavierten Frau. Kennen Sie sie schon?
Langfricd: Nein.

Borgny: Dann passen Sie auf, es gibt
vielleicht doch einen Stoff für Ihre Oper.
Also eine Dame wurde sehr krank und
konnte nicht mehr Klavierspielern Darüber
wurde sie sehr traurig, lind weil sie auch ihre
Tochter nicht mehr bei sich haben konnte —
Langfricd: Warum nicht?

Borgny: Tie Krankheit war ansteckend
— so setzte sie ein Inserat in die Vossische
Fidus Zeitung: eine ausgezeichnete Pianistin zu

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Register
Fidus: Verzweiflung
 
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