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1901

JUGEND

Nr. 29

3n meiner Scke

von Gtto von Leitgeb

!Hach meinem Geschmack ist dies der beste Platz.
V lind da die Blumen in dem Kübel in der
Ecke wirklich frisch zu sein pflegen, bilde ich mir
daß man auch viel weniger vom Speisengeruch
verspürt, — diesem allertraurigsten und aller-
unfeinsten Parfüm, gegen das sich selbst ein so
vornehm aussehendes Lokal nicht wehren kann.
19as helfen die Palmen »nd die sammtcnen
fllöbcl!.. Manchmal, an den Ivintertage», bleibe
>ch lauge über meiner Schale „Mocca" sitzen.
Manchmal fallt mir auch irgend etwas ein, das
>ch in mein Taschenbuch kritzle. So ein Winter-
ung ist heute ...

An einem der Tische saßen ein paar perren,
über die ich mich eben zwanzig Minuten lange
gswundert habe, lind zwar deßhalb, weil mir
^ks eine kurze Zeit scheint, um zwei Flaschen
bekt und mehrere Gläser Cognac auszutrinken,
noch dazu am Mittag, ohne einen Bissen dazu
M nehmen. Denn dies haben sie fertig gebracht.
Pa ich mich gerne damit unterhalte, mir vorzn-
stellen, welchen Berufes ein Mensch etwa sein könnte,
oilde ich mir ein, der eine sei ein Nähmaschinen-
fabrikant, der andere ein Iveinaroßhändler, der
"ritte ist ganz sicher ein amerikanischer Importeur
aus pan,bürg und der vierte ist, — nun er ist
oben; ich meine er ist weil er lebt, und lebt weil
or ißt; er lebt einfach. Alle vier sind sicherlich
gewaltig wohlhabend, vielleicht steinreich, Hut:
Hub sie eben gegangen; einige Kellner haben ihnen
bis zur Außenthüre respektvoll das Geleit gegeben.
Auf einmal hört man einen dieser Gäste draußen
un kleinen Vorraum laut schreien: „Ivollen Sie
rein? wollen Sie gleich 'rein?" lind herein
rommt, förmlich von ihm getrieben, einer der
Kellner. Der Gast kommt im Uebeprock zurück,
mit den, hohen put auf den: Kopfe, herein in
das elegante Speisezimmer, kirschrotst vor wnth,
außer sich und Alles vergessend. Ich weiß nicht,
Mas sie miteinander gehabt haben. Ich ahne
nicht den Zusammenhang, und ich kann nichts
dazudichten, da ich dies hier blos notire, wie ich
cs wahrgenommen habe. Auch interessirt es mich
weiter nicht. Nur dieser folgende Lontrast hat
mich frappirt:

Der wirth, ein dicklicher Mann mit einem
unglücklichen langen Salonrock, tritt dem wüthen-
den entgegen. Da schreit dieser:

, „wenn Sic diesen Menschen nicht sofort heraus-
kriegen, aber augenblicklich —"

Und der beschuldigte Kellner dreht sich um,
sieht diesen noblen zv-Mark Gast auf einmal gc-
onlgschätzig an und sagt ganz laut: „Sie gemeiner
Menschs" —

Alle Gäste im Lokale schauen unauffällig aber
smpört über die Scene auf. Indessen hat der
. strth, bange um die Reputation seines
lenicn Geschäftes, anscheinend mit der
allergrößten Zuvorkommenheit, aber doch
'"'t strategischen, unmcrklichcn Vorwärts-
bewegungen, den erregt sprechenden und
gostikulirenden Gast so nahe an die Thüre
gebracht, daß es ihm mit absoluter Noth-
Wendigkeit von selbst eiufallen muß, es

nun das Beste, zu gehen. Gr ver-
usit auch wirklich das Restaurant. Ivas
me er übrigens eigentlich thnn? That-
mchlich also: er verläßt einfach das Re-
staurant.

Morgen wird der Kellner vielleicht

HU? dein Dienst gejagt,-wenn der

'i'tb dies sollte wollen.

er das Faktum bleib.. .. w...

Fart'fj — es war der ameri-

ten, wie viele Gläser Cognac der perr bezahlt und
zwei Flaschen pommery & Greno, i \5 Mark!

Durch die halboffenstehende Thüre des Neben-
zimmers, das für geschloffene Gesellschaften be-
stimmt ist, sehe ich die Tüllschlepxe einer Braut
übers Parkett gleiten. In diesem Nebenzimmer
sitzt nämlich eine Pochzeitsgesellschaft — unbe-
greiflich still — bei Tische. Die Braut oder junge
Frau hat sich erhoben. Ich sehe, daß sie ihren
Fächer um den Tisch herumträgt. Sie reicht ihn,
nacheinander, allen Festgästen, damit sie ihre Na-
men draufschreiben, wie sie das thun, weiß ich
nicht, denn der Fächer ist, so viel ich sehe, von
weißem Seidendamast mit feinen, langen Spitzen.
Bei jedem der Tischgenossen macht sie ganz die-
selbe bescheidene, bittende Bewegung mit den Ar-
men. Aber nicht sie selbst zieht meinen Blick auf
sich, sondern die Schleppe des Brautkleides. Es
hat etwas ganz eigenes, sie so lautlos immer
wieder an der Thüre vorübergleitcn zu sehen, ohne
daß man einen Schritt hörte, dem sie folgt. Und
als ob sie sich zeigen wollte. Einmal verfängt sie
sich an: Thürflügel und zieht ihn ein Stück weiter
auf. Diese Schleppe ist von milchweißem Brokat,
mit ganz dünnem Seidenmusselin bedeckt. Das
Alles rollt sich manchmal zusammen, wie ein
Schlangenleib; dann wieder bildet sich eine Kante,
ein Kamm, wie an einer Welle. Die Welle schlägt
ohne den geringsten Laut über den spiegelglatten
Fußboden. Dann wieder breitet sie sich vollkom-
men flach und starr aus, und so könnte sie, wenn
sic still stünde, wie eine Platte von weißem Mar-
nwr aussehen. Und keinenfalls scheint es, als
würde das Kleid vom schreitenden Fuß gezogen
■ es fließt wirklich ganz von selbst der Ferse nach.
Es ist die merkwürdigste Schleppe, die ich je ge-
sehen habe, plötzlich denke-ich, ohne zu wissen
warum, es geschieht ganz müssig, weil ich gerade
gar nichts anderes zu denken habe, — plötzlich
denke ich, daß die Braut ein bleiches, trauriges
Gesicht mit verweinten Augen haben müsse. Jetzt
steht sie an: untern Ende der Tafel still. Ich
kann sie zum ersten Male ganz sehen, in: Thür-
ausschnitte. wirklich! Ihre Wangen sind bleich,
von durchsichtiger, wächserner Blässe. Sie hat
große, hellblaue, müde Augen; deren Ränder sind
von Thräncu roth. Auch die Spitze ihrer kurze::
Nase ist, wie ich gut wahrnehmen kann, geschwollen
und geröthet, und ich glaube, daß sie sehr viel ge-
weint haben muß, um solche Spuren davon zu
behalten; auch liegt etwas verräthcrisches in
den Augen, als ob es nicht einmal Thränen
des Glückes gewesen, wie sonderbar, daß diese
sich windende und wälzende Schleppe mich an ein
Gesicht denken ließ, das der Wirklichkeit nahe kan:!
— Jetzt tritt ein perr im Frack an die Thüre und
wirft einen Blick heraus, als ob ihm das eine
willkommene Zerstreuung böte. Er verdeckt das
Bild der jungen Frau vollkommen durch feine Ge-
stalt, und schließt nun die Thüre, als ob er sie

. Aber das Fa'ttum bleibt: er hat dem
Innen Gast — cs war der aincr:-
Njnsche Importeur aus pamburg —
"~.IC gemeiner Mensch!" ins Gesicht
Seschlcudert, vor allen Gästen, die e:n
paar Minuten vorher noch sehen konn-

nun gänzlich von außen trennen wollte. Trotz-
dem höre ich gleich daraus den ersten Laut aus
dem Pochzeitszimmer. Jemand beginnt nämlich
eine Rede.

Nachdem mir nun dieser Ausblick genommen,
sehe ich mir den ältlichen perrn an, der an dem
Tischchen vor einem der Fenster sitzt. Lr ist stramm
und vornehm, doch so bequem in der Kleidung,
als ob er etwa auf Reisen unterwegs und blos
zum Speisen in der Stadt geblieben wäre, oder
doch gleich nach Tisch über Land fahren wollte.
Er hat ein fein und männlich scharfgeschnittenes
Gesicht, einen ergrauenden vollen Bart, schütteres
paar und trägt ein Monokel. Einen Appetit ent-
wickelt dieser Gast, vor dem man den put ab-
::ehmen muß! Einen Berg von Austern, wie der,
den er bereits überstiegen, habe ich noch nie vor
einem Menschen gesehen! Gegenwärtig zerlegt
er mit bcwnndcrnswerthcr Raschheit und Fertig-
keit ein Feldhuhn. An den Tisch hat er sich so
gesetzt, daß er zum Fenster hinaussehcn kann aus
das lustige, frische, dichte Wirbeln von Schnee
flocken, das soeben begonnen hat. Trotz seiner
Freude am Menu sicht er wiederholt hinaus, und
ich bemerke, daß seine Augen dabei sehr vergnügt
schauen. Ich glaube dar:::::, dieser perr muß ein
Landedelinan:: sein, der solchen Reiz in seiner
ganzen Schönheit begreift. Jedenfalls ist er ein
Jäger. Diese gewisse braune, sehnige und doch
feine Männerhand kenne ich bei vielen Leuten, die
ihre pände nicht ohne Pflege lassen n:ögcn und
doch bei jeden: Wetter draußen sind, ohne in pand-
schuhe zu fahren.

Nun hat sich außen an: Fenster ein halbwüch-
siger Junge ansgestellt — das Plätzchen ist durch
ein kleines Vordach geschützt — und schaut herein.
Zuweilen drückt er zu diesen: Zwecke die Stirne
an's Glas. Und dieser Zuschauer beginnt den
eifrigen Esser offenbar zu belästigen. Nach kurzer
Zeit schon sicht er dar::::: gar nicht mehr aus den:
Fenster; ja sogar eine unwillige Falte zieht sich
zwischen seinen Augenbrauen in die Stirne. Der
Junge draußen ist aber durchaus nicht von der
Sorte, wie man sie häufig in illustrirten weih-
nachtsjournalen und dergleichen sieht, ein ver-
hungerter, halbtodter, von Neid, Paß und Seclcn-
schmerz gepeinigter Proletarier, der mit wässernden:
Munde, klappernd vor Kälte, zwischen Eis und
Schnee vor einem blitzenden Auslagefenster steht,
hinter welchem pommersche Gänsebrust, abgebrühte
Fasanen, feiste Indiane und schöne braunschweiger
Trüffelwürste in herrlicher Eintracht nebeneinander
hangen. Nein! Mein Junge da hat volle, von
der kräftigen winterlnft erfrischte Backen, rothe
Lippen, und unter den: Schirmchen seiner Schülcr-
mütze kirschenschwarze, höchst vergnügte und spitz-
bübische Kinderaugen. Auch sieht er weder mit
Neid noch mit Ingrimm herein, wennschon aller
dings nicht ohne Appetit. Lr sieht den: perrn
da blos zu, als ob er sagen wollte: „Donnerwetter,
der verstehts, und lecker muß das sein!"
Manchinal lacht er übcr's ganze Gesicht.
„Nur inan zu! Ich bin schon allzu neu-
gierig, was dann noch für eine Schüssel
kommt!" Teufelsjunge! Mir däucht,
als wollte er beginnen, mit den Fin-
gern an die Scheibe zu trommeln; sein
ganzes, übermüthiges Gesicht bereitet sich
schon vor, zu einem echten Bubenwitz!
— Dem Gaste hat er die Freude getrübt.
Ja, ich sehe, daß in seinen braunen
Wangen langsam eine dunkle Röthe em-
porsteigt. von der Anstrengung des
Mahles kann sie unmöglich hcrrühren,
und von der halben Flasche Chablis;
auch nicht; dieser perr bezwingt ohnc
Zweifel auch eine ganze, ohne zu er-
röthen. Jetzt verräth er sich, denn mit
einer entschlossenen Bewegung setzt er sich
auf den andern Stuhl, n:it den: Rücken
gegen das Fenster, rückt sein Gedeck hin-
- über und hat sich nun selbst die Mög-

F. A. von Kauf back (München)
Register
Friedrich August v. Kaulbach: Amor
Otto Georg Ritter v. Leitgeb: In meiner Ecke
 
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