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Bochsprung M- Bemuth (München)

„Du, Lalchas, dös Vnckerlmacha Hab r fetz bald dick — moallst den», i bin n Minister?"

I^ocb^eitsmTe

Line Sccitc von R.ioul Ru ernsteren er

Ein Coupö zlvcitcr Klasse im Schnellzug Wien-
Venedig, fünfzehn Minuten vor der Abfahrt vom
Südbahnhvf. Paul schiebt die Waggonthüre zurück,
lvirft einen Blick tit das leere Eoupö. Friedas Kops
wird über seiner Schulter sichtbar.

Paul (junger Mensch von 27 Jahren, Helle Augen,
junger Vollbart): Hier, mein Schatz! Hier sind wir
wenigstens allein. (Er tritt als der erste ein. Frieda
folgt ihm. Sie ist ein blühendes Geschöpf von zwan-
zig Jahren. Rundes Kindergesicht mit hellbraunen
Guckaugen, spitzem Kinn, kastanienbraunem, gewell-
tem Haar, lim den etwas spitzigen Mund einen Zug
früher frauenhafter Weichheit, wie ihn junge Mäd-
chen haben» die cs nicht mehr sind. Lavendelblaues
Kleid, Girardihut mit blauem Band. In der Hand
ein Blumenbvuquet.)

Frieda (eintretend): Gott sei Dank! Die vielen
Menschen ans so einem Bahnhof. Ein Wunder,
wenn man da keinen Bekannten trifft.

Paul: Glücklicherweise sind wir beide nicht be-
sonders bekannt .... Hierher, mein Herz, setz'
Dich an's Fenster. So. lind jetzt machen wir zu
und ziehen die Vorhänge vor. (Er stösft die Thüre
zu, dreht die Klinke um, daun zurückkehreud.) Mein
Herz! (er umfasst sie). Nu», willst Du mir viel-
leicht gar keinen Kust geben'? (Sie schüttelt den
Kops.) Nein, nein, mein Schatz, daraus wird nichts.
Dazu fahr' ich nicht mit Dir nach Reichenau, damit
Dll mir keinen Kust gibst.

Frieda (küstt ihn lächelnd): Ich Hab' ja nur so
eine Augst... Denk Dir nur, wenn uns jemand
gesehen halt'!

Paul (leichthin): Ach was! . . .

Frieda: Jemand von meinen Leuten.

Meine arme Mutter! Wenn die das ivüstte . . . .

Paul: Dast ich die Freundin bin, mit der Du
nach Reichenau fährst. . . (er lacht) Freilich . . .

Frieda: Mein Gott, wenn das herauskommt!..

Paul: Kommt nichts heraus!.Und

überhaupt, davon sollst Du jetzt nicht reden. Jetzt

sollst Du mir nur sagen, ob Du mich lieb hast.
Hast Du mich lieb'?

Fr ieda (traurig): Thät' ich sonst, was ich thü'?..
(Schritte im Berbinoungsgang) lim Gotteswillen!
Geh' weg! (sie stöstt ihn zurück)

Paul: Pst! Stellen wir uns tobt. (Es wird
an die Glasscheibe geklopft. Eine Stimme: „Es
ist doch ein leeres Coup»!" ES wird nochmals ge-
klopft. Jemand entfernt sich von der Thüre und
ruft unwillig nach dem Eonductenr. Der Condnc-
teur össnet die Thüre. Der elegante Herr und die
elegante Dame erscheinen zwischen den Vorhängen.
Paul und Frieda heucheln Gleichgültigkeit.)

Der elegante Herr: Na also! Da ist ja noch
Platz genug.' (Zum Packträger) Bringen Eie nur
'mal das Gepäck herein ... (er tritt ein, sagt brüsk)
Pardon!

Paul: Bitte sehr! (Er verlässt seinen Platz am
Fenster, setzt sich verdrießlich neben Frieda, die ver-
legen zum Fenster hiuaussieht.)

Die elegante Dame (sehr schön und sehr bläst;
englisches Reisekleid, schwedische Handschuhe, graste
Boutons. Traurige Augen. Frieda gegenüber am
Fenster Platz nehmend; niit einem angenehmen Lä-
cheln): Jst's erlaubt'?

Frieda (überhöflich): Bitte sehr!

(Der Packträger arrangirt das juchtenlederne
Handgepäck des eleganten Paares).

Der e. Herr (der dem Packträger Geld gegeben
hat): Ja, wieviel ivollen Sie denn eigentlich'? Was?
(Er sieht ihn wütheud an.)

Die e. Dame (sanft): Gib ihm nach.

Der e. Herr (zuckt die Achseln): Da! (Der Pack-
träger bedankt sich). Jetzt machen Sie aber, dast Sie
'raus kommen. Der Schaffner hat bereits Abfahrt
geblasen! (Er zieht seinen ockergelben Paletot aus,
nimmt neben der eleganten Dame Platz): Ganz nett
isl's hier, nicht wahrLieschen? Man must blos dem
Schassuer nicht glauben! Hier in Oesterreich, da
wollen sie aus jedem Eoupö 'n Geheimappartement
machen! . .

Die e. Dame (nervös): Nicht so laut, ich bitte
Dich! (Der Zug setzt sich in Bewegung: die elegante
Dame betrachtet Paul, der sich an Fricda's Ohr
beugt und ihr etwas zuslüstert. Frieda unterdrückt

ein kleines Lachen, dreht dann den Kopf und blick:
geflissentlich zum Fenster hinaus. Pause.)

Der e. Herr (studirt den Courier): Um 1l Uhr
sind wir in Mestre, um l l Uhr 25 in Venedig.

Die e. Dame (gleichgiltig): So. (Sie betrachtet
abwechselnd Frieda und die vorüberziehende besonnte
Landschaft; nach einer Pause von 5 Minute» sagt
sie): Wen» die Dame erlaubt, könnten wir vielleicht
das Fenster öffnen.

Frieda: O bitte sehr! (Sie will das Fenster
offnen, ist aber zu ungeschickt dazu.)

Die e. Dame: O bitte, bemühen Sie sich nicht!
(Sie lästt das Fenster herunter). Ah! (Zu Frieda):
Ein schöner Morgen!

Frieda: Ja, sehr schön, wirklich... Sv viel
Sonne überall, so viel Sonne... (Pause).

Paul (zu Frieda): Willst Du nicht den Plaid
umnehmen ? Du könntest Dich erkälten. (Er legt
ihr zärtlich den Plaid um die Schultern, Frieda
dankt mit einem Blick. Die elegante Dame lächelt
uumerklich: eine neuerliche Pause entsteht. Frieda
blickt krampfhaft zum Fenster hinaus, die Dame
mustert sie. Der elegante Herr hat einen Schild
krotzahnstocher aus der Westentasche genommen und
stochert sich in den Zähnen. Paul betrachtet ihn ge-
hässig. Nach einer Weile zu Frieda): Wenn Du er-
laubst, Herz, so rauch' ich brausten meine Cigarre.
(Frieda nickt lächelnd, Paul verläßt das Coup«,
Frieda sieht ihn, nach. Die Dame lächelt still, wendet
sich wieder der Aussicht zu.)

Der e. Herr (der denBädeker ansgeschlagen hat):
Du, die schone Aussicht ist eigentlich aus der anderen
Seite. Da must man draußen stehen.

Die e. Dame (gleichgiltig): Sieh Dir sie an,
wenn sie Dich interessirt. Mich interessirt sie nicht.
(Der elegante Herr betrachtet die elegante Dame
einen Augenblick gehässig, dann zuckt er die Achsel»
und gehl aus de» Gang hinaus; die Dame und
Frieda bleiben allein zurück. Nach einer Weile
sagt erstere): Fährt die Dame vielleicht auch nach
Venedig?

Frieda (erreichend): Nein ... Das heistt: Heute
noch nicht... nein. Heute fahren wir blos bis
Reichenau.

Die e. Dame: Ah!



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Max Bernuth: Bocksprung
Raoul Auernheimer: Hochzeitsreise
 
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