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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31
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https://doi.org/10.11588/diglit.3899#0082

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Nr. 3!

. JUGEND

1901

Ein frauenverebrer

Gin erelgnihreicher Lebenslauf

Von Alfred af Bedcnstjerita

ereit§ von Kind auf liebte Willy Heckbauer
die weiblichen Wesen — schon in der Person
seiner Mama. Nun sind alle Mama's weib-
liche Wesen; aber es ist doch ein gewisser
Unterschied zwischen Thierbttndigerüinen in
Circussen und einer seinen, sausten Frau
Konsulin, und Frau Konsulin Heckbaucr
war eines der weiblichsten Wesen auf der
Welt, und ihr Willy bewies schon früh einen
starken Zug zum ewig Weiblichen hin.

Er war, außer von seiner Mama, von
drei Basen und zwei Muhmen, einerAmme,
einem Kindermädchen und drei Dienstmäd-
chen vom ersten Tage an umgeben. Er be-
kam seinen ersten Unterricht bis zum zwölften Jahr von einer Gouvernante;
und seine letzte Gouvernante war seine erste Liebe; und seines kleinsten Bruders
Kindermädchen war nahe daran, um seinetwillen in den Fluß zu gehen. Er
konnte eine halbe Meile für die Pensionssreundinnen seiner Schwester nach
einer seltenen Blume wandern. Im Sommer trug er sich an den Regen-
mänteln der Mädchen ganz schief, und im Alter von fünfzehn Jahren drohte
er, sich wegen der Schwester des Küsters zu erschießen, — einer Posthalterin an
dem -Ort, wo Konsuls ihren Sommersitz'hatten, — da sie nicht die ganzen Tage
mit ihm im Walde herumlaufen und sich von ihm küssen lassen wollte.

Kaum war er confirmiert, so wurde er überall als Hochzcitsmarschall
eingeladen und hielt Reden auf die Brautdamcn, natürlich in Versen.

Eine seiner Tanten hatte eine Köchin, die Liese hieß; sie wog 170 Pfund,
war pockennarbig und sünfundvierzig Jahre alt. Wenn Willy sie sah, warf
er ihr eine Kußhand zu, lüftete ben Hut und fragte:

„Wie geht es dem lieben, kleinen Lieschen?"

Willy war nicht schön, eher das Gegentheil; aber klein, fein, elegant,
liebenswürdig, zärtlich und herzlich. Stieg er in ein Eisenbahncoup« ein' und
saß da vorher eine Dame oder stieg später eine ein, so gab er sich nicht zu-
frieden, bis er erfahren hatte, ob sie vorlvärts oder rückwärts fahren wollte,
ob sie fände, daß es „ziehe", ob sie bis-
her eine angenehme Reise gehabt habe,
was sie von Byron meine und oh sie
die Musik oder das Theater mehr liebe?

Biele Züge mit Mädchen darin fuhren
ihm davon, weil er ihnen Wasser, Back-
werk, Frnchtbonbons oder Blumen holen
wollte.

Einmal wurde eine Volksschullehrerin
ganz toll und verrückt, nachdem sie eine
Reise zu ihren Eltern in ihre Heimath
gemacht hatte. Lange konnte niemand
den Grund dafür ausfindig machen;
aber dann kam jemand und erzählte, sie
wäre aus dem Bahnhof mit einem Herrn
zusammengetroffen, den man nach der
Beschreibung als Willy Heckbauer er-
kannte. Dieser hätte bedauert, daß er
nicht noch ein kleiner Junge sei, um in
ihre Schule gehen zu können. Er hatte
die Meinung ausgesprochen, daß das
Heim, dessen Zierde sie würde, in den
Tagen ihrer Abwesenheit kalt und düster
werden müßte. Er versicherte, es würde
gerade so sein, als wenn nach der Nacht
die Sonne aufginge und durch das ge-
öffnete Fenster feine, wohlriechendeFruh-
lingsdüste hineinzögen, wenn sie ihre
Füßchen auf dessen Schwelle setzte. Und
er bezweifelte stark, ob sie das Recht
hätte, so lange an einem Platz zu weilen
und Millionen in Unkenntniß ihres Da-
sein's zu lassen. Er fragte sie, ob sie
Kaffee oder Thee vorzöge, bat sie, über
ihn zu befehlen, und hielt den Mann,
dessen Belehrung, Leitung und Unter-
weisung für das Leben sie übernehmen
wollte, für den Glücklichsten unter den
Sterblichen.

Als sie dann »ach Lause kam und
der Vicepastor und Schulrathsvorstand
einige kleine Bemerkungen über den
Unterricht in der biblischen Geschichte
machte, bekam sie hysterische Anfälle,
weinte und sagte, sie wäre für einen ganz
andern Platz im Leben geschaffen.

Auf der Stativ» vor seinem Geburts-
ort tras er einmal eine junge Danre,
die einfach und anspruchslos gekleidet
war, aber frisch und hübsch ausiah. Er
lud sie zum Frühstück ein, hörte, daß
sie in seiner Vaterstadt eine Stellung
antreten sollte, und hoffte, daß es ihm
vergönnt sein würde, sie wiederzusehen.

Ikbeintöcbtercven

„Ich hoffe es fast auch," sagte das Mädchen, „denn eine große, schöne
Photographie von Ihnen stand auf einer Stafselei in dem Zimmer der Frau
Konsul Heckbauer, als ich bei ihr war, um mich bei ihr als Kamincrjungser
zu vermiethen."

Als er einmal in einen Waggon dritter Klasse auf einer sehr schmal-
spurigen Nebenbahn hinaufklettertc, weil es der einzige im Zuge war, der
ein weibliches Wesen in sich barg, fand er in diesem em nettes, ungekünsteltes
Mädchen, dessen ganzes Wesen aber von tiefer Wehmuth erfüllt war. Aber
man denke sich Willy Heckbauers Verblüffung, als er nach einer rücksichts-
vollen und zartfühlenden Anrede ihr Confect aus einer Schachtel anbieten
wollte, sie aber beharrlich ihre Hände im Muff hielt.

Es war eine Kindsmörderin, die durch ihre Handfesseln und die An-
wesenheit des Transporteurs sich geniert fühlte.

Willy Heckbauer hatte auf Bällen eine solche Art, mit den Damen zu
reden, daß mindestens drei der „besseren Töchter" der Stadt bei sich im Stillen
Lachten: „Bin ich nun mit Willy Heckbauer verlobt oder nicht?"

Erst sollte er Kaufmann werden und war in fünf Kontors innerhalb
anderthalb Jahren. Aber er verlor alle Stellungen, weil die Frauen der
Prinzipale öfter an Willy's Hals hingen, als Willy selbst auf dem Kontor-
sessel.

„Donnerwetter, Willy, wie schmutzig sieht denn Dein Zimmer aus,"
sagte eines Tages ein Freund zu ihm. „Die Decke schaut wie eine Landkarte
aus von lauter Regentropfen, der Boden besteht aus lauter Splittern und
Aesten und die Tapeten hängen in Fetzen."

,,Ja," sagte Willy und zuckte die Achseln. „Was soll ich thun? Die
Wirthin ist eine feine Dame, und die kann man doch nicht zu etwas zwingen."

(Sie ivar eine sechzigjährige Metzgerswittwe, die in ihrer Jugend Kell-
nerin gewesen war.)

Seine erste Braut hob ihre Verlobung mit ihm auf, weil sie ihn knieend
vor der Kammerjungfer des Hauses überraschte, der er half, die Stiefeletten
des Fräuleins anzuziehen.

Als er einmal mit nur zwei Kronen in der Tasche zu seiner Stamm-
kneipe ging, siel ihm ein, daß der Geburtstag der Kellnerin sei; er kaufte
ei» Bouquet für das Geld und ging hungrig zu Bett.

Er hatte zwei Royalphotographieen, eine von der Trebelli und eine von
der Kristina Nilsson, beide mit eigenhändigen Dedicationen. Die Trebelli
nannte ihn ,,mnn ami“ und die Nilsson „snälle lierr ileckbauer“. („Lieber
Herr Heckbauer").

Als er eines Morgens nach einem großen Feste erwachte, entdeckte er,
daß er mit zwei jungen Tameii verlobt lei. Da reiste er in's Ausland.

Glücklicherweise lvar die eine nach einem
Jahr verheirathet und die andere an der
galoppierenden Schwindsucht gestorben.
Ja, das Glück war ihm immer hold bei
den Damen.

Als er wieder verlobt war, schickte er
seiner Angebeteten solch riesenhafte Blu-
mensendungen, daß die Ulmerdogge der
Schwiegermutter von dem Duft „kre-
pierte".

Dennoch erreichte er es, mehrmals
verheirathet zu sein. Seine erste Frau
fragte er zu Tode dadurch, daß er
sie fortwährend fragte, wie es ihr denn
ginge, als sie einen starken Halskatarrh
hatte, und so heiser war, daß sie nur
krächzen konnte.

Die andere starb vor Schmerz, als sie
nach der Geburt ihres kleinen Jungen
zum ersten Alal ausstand und beim Hin-
eingucken in's nächste Zimmer die Amme
in Willy's Armen sah. Vergeblich ver-
suchte er ihr einzureden, daß er ihr nur
das Kind an die Brust gelegt habe.

Wenn er nun als Wittwer zum zwei-
ten Male ausging, steckten alle Mädchen
die Köpfe zum Fenster hinaus, und das
Ladenfräulein seines Handschuhladens
stürzte sich um seinetwillen aus der fünf-
ten Etage herab.

Während dieser zweiten Wittwerschaft
verliebte er sich in eine Circusreiterin,
und war im Begriff, sich dadurch zu
ruinieren, daß er ihr von Stadt zu
Stadt folgte und die Blumenläden plün-
derte bei ihreni Austreten.

Er ließ nicht von ihr, bis sie ihm
gesagt hatte: „sie wäre verheiratet, und
zwar mit einem Frauenzimmer: sie wäre
nämlich selbst ein Mann; sie hieße Henri,
statt Henriette Franconi, und daß er
kopfüber die Treppen hinabkäme, wenn
er sich jetzt nicht aus dem Staube
machte!"

Da wurde Willy Heckbauer wüthend
und ging fort; aber am Nachmittag kam
er zum Kaffee wieder und fragte mit
Thränen in den Augen, ob nicht Mr.
Franconi eine Schwester habe, die ihm
ähnlich sähe, dann wollte Willy aus sie
reflectieren.

Im Frühling starb Willy, nachdem
er zum dritten Mal Wittwer geworden
war, an gebrochenem Herzen, als er von

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A. Fiebiger (München)

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Index
Albert Fiebiger: Rheintöchterchen
Alfred af Hedenstjerna: Ein Frauenverehrer
Julius Diez: Initiale
 
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