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1901

JUGEND

Nr. 32

Die tschechische Amme der panslavistischen Brüderschaft ist in Verzweiflung, dass
trotz der schönen Prager Festtage der Bruder Russ den Bruder Pollak in altge-
wohnter Weise zu behandeln fortfährt.

evangelisch

Der Herr Pfarrer, der sehr um das Wohl
und Wehe feiner Beichtkinder besorgt ist, will die
junge Müllerwittwe trösten gehen. Auf dem Wege
durch die schweren Weizenfelder überrascht er die
Untröstliche mit dem jungen Müllergesellen, den
er wegen seiner Zärtlichkeit gleich mit dem Stock
bearbeitet. Erbittert springt der Franzl auf und
schreit den Pfarrer an: „Sie haben mir gar nichts
zu sagen, ich bin evangelisch."

JTrbeifstbeilutig in der Kritik

Ein Berliner Blatt hat sich die Kritik über
die Jagdbilder der Berliner Kunstausstellung
von einem — Forstmeister schreiben lassen.
Dieser Einfall eröffnet der Knnstberichterstattnng
neue Perspektiven. Durch das Prinzip der Arbeits-
theilung! In Zukunft wird z. B. über die neuere
Berliner Historienmalerei ein Schneider oder
Schuster mit besonderer Sachkenntniß urtheileu,
über das Thierstück wird ein Sachverständiger
vom Bund der Landwirthe vernommen, über
die Landschaften wird ein Geologe schreiben,
zur Kritik der Seestücke wird ein Herr vom
Marineamt kommandirt. Manchesmal hat ge-
wiß auch der Psychiater die einzig maßgebende
Autorität. Für gewisse Fächer wird eine gemischte
Commission nöthig sein, z. B. für's Porträt, über
das ein Zahnarzt, ein Friseur, ein Physio-, Psycho-,
Anthropo-, Phreno-, Ophthalmo- und Dermato-
log und ein Physiognom vereinigt ein maßgebendes
Urtheil fällen werden. Dann wird cs auch wie-
der Vorkommen, daß über ein einzelnes Bild
eine spezielle Fachantorität gehört wird. Wer
könnte z. B. über Klimts „Medizin" mit
größerer Sachkenntniß schreiben, als eine ge-
prüfte Hebammei — »n—

„Echt prcißiscb!"

sagte ein süddeutscher Abgeordneter, als er Thielens
Rückfahrkarten-Erlaß gelesen hatte.

„Wieso?" fragte erstaunt ein Fraktionsgenosse.

„Aber wissen Sic denn nicht, daß cs seit Jahren
der Wunsch aller neuernannten preißischen Mi-
nister war, init Rückfahrkarten nach Berlin reisen
zu können, die während ihrer ganzen Amts-
dauer Giltigkeit haben?"

Zu spät

Die Stutzuhr — die die treuen Räthe
Dem ausgedienten Steuermann,

Der ernten mußte, rvas er säte,

Demnächst verehren wollen — kann
Den klugen Miguel kaum noch freuen,
Denn heute weiß er, steuermatt,

Längst ohne Stutzuhr der Getreuen
Wieviel die Uhr geschlagen hat. Ist

Geistesgegenwart

Charles Lawy, Inhaber der Firma Charles
Sawp 8c Co., Bremen, macht mit seinem Freunde,
Moritz Dppenheimer, eine Vergnügungsreise durch
Italien. Sie kommen nach Rom und werden bei
einem Ausfluge von Räubern überfallen. Beiden
werden die Pistolen vorgehalten und wie aus
einem Munde ertönt ihnen ein: »La bourse ou
la vie« entgegen. Sawp ist vor Schreck sprach-
los, während Dppenheimer zuerst seine Fassung
wieder erhält und den Räubern zuruft: „Nehmen
Se kawp."

Mindestens auf Säbel!

„Ich kann Ihnen nur rathen, meine Herren,
fordern Sie in allen Iällen mindestens auf Säbel!"
Der Oberst des sächsischen Artillerieregiments
Ao. 12 in Metz an seine Offiziere.

Ein Ehrengericht ist ein schönes Ding, IW»
Doch irrt cs sich leider zu häufig.

De» Heeren Offizieren sind vielfach noch
Civilistenbegriffe geläufig.

Sic glauben, sie müßten dem Pöbel zu lieb
Militärische Grundsätze linder»

Und mit Rücksicht auf das Strafgesetzbuch
Die Duelle möglichst verhindern.

So hatte in Metz beim Liebcsmahl

Ein betrunkncr Leutnant — o Jammer! —

Geohrfeigt einen Oberleutnant

Beim Transport in die „Lcichenkammee".

Und der höfliche Herr ließ sagen ihm drauf
Gegen alle besseren Sitten,

Er solle am nächsten Morgen sogleich
Ihn um Entschuldigung bitten.

Und der Jüngere that's und gelobte zugleich,
Stets Maß zu halten beim Glase,

Und der Aeltere erbat vom Ehrengericht
Für ihn eine tüchtige PIase.

Und das Ehrengericht, als säßen darin
Gewöhnliche Landgcrichtsräthe,

Beruhigt sich bei diesem Bescheid
Und verlangt nicht, daß man sich tödte.

Doch lebte zum Glück an der Pleiße Strand
Ein Rriegcr von alten Manieren,

Der schrieb an den König und ließ durch ihn
Das läppische Urtheil kassiecn.

Und ein neues Gericht rhät allssglcich
Sich mit der Affairc befassen,

Und der höfliche Oberleutnant ward
Mir schlichtem Abschied entlassen.

Und der Oberst des Meyer Regiments
Sprach drauf zu seinen Getreuen:

„Meine Herren, wie haben ein Ehrengericht
Und wollen uns darüber freuen!

Es schützt uns vor dem bösen Gcred'

Der neidischen Civilisten,

Der Nörgler und Rläffer im Parlament,
Der Christen und Atheisten.

Doch weh, wer, statt in des Gegners Brust
Sein blitzendes Schwert zu rauchen,

Das edle Organ erniedrigen will,

Und als Friedensstifter mißbrauchen!

Denn ein solches Ehrengericht, mein Herren
Ist ein unbrauchbares Möbel.

Drum fordern Sie, was immer passirr,

Zum Mindesten stets auf Säbell"

» » *

Also der Oberst. Mir summr im Ohr
Ein Raiserwort über Duelle,

Und da kommt mir die Welt so närrisch vor
„Also Säbel auf alle Fälle!"

Tarul»

Zur neueren Kunstgeschichte

liefert der Rritiker eines Wiener Blattes, der
Über die „Münch euer Internationale" schreibt,
einen hübschen Beitrag. Cr lobt — ganz mit
Recht übrigens! — das geschmackvolle Arrange-
ment der wiener Säle und fährt dann fort:
„Und kommt man alsdann in die Münchener Säle,
so bemerkt man zu seinem Erstaunen: „I m Punkte
des Aufhängens haben die wiener be
reits Schule gemacht! Auch hier hängen,
wo irgend thunlich, die Bilder nur in Einer
Reihe —" Großartig! Heuer werden es gerade
zehn Jahre, daß Münchener Künstler den Wienern
die Gründung einer Secession und ihre Methode,
Bilder zu hängen — vorgeahmt haben! Für
die Feststellung dieses Plagiates der Münchener
an der Wiener Kunst, die ja bekanntlich immer
hinterdrein an der Spitze marschiert ist, wird nun
wohl der, von der Spree nach der Donau ver-
zogene Kritikus endgültig zum — Urwiener
ernannt werden! Schon damit er angesichts dieser
geschmackvollen Geschichts-verbesserung sagen kann:
„An uralichen Weana schenürt so was nöd!"

Y.

53?
Index
Ist.: Zu spät
Tarub: Mindestens auf Säbel!
[nicht signierter Beitrag]: Zeichnung ohne Titel
[nicht signierter Beitrag]: Geistesgegenwart
-nn-: Arbeitstheilung in der Kritik
[nicht signierter Beitrag]: Evangelisch
[nicht signierter Beitrag]: "Echt preißisch!"
Y.: Zur neueren Kunstgeschichte
 
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