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1901

JUGEND

Nr. 33

Paula: Ja. Aber er wird sich
rächen. Du kennst ihn nicht. Er ver-
gibt nicht. Nie. Er war immer der
Strengste von allen Richtern, am
ganzen Gericht.

Franz: Na, was denn? Duelliren
vielleicht? Dummes Zeug. Ich bin
doch kein Student. Das heißt — wenn
er vielleicht meint, ich Hab' Angst —
lieber mach' ich den ganzen Blöd-
sinn mit.

Paula: O, er kann hassen. Mor-
den könnt' er mich, glaub' ich. Lieber,
als daß er mich Dir läßt.

Franz: So wach' doch ans.

Paula: Ja. Du hast Recht. O,
ich bin lvahnsinnig.

Franz: Ich werd's bald auch, wenn
das so weiter geht. Na, komm'. Was
quälst Du Dich denn? Bist Du nicht
bei mir? Ist es nicht gut so? Jetzt
bleiben wir beisammen, immer. Und
es hat doch sein müssen, Du hast's
ja selber gesagt, Du kannst ihm nicht
mehr —

Paula (schaudernd): O!

Franz: Und ich hätt's auch nicht
geduldet. Also. Und jetzt ist es ge-
schehen und jetzt bist Du —

Paula (auf, zu ihm, leidenschaft-
liche Umarmung): Franz! Franz!

Hast Du mich lieb?

Franz (aufglühend): Paula!

Paula: Lieb haben! Lieb haben!
Wahnsinnig — wie ich Dich — hast
Du mich lieb? So lieb?

Franz: Mein — mein —

Paula: Und weißt Du's, daß ich
Dich so lieb habe?

Franz: Ja, ja.

Paula: Und immer — nicht nur
jetzt — immer — versprichst Du mir's ?

Franz: So lang ich lebe, Paula.

Ich kann ja doch nicht anders. Was
gibt's denn da zu versprechen? Wenn
ich ja doch nicht anders kann. Wie
kannst Du nur fragen? Ich liebe Dich.

Du — Du schöne Frau. Du s ch v n e
Frau! Und Du?

Paula: Ich? Da! (Sie küßt ihn.) ’
Was Hab' ich denn sonst noch auf der
Welt? Und ich will ja auch nichts
mehr. Nur Du. Du.

Franz: Und ich? Ich Hab' ja doch auch
nichts —

Paula: Und die Kunst?

Franz: Was geht mich denn die Kunst
an? Meinetwegen kann sie zum Kuckuck
fahren, die ganze Bildhauerei! Die Kunst!
Ha, ha, die Kunst! Und übrigens: die läuft
mir nicht davon.

Paula: Nein, nein, ich will Dich nicht für
mich allein haben. Was bin denn ich? Ich
will Dein Leben nicht haben. Dazu bist Du
zu gut. Nur still im Winkel sitzen und zu-
schauen! Ich — Aber Du. Du bist ein großer
Künstler — und Du sollst es bleiben. Jetzt
erst recht. Das versprech' ich Dir.

Franz: Ein großer Künstler! Habt ihr
eine Idee, ihr Frauenzimmer! Was die
Leute sagen! Ein großer Künstler! Michel-
angelo war ein großer Künstler. Aber ich
bitte Dich, was ist das für dummes Zeug,
jetzt, Michelangelo — hol' ihn der Teufel!
Na, sind wir jetzt ruhig? Fürchten wir uns
nicht mehr vor Gespenstern? Eine so ge-
scheite Frau! Du bist ja viel gescheiter als
ich — jawohl, gnädige Frau, meinen Sie,
das weiß ich nicht? Was Hab' denn ich ge-
lernt? Wo soll denn ich was gelernt haben?
Vielleicht auf unserm Dorf beim Ackern und

0er örunnen

Cm Springbrunnen fingt vor meinem Haus,
Wer kennt sich in feiner Sprache aus?

3d) möchte fo gern feine Sprache verstehn,
gleich möcht' ich's zu Fernanden lernen gehn.

3hr glaubt am Ende, in einem fort
Spricht fo ein Brunnen das gleiche Wort?

3hr müht nur horchen »acht und Gag,

Was fo ein Brunn alles lagen mag.

Wenn die Sonne scheint, wenn ein

Sturmwind pfeift

Und ihm in die perlenden Gropfen greift
Und gar im riefelnden lUondeslicht,

Da thätet ihr staunen, was der alles spricht!

Manchmal weint er und manchmal lacht er hell,
Manchmal fingt er auch, wie ein muntrer Oefell,
Und zankt manchmal und wird auch ganz still.
Wenn ich nur wüht', was er sagen will!

Hugo Salus

Julius Diez (München)

Viehhüten? Oder als Maurer-
lehrling ? Und das bischen
Zeichnen und Modelliren —
0 jeh!

Paula (streicht ihm über's
Haar): Dummer Junge. Bau-
ernjunge.

Franz: Prinzessin. Schöne
Prinzessin. (Er küßt ihre Hän-
de. Pause.) Friert's Dich ivirk-
licb nicht? Du zitterst ja.
Friert's Dich gewiß nicht?

Paula: Rein. Es schauert
mich nur manchmal.

Franz (greift nach seinem
Mantel): Eingewickelt wirst
Du (breitet den Mantel um
sie) wie feuchter Thon. Daß
mir nichts d'ran kommt. Ganz
zu. (Heiß.) Ich weiß ja doch,
was d'runter steckt.

Paula (legt ihm die Hand
auf den Mund): Nicht' Nicht.
(Sie schließt die Augen.)

Franz: Schau mich doch
an. Meinst, ich werd' sie ver-
gessen, wenn Du sie zumachst?
Die zwei da, unter der Stirn
da, und den Blick ... iveißt
Du, wie's mich gekränkt hat,
daß ihn der Marmor nicht
hergibt... Der hat mich gefangen.
Ja, gefangen. Ganz richtig einge-
sangen. Mit Ketten gcbundeir, daß
ich nicht mehr los gekommen bin.

Paula: Ich — Dich? Ich hab'S
doch nick>t gewollt.

Franz: Nein, Goit im Himmel,
regt sich schon wieder das kleine Ge-
wissen? Nein, nein, ich geb' Dir ja
schon das Zeugniß: ich war's, nicht
Du. Die Prinzessin ist ganz stolz auf
ihrem Thron gesessen, nicht einmal
das kleinste kleine Fingerchen ihrer
schmalen Hand hat sie ausgestreckt —
(nimmt ihren kleinen Finger) nicht
einmal das da — nur ich war's, ich
Hab' sie angebetet und gefleht und ge-
bettelt, daß sie mich lieb haben soll,
nur ein wenig lieb, nur ein ganz
klein wenig. Weil sie mir gar so gut
gefallen hat. Gar so gut gefallen.
(Er liegt zu ihren Füßen.)

Paula: So gut. So gut.

Franz: Und jetzt — jetzt ist sie
frei — keine Prinzessin mehr —

Paula: Nein, nein — keine Prinzessin
mehr —

Franz: Und wir geh'n in die weite Welt,
nach dem Süden, da ist's warm, da scheint
die Sonne, da gibts Blumen —

Paula: Blumen.

Franz: Du hast sie ja so gern. Du sollst
ja so viel haben, so viel, ganz zndecken will
ich Dich damit, ganz begraben sollst Du wer-
den in Blumen, von den schwarzen Haaren bis
zu den kleinen Füßen..

Paula: Und frei. (Lehnt sich zurück, sireisl
den Mantel herunter, breitet die Arme aus)
Frei. Das — das Hab ich nie gehabt. Nie
iir meinem ganzen Leben. Immer gebunden,
immer ein Tag wie der andere. Pflicht,
Pflicht. Zu Haus bei den Eltern: „als Toch-
ter eines Beamten" — und dann: „als Frau
eines Beamten". Nichts Schönes, nichts Frei-
es, nichts so — so wie Du. Wie Du gekom-
men bist... als wenn ich einen Traum ge-
habt hätte, so schwer! und auf einmal wach'
ich auf und der Tag ist da und die Sonne
und Alles hell und schön. Was Hab' ick)
denn gewußt, was das ist, das Glück? Ich
glaub', ich Hab nicht einmal gewußt, daß

)
Index
Julius Diez: Zeichnung zum Gedicht "Der Brunnen"
Hugo Salus: Der Brunnen
 
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