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Nr. 39

. JUGEND .

1901

Die Krämerseelen

Megeist'rung jede Scele schwellte,

Da auf der Donau blauer Fluth
Im Osten sich der Morgen hellte,

Roth von des jungen Tages Blut.

Die Segel rauschten an den Masten,

Die Waffen klirrten lustig d'rein,

Und fester sie die Schwerter faßten:

Wohlauf in's Morgenland hinein!

Den Erbfeind gilt es zu besiegen,

Gott will es, Gott verläßt uns nicht,

Nun heißt es sterben oder siegen,

Der heilige Kampf ist Christenpflicht!

Doch plötzlich steh'n die stolzen Schiffe,

Es stockt die Fahrt, der Jubel schweigt,

Als durch den Fluß von Riff zu Riffe
Gespannt sich eine Kette zeigt.

Deb Kaiser späht mit finst'rem Blicke
Hinaus in's gold'ne Morgenlicht:

„Wie heißt der Ort, was soll die Tücke?" —
„Mauthhausen, — Herr," ein Ritter spricht:

„Ihr Name sagt, was sie begehren:

Die Bürger steh'n auf ihrem Schein,

Auf alten Rechten, und sie wehren
Uns dreist die Fahrt in'S Land hinein.

Wenn nicht zuvor von allen Schaaren
Für jeden Kopf den Zoll Ihr gebt,
Gestatten sic kein Weiterfahren,

Nicht früher sich die Kette hebt." —

Der Rothbart hört's mit bleichem Munde,
Fest packt die Hand des Schwertes Knauf:
„Die Krämerseelen, — ha, — zur Stunde
In Flammen geh' ihr Raubnest auf!" —

Er ruft es laut mit Donnerstimme,

Und wie der Brand zum Himmel bricht,
Kehrt er sich ab, in bitt'rem Grimme
Auf's Schwert gelehnt, und sinnt und spricht:

„Nicht weil dem Kaiser kühn sie drohten,
Gestützt auf Siegel, Brief und Recht,

Ans Herrschsucht nicht Hab' ich geboten,

So schwer zu strafen ihr Geschlecht.

Nein, darum trifft sie meine Rache
Mit dieser Flammen grausem Schein,

Weil sic bei einer großen Sache
Es frech gewagt, so klein zu sein!" —

Eine Wiener Strobwimvergesebiebte

von Felix Gärber

„palloh! palloh! hier Zoller; bitte rufen Sie pcrni
l)r. willmann an's Telephon!"

„Ah! Servus! Du bist's Richard! lvas gibt's denn?"

„Ich wollte Dir nur mittheilen, lieber peinrich, daß
meine liebe Frau — —"

„lvas! schon wieder? Ist's ein Bub oder..."

„Zum Teufel nein! Laß mich ausreden! Ich
wollte Dir mittheilen, daß meine Frau heute Abend mit
den Rindern zum Sommeraufenthalt nach Ucrinqsdorf
fährt. Um 9 Uhr 30 geht der Zug vom Nordwcflbahnhof
ab, und von 9 Uhr 3 t an stehe ich zu Deiner Verfügung."

„Ja was soll ich denn mit Dir anfangen?"

„Frag' nicht so dumm, lvir treffen uns heute Abend
irgendwo, feiern den Beginn meines Strohwittwcrthums
und entwerfen einen Feldzugsplan für den Sommer."

„Na Du bist mir ein saubrer Patron! Im Uebrigen
bin ich heute Abend nicht allein; meine Pflicht zwingt
mich, um halb Elf beim BLHncnausgang in .Venedig in
kvien' auf meine theure Gattin zur linken pand zn
warten. Du siehst also, ich Hab' cs nicht so gut wie
Du. Es soll mir aber ein Vergnügen sein, wenn Du den
Abend mit uns verbringen willst."

„Angenommen; Punkt halb Elf treffe ich Dich beim
Bühnenausgang. Schluß!"

Dieses Gespräch zwischen dem Fabrikanten Zoller
und dem pof- und Gerichts-Advokaten Or. lvillmann
fand um fünf Uhr Nachmittags statt. Gleich darauf
begab sich perr Zoller nach Laufe, um die wenigen, noch
erübrigenden Stunden voll und ganz seiner Familie zn
widmen.

„lvie lieb von Dir, Richard!" sagte die kleine Fabri-
kantensgattin, „daß Du so früh nach Pause kommst und
wir Dich so noch ein Bischen haben können. Ja was
ist denn das? Du trägst ja einen Ring an Deiner
pand, mir scheint gar den Ehering, Du, der doch nie
Ringe trägt?"

„Ja, liebes Rind," meinte Zoller, „den Hab' ich mir
heute ertra angcsteckt, um Dir zu zeigen, daß ich in
Deiner Abwesenheit stets nur mit dem Ehering bewaffnet
ausgehen werde."

Ein inniger Ruß war die Antwort.

„Ach, Liebster, wenn Du doch wenigstens auf knappe
vierzehn Tage uns besuchen wolltest; geht es denn wirk-
lich nicht?"

„Leider, perzchen, wird es diesen Sommer absolut un-
möglich sein, und ich werde mir erst im perbst eine
kleine Lrholungstour leisten können."

9 Uhr 29! Zoller hat eben feine Familie in einem
Separat-Eoupö glücklich untergebracht und rührenden Ab-
schied genommen.

9 Uhr so! ^Die Lokomotive pfeift, die Räder beginnen
zu rollen, die Taschentücher zu wehen und immer rascher
dahingleitend braust der Zug in die Nacht hinaus.

9 Uhr z;! Zoller zieht seinen Ehering vom Finger,
steckt ihn in das Portemonnaie, bleibt im pinansgehcn
vor dem Spiegel des lvartesaajcs stehen, um der selbst
gebundenen Eravatte einen recht „genialischen" Schwung
zu geben und besteigt dann eine „Elektrische". Richtung
Prater. . .

Am Praterstern angelangt, löste sich Zoller ein Ein-
trittsbillet nach „Venedig in lvien" und war nicht wenig
erstaunt, als der kontrollirende Billeteur ihn mit einer
tiefen Verbeugung und den Worten: „Guten Abend.

Emil Liihrig (Dresden)

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Index
Franz Wichmann: Die Krämerseelen
Felix Gärber: Eine Wiener Strohwittwergeschichte
Emil Lührig: Zierleiste
 
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