Nr. 39
JUÜBND
1901
Julius Diez (München)
ex u BKisci PR i-Adolf- bermanm*
wurde ihr vorgestcllt, und die Drei ginge» nun-
mehr soupiren.
Aber, o Wunder! wohin sie auch kamen, im
Restaurant, dann im Lase, überall wurde der
Fabrikant von den Kellnern und Kellnerinnen
sofort mit seinem richtigen Namen begrüßt, über
welchen sonderbaren und unerklärlichen Umstand
er immer verstimmter wurde. So begab er sich
denn auch zeitlicher als projektirt nach Hanse und
nahm sich vor, den nächsten Abend allein ans
Abenteuer auszugehen nnd alle halbwegs be-
kannten Lokale zu meiden. Lr wollte doch sehen,
ob er nicht incognito bleiben könne.
Doch diesen Abend und auch den folgenden,
wohin er kam, überall tönte es ihm: „Guten
Abend Herr von Zoller, was befehlen Herr von
Zoller" re. re. entgegen, ohne daß er dieser Merk-
würdigkeit durch Fragen auf die Spur kommen
konnte. Der Line behauptete, ihn von da, der
Andere, ihn von dort aus zu kennen oder einmal
gesehen zu haben, und er konnte es sich nicht er-
klären, wieso er plötzlich eine so bekannte Persön-
lichkeit geworden war.
Der folgende Abend jedoch brachte den Cul-
minationspunkt. Der Fabrikant trat absichtlich
in eines der ordinärsten Nacht-Laföhäuscr, in
dem er nie zuvor gewesen war, und kaum saß
er an deur Marmortischchen, als er auch schon
mit einem so lauten, kräftigen „Guten Abend
Herr von Zoller" begrüßt wurde, daß er rasch
einen Gulden auf die Platte warf und in flucht-
ähnlicher Lile das Lokal verließ.
Tolle Gedanken tauchten in ihm auf, er glaubte,
daß er an Verfolgungswahn zu leiden beginne,
und grübelnd schritt er seines Weges. Da plötz-
lich bemerkte er einige Schritte vor sich eine Frauen-
gestalt in weißem Kleide, die ihren Kopf wieder-
holt nach ihm umdrehte und deren Formen ihm
gefielen. Lr folgte ihr, sie bog um die Lcke, er
ebenfalls, und als sie nach einigen Schritten vor
einem Hausthore stehen blieb, näherte er sich ihr,
faßte sie muthig am Kinn und fragte: „Nun
schönes Kind, darf ich Dich hinauf begleiten, da-
niit Du Dich nicht zu sehr auf der Treppe fürchtest?"
Da lächelte das Mädchen und dem Gehege
ihrer Zähne entschlüpften die Worte: „Sehr gern,
lieber Herr von Zoller."
Der Fabrikant stieß einen wahnsinnigen Schrei
aus und rannte, wie ein Besessener, mit sich selbst
redend und gestikulirend nach Hause, wo er in
einem derartigen Zustande anlangte, daß sein
Portier sofort einen Arzt holen ließ.
Wien, 20. Juli zyoz.
Mein lieber Schatz!
Die veränderte Lebensweise, der Anblick des
zerstörten und öden Heinis, die trostlosen Abende
im Kreise wüster Junggesellen und Strohwittwer
und die immer mehr anwachsende Sehnsucht »ach
Dir und den Kindern haben mich derart nervös,
ja beinahe krank gemacht, daß ich gestern unseren
Hausarzt consultircn mußte, der mir schleunige
Abreise und einen Urlaub von sechs Wochen auf
das dringendste empfahl. Ich reise daher morgen
Abend von hier ab und freue mich schon unend-
lich, Dich und die Fratzen wieder zu sehen.
Sei iunigst geküßt von
Deinem treuen Richard
Heringsdorf, 22. Juli iguz.
fiemt Paul Werner,
Wien.
k^eute Abend trifft mein lieber Mann hier
ein. Ich drücke Ihnen meine vollste Anerkenn-
ung und Bewunderung für die originelle Art und
weise aus, mit der Sie es verstanden haben,
meinem Herrn Gemahl die Strohwittwerfchaft
gründlich zu verleiden. Nicht minder bewundere
ich die Geschicklichkeit, mit der Sie und Ihre
Gehilfen, Schatten gleich, bald hinter meinem
Manne her, bald ihm vorauseilend, sein Inco-
gnito zu zerstören wußten. Ihr ausgezeichnetes
Detektiv-Institut kann meiner wärmsten Lmpfehl-
ungcn an alle meine Freundinnen versichert fein.
Ls dankt Ihnen nochmals bestens
Friederike Zoller.
Scbwartcnmalcrs Betrachtungen
über die
Geldverlegenheit in der deutschen Literatur
Blicken meine Augen in die Runde,
Ueberkommt mich großes Herzeleid,
Denn es dominirt zu dieser Stunde
Allenthalben Geldverlegenheit,
Und zumal im Zauberreich des Schönen,
wo der Musenjünger einsam schweift,
Und entzückt vom Reize der Kamönen
In die mitgebrachte Leier greift.
wahrlich, wie ein rother Faden windet
Durch die deutsche Dichtung sich die Noth,
Jede holde Illusion verschwindet,
wenn der Autor schreibt iim’s liebe Brod.
Nehmen Sie, mein Freund, nur zum Lxemxcl
Unser» hochverehrten Schiller vor,
Ihn, der doch im deutschen Mnsentcmpcl
Lwig glänzen wird als Matador.
Hochbeseelt vom dichterischen Triebe
Haßte Alles er, was kalt und roh,
Sang von Freiheit, Manneswürde, Liebe,
von dem Lenz und überhaupt und so.
Aber seine finanzielle Lage
war trotzdem mitunter sehr prekär, _
Und man sagt, an manchem bösen Tage
Schrieb er auf 'nein Primawechsel quer.
Ach, wie oft geht es dem Guten schändlich
Hier auf dieser unvollkommnen Welt!
Goethe aber fand das unverständlich,
Denn er hatte immer kleines Geld.
Als der Sohn von einem reichen Vater
Dichtete er manches schöne Lied,
Im Gefühle seiner Mittel that er
Gütlich sich an Sekt nnd Aquavit.
Denken Sic der schweren Schicksalsschläge,
Die den großen Lessing irritirt!
Täglich brachte man ihm Postaufträge
Und er hat sie immer refüsirt.
Gottfried Bürger mit dem schönen Wahne,
Geliert, Hölty, Lenau, Seume, Kleist,
Gutzkow, Anzengruber und Fontane
waren leider abgebrannt zumeist.
Schaudernd muß ich auch an Grabbe denken,
Der so hochbegabt und kraftgenial!
Jeden Abend lief er in die Schenken
Und er pfiff auf Geld und auf Moral.
Heine auch, der ungezogne Spötter,
Trieb es toll als echtes Pumpgenie,
Schrieb dem (Unkel Briefe und dem Vetter,
Aber fragt mich nur nicht, was und wie.
wenn ich nun als Mensch und Schwartcnmaic,
Dergestalt den Lauf der Welt besch',
Greife ich bewegt in meine Leier,
Und mir schwillt die Brust in heißem Weh.
wahrlich ja, das Gold ist nur Chimäre —
Ganz besonders, wenn man keines hat,
D'rum beherzigen Sie meine Lehre:
von dem Dichten wird der Mensch
Nicht satt! Victor
640
JUÜBND
1901
Julius Diez (München)
ex u BKisci PR i-Adolf- bermanm*
wurde ihr vorgestcllt, und die Drei ginge» nun-
mehr soupiren.
Aber, o Wunder! wohin sie auch kamen, im
Restaurant, dann im Lase, überall wurde der
Fabrikant von den Kellnern und Kellnerinnen
sofort mit seinem richtigen Namen begrüßt, über
welchen sonderbaren und unerklärlichen Umstand
er immer verstimmter wurde. So begab er sich
denn auch zeitlicher als projektirt nach Hanse und
nahm sich vor, den nächsten Abend allein ans
Abenteuer auszugehen nnd alle halbwegs be-
kannten Lokale zu meiden. Lr wollte doch sehen,
ob er nicht incognito bleiben könne.
Doch diesen Abend und auch den folgenden,
wohin er kam, überall tönte es ihm: „Guten
Abend Herr von Zoller, was befehlen Herr von
Zoller" re. re. entgegen, ohne daß er dieser Merk-
würdigkeit durch Fragen auf die Spur kommen
konnte. Der Line behauptete, ihn von da, der
Andere, ihn von dort aus zu kennen oder einmal
gesehen zu haben, und er konnte es sich nicht er-
klären, wieso er plötzlich eine so bekannte Persön-
lichkeit geworden war.
Der folgende Abend jedoch brachte den Cul-
minationspunkt. Der Fabrikant trat absichtlich
in eines der ordinärsten Nacht-Laföhäuscr, in
dem er nie zuvor gewesen war, und kaum saß
er an deur Marmortischchen, als er auch schon
mit einem so lauten, kräftigen „Guten Abend
Herr von Zoller" begrüßt wurde, daß er rasch
einen Gulden auf die Platte warf und in flucht-
ähnlicher Lile das Lokal verließ.
Tolle Gedanken tauchten in ihm auf, er glaubte,
daß er an Verfolgungswahn zu leiden beginne,
und grübelnd schritt er seines Weges. Da plötz-
lich bemerkte er einige Schritte vor sich eine Frauen-
gestalt in weißem Kleide, die ihren Kopf wieder-
holt nach ihm umdrehte und deren Formen ihm
gefielen. Lr folgte ihr, sie bog um die Lcke, er
ebenfalls, und als sie nach einigen Schritten vor
einem Hausthore stehen blieb, näherte er sich ihr,
faßte sie muthig am Kinn und fragte: „Nun
schönes Kind, darf ich Dich hinauf begleiten, da-
niit Du Dich nicht zu sehr auf der Treppe fürchtest?"
Da lächelte das Mädchen und dem Gehege
ihrer Zähne entschlüpften die Worte: „Sehr gern,
lieber Herr von Zoller."
Der Fabrikant stieß einen wahnsinnigen Schrei
aus und rannte, wie ein Besessener, mit sich selbst
redend und gestikulirend nach Hause, wo er in
einem derartigen Zustande anlangte, daß sein
Portier sofort einen Arzt holen ließ.
Wien, 20. Juli zyoz.
Mein lieber Schatz!
Die veränderte Lebensweise, der Anblick des
zerstörten und öden Heinis, die trostlosen Abende
im Kreise wüster Junggesellen und Strohwittwer
und die immer mehr anwachsende Sehnsucht »ach
Dir und den Kindern haben mich derart nervös,
ja beinahe krank gemacht, daß ich gestern unseren
Hausarzt consultircn mußte, der mir schleunige
Abreise und einen Urlaub von sechs Wochen auf
das dringendste empfahl. Ich reise daher morgen
Abend von hier ab und freue mich schon unend-
lich, Dich und die Fratzen wieder zu sehen.
Sei iunigst geküßt von
Deinem treuen Richard
Heringsdorf, 22. Juli iguz.
fiemt Paul Werner,
Wien.
k^eute Abend trifft mein lieber Mann hier
ein. Ich drücke Ihnen meine vollste Anerkenn-
ung und Bewunderung für die originelle Art und
weise aus, mit der Sie es verstanden haben,
meinem Herrn Gemahl die Strohwittwerfchaft
gründlich zu verleiden. Nicht minder bewundere
ich die Geschicklichkeit, mit der Sie und Ihre
Gehilfen, Schatten gleich, bald hinter meinem
Manne her, bald ihm vorauseilend, sein Inco-
gnito zu zerstören wußten. Ihr ausgezeichnetes
Detektiv-Institut kann meiner wärmsten Lmpfehl-
ungcn an alle meine Freundinnen versichert fein.
Ls dankt Ihnen nochmals bestens
Friederike Zoller.
Scbwartcnmalcrs Betrachtungen
über die
Geldverlegenheit in der deutschen Literatur
Blicken meine Augen in die Runde,
Ueberkommt mich großes Herzeleid,
Denn es dominirt zu dieser Stunde
Allenthalben Geldverlegenheit,
Und zumal im Zauberreich des Schönen,
wo der Musenjünger einsam schweift,
Und entzückt vom Reize der Kamönen
In die mitgebrachte Leier greift.
wahrlich, wie ein rother Faden windet
Durch die deutsche Dichtung sich die Noth,
Jede holde Illusion verschwindet,
wenn der Autor schreibt iim’s liebe Brod.
Nehmen Sie, mein Freund, nur zum Lxemxcl
Unser» hochverehrten Schiller vor,
Ihn, der doch im deutschen Mnsentcmpcl
Lwig glänzen wird als Matador.
Hochbeseelt vom dichterischen Triebe
Haßte Alles er, was kalt und roh,
Sang von Freiheit, Manneswürde, Liebe,
von dem Lenz und überhaupt und so.
Aber seine finanzielle Lage
war trotzdem mitunter sehr prekär, _
Und man sagt, an manchem bösen Tage
Schrieb er auf 'nein Primawechsel quer.
Ach, wie oft geht es dem Guten schändlich
Hier auf dieser unvollkommnen Welt!
Goethe aber fand das unverständlich,
Denn er hatte immer kleines Geld.
Als der Sohn von einem reichen Vater
Dichtete er manches schöne Lied,
Im Gefühle seiner Mittel that er
Gütlich sich an Sekt nnd Aquavit.
Denken Sic der schweren Schicksalsschläge,
Die den großen Lessing irritirt!
Täglich brachte man ihm Postaufträge
Und er hat sie immer refüsirt.
Gottfried Bürger mit dem schönen Wahne,
Geliert, Hölty, Lenau, Seume, Kleist,
Gutzkow, Anzengruber und Fontane
waren leider abgebrannt zumeist.
Schaudernd muß ich auch an Grabbe denken,
Der so hochbegabt und kraftgenial!
Jeden Abend lief er in die Schenken
Und er pfiff auf Geld und auf Moral.
Heine auch, der ungezogne Spötter,
Trieb es toll als echtes Pumpgenie,
Schrieb dem (Unkel Briefe und dem Vetter,
Aber fragt mich nur nicht, was und wie.
wenn ich nun als Mensch und Schwartcnmaic,
Dergestalt den Lauf der Welt besch',
Greife ich bewegt in meine Leier,
Und mir schwillt die Brust in heißem Weh.
wahrlich ja, das Gold ist nur Chimäre —
Ganz besonders, wenn man keines hat,
D'rum beherzigen Sie meine Lehre:
von dem Dichten wird der Mensch
Nicht satt! Victor
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