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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 40
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https://doi.org/10.11588/diglit.3899#0236

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Nr. 40

JUGEND

1901

die Hände fest in den Muff gesteckt, wie sie hinaus
ist, uni nicht ans versehen „so Liner" gor die
Hand zu gebe». Ich hob' noch einmal eine Nacht
lang geglaubt, ich müßt' verrückt werden — dann
waren wir ganz fertig, ich und der Eduard. —
Lin lieber Schneck — gelt?"

Das sprudelte ihr unbeschreiblich rasch und
anschaulich von den Lippen. Sogar den Dialekt des
Frankfurter Lommerzienrathstöchterchens machte
sie unbewußt nach. Nach einer langen Pause
fragte ich sie: „Und dann weiter?"

„Dann weiter? Na, dann hat er geheirathet.
Beim Ulilitär müssen sie aber auch keine rechte
Freud' an ihm gehabt haben. Ueber Jahr und
Tag war er in Llvil. Netter ist er nicht worden
seitdem. Ich Hab' ihn nur einmal wieder ge-
sprochen, ein paar Monate nach seiner Hochzeit.
Da ist er in den Laden gekommen, sehr bleich und
aufgeregt — er hat sich regelrecht gefürchtet vor
mir. Legt mir ein Lonvcrt auf den Ladentisch
und sagt, er hätt' mir noch Liniges zu vergüten
für baare Auslagen — so was! Als ob Unser-
eins nicht auch seine Ehr hätt' und noch mit Füßen
getreten werden dürft' nach allem den:! Da Hab'
ich mich sehr ungebildet benommen, Freunder! —
ich glaub' immer, wenn ich ihm hie und da be-
gegne und schau' ihn recht boshaft an, thut ihm
heut' noch der Backen weh!"

„Und Du, Lenta, wie geht es Dir!"

„Mir? Gut! Immer die Alte! Untertags brav
schuften und nach Feierabend was für's Herz! Und
im Larneval jeden Mittwoch hier — Ah, da geht
der Mälzer wieder an. Millst?"

Und während wir über die Treppe zum Tanz-
saal hinunterstiegen, sagte sie:

„Ich geh' jetzt mit einem Doktor und ich glaub'
sogar, er thät' mich heirathen. Aber da müßt' ich
auf's Land hinaus und außerhalb München könnt'
ich nicht leben!"

Oer ssaxameler^i-anzl

Münchner Momcntbilä von Senno Haucheneggek

?Mr Schwapplinger Franzl ist einer der hervor-
ragcndsten Rosselenker rechts der Isar. Einem
alten Gicsinger Geschlechte entsprossen, genoß er eine
durchaus standesgemäße, ritterliche Erziehung: mit
sechs Jahren schon ritt er das Streitroß seines Va-
ters zur Schwemme; nach einem längeren Studium
an der Sonntagshochschule ergriff er die Zügel der
seitherige» väterlichen Regierung und wurde Drosch-
kenkutscher, nachdem er das betreffende Staatsexamen
vor der hohe» Polizeibehörde bestanden hatte. Lange
suhr er ziemlich sorgenlos in den Tag hinein, aber
cS kamen auch für ihn mit einem Male schlimme
Zeiten. Die Elektrische hielt ihre» Einzug in der
Stadt, und nun hieß cS, zeitgemäß Vorgehen, um
nur einigermaßen mitzukvmmen. Zuerst verhandelte
der Franzl seinen alten Schimmel au einen Schläch-
ter in der Nachbarschaft, welcher bcdculende Liefet

nngen in verschiedene Speiseanstalten zu machen
hatte. Der Schimmel, der schon ganz apathisch war,
dachte sich: „Mir ist's Wurst!" — Der Franzl er-
stand sich aber ein Trambahnrößl a. D., einen
schneidigen Braunen, welcher nur den einen Fehler
hatte, daß er in keine Seitenstraße hineinwollte: daun
ließ er ein Uhrwerk an's Wagerl hinmachen und trat
in den beschwerlichen Stand der Taxameter ein, nach-
dem er sich mit dem Abzeichen dieser hohen Würde,
einem grauen Blechcßlinder, versehen hatte. —

Vom alten Peter herab hat die Glocke soeben die
achte Stunde verkündet, da landet der Franzl mit
seinem Bräundl am Marienplatz und schließt sich
dort den bereits versammelten College» an. Da er
noch lange nicht an die Reihe kommt, wirft er dem
Rößl die Decke über und winkt den „Wasseret" zu
sich her. Er bestellt bei ihm zwei Weißwürste und
betheiligt sich dann an der Unterhaltung seiner
Standesgenossen; einer davon hat soeben einen Chi-
nesen d. h. einen von China zurückgekommenen Krie-
ger gefahren; bald entspinnt sich ein lebhaftes Wort-
gefecht über die politischen Verhältnisse in China:
der Franzl kennt die geheimsten Absichten der Groß-
mächte und zeigt an den Weißwürsten, wie man es
eigentlich mit den Engländern machen sollte, die er
nur dann leiden kann, wenn sie ein gutes Trinkgeld
geben. Da spricht ihn ein Herr, der einen Bädeker
unterm Arm trägt, an: „Verzeihen Se gietigst —
Ivo komme ich zur Residenz?" Der Franzl reißt gleich
den Hut vom Kops uitd deutet mit einer Verbeug-
ung aus sein Wagl. „Nee, ich danke," sagt der fremde
Herr; „ich wollte Sie blos nächst» Wäg fragen!"
Schnell drückt der Franzl den Hut noch sester in die
Stirne und entgegnet: „Ja so — da gengans zerst
da vor, nachher da nüber, nachher gradaus und
nachher — sragens halt noch amal!" — „Danke
höflichst!" — „Jetzt den schaugts mir v! Und dös
wolln gebüldcte Leit' sei»!"

Da keucht ein dralles hübsches „Kocherl" heran
und ruft schon von Weitem: „Kutscher! Sind Sie
frei?" „Bastelst si, Schätzer!," erwidert Franzl voll
Freundlichkeit, öffnet den Kutschenschlag und schiebt
das Mädchen hinein. „Das Wagl is frei und i
wär erst recht frei!“ fügte er dann mit einem ver-
liebten Seitenblick an. „Wohin
fahren wir?" — „Mächens nur
schnell — es pressirt, viel Gnä-
dige ivill mit'n Zug fort — Jck-
stattstraße Nr. 87 über drei Stie-
gen!" — „Glei wer» mir's hab'n,

Schatzerl — aber ob i über die
drei Stiegst« 'nauskomm, des wvaß
> net!" — „Mächens keine Dumm-
heiten und fahrens ab!" Nach
dieser doppelsinnigen Abfertigung
ergreift Franzl die Zügel und im
scharfen Trabe gelsts dahin. Das
Ziel ist bald erreicht; die Gnädige
wartet schon unter der Hausthüre.

Neben ihr liegt ein Berg von Ge-
päckstücken: Kvsser, Hutschachtel,

Handsäcke, Schirme und es dauert
ziemlich lange, bis Alles verladen
ist. Franzl liefert seine Fracht
pünktlich am Bahnhof ab; Trink-
geld hat's hier aber keines ge-
geben!

Der aukommcnde Zug bringt eine Menge Passa-
giere; die Meisten eilen zur Trambahn. „A schöne
Bande," murrt der Franzl bei diesem Anblick; „in
der ganzstr Welt umanandasahrn und ausdrahn,
nach« hoamkomma und net amal a Mark! mehr habn
für a Drotschkcrl, die Zehnerlfahrer, die nothigen!"

Da besteigt ein junger Offizier den Wagen. Mit
ungewohnter Fixigkeit arrangirt Franzl die Fahrt.
Es ist ein so neugebackener Leutnant, daß noch Alles
an ihm kracht! „Wohin, Herr Oberleutnant?" —
„Kommandantur!" — „Zu Besehl! Hüh!" Erzielst
.jetzt die Zügel straff an, daß der Bräundl etwas
militärische Haltung bekommt; in denlbar kürzester
Zeit ist die Fahrt geschehen. „Was bekommen Sie?"
„Bitte, Herr Oberleutnant, hier steht's, wenns ge-
sällig ist — 80 Pfennige!" Der Offizier reicht ihm
l Mark 50 Pfennig. „Unterthänigsten Dank, Herr
Oberstleutnant!" ruft der Franzl dem Davoneilcnden
nach und fährt vergnügt weiter.

Er wird bald wieder angehalten; ein paar Herren,
die unentschlossen auf dem Wege stehen, rufen ihn
an. „Sie, Herr Drvtschkekutscher, saget Sie emol,"
fragt der Eine, „wo ischt den» dia Kutsch mit die
vierspännige Roß, wo mer die Stadt a'lucga ka?"
Aha, denkt sich der Franzl, das sind gerade noch
ein Paar für mich. „Was wollen's? Mit der
Millikutsch wollen's fahren? Da gengans schö ei' —
vier Markt zahln's sür'n Kopf, Alles müass'n's
o'schaugn, ivas Ehna net freut und krieg'n thuan's
gar nix, Wien höchstens a Maßl beim Löwenbrän!
I fahr Eahna um die Hälfte zu alle die größten
Sehenswürdigkeiten und erklär» kann i grad so guat,
Ivcil i a Hieasiga bin!" — „Des moin i, wär it übel,
Vetter," meint der biedere Schwabe und bald daraus
setzt sich das Bräundl in Bctvegung. Der Franzl
kennt seine Pappenheimer; es sind Leute vom Lande,
die leicht zufrieden zu stellen sind, wenn nur das
Ende gut ist! Also eine Rundfahrt!

„Zerst sahrn wir in d'Knnstausstellung in Glas-
palast, hüh! Sehgns meine Herrn," beginnt er als
Cicerone, „döS is das Kunstgewcrbehaus, da machens
allerhand, ivas uia ins Haus net brauchen kann, und
an guatn Wein kriegatn wir auch, aber da könna mir
uns net aufhalten, hüh! — Den Bruuna schaugns o!

Julius Diez (München)
Index
Julius Diez: Münchner Kindl
Benno Rauchenegger: Der Taxameter-Franzl
 
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