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Nr. 41

JUGEND

1901

Max Hagen

„Ich liebe Den, der über sich selber hinausschaffen
Will und SO ZU Grunde geht.“ (Friedrich Nietes die)

Eilt

ungedrucktes Blatt Friedrich Nietrrche'r

^'olöfnbcr Epilog, der uns vom Nietzsche-Archiv in Weimar frcund-
£jr lichst zur Verfügung gestellt wurde, ist die erste Faßung des Apho-
rismus 383 der „Fröhlichen Wissenschaft." Sie stimmt nur zu
Anfang mit der jetzigen Fassung überein, lautet dagegen von „Oh über
diesen schauerlichen Versucher" ab durchaus anders. Geschrieben wurde
das Blatt an der Riviera, im Herbst 1886, als Nietzsche der neuen
Ausgabe der „Fröhlichen Wissenschaft" das fünfte Buch und die „Lieder
des Prinzen Vogelfrei" anfügte. Zu diesen Liedern ist es ebenso der
Prolog, wie es zum eigentlichen Buche der Epilog ist. Mit dem am
Schluß erwähnten Tanzliede wird auf das Gedicht „An den Mistral"
hiugedeutet.

Das Blatt lautet:

Lxilog

Hetzer indem ich zum Schluß dieses düstere Fragezeichen laug-
Ap sam, langsam hinmale und eben noch Willens bin, meinen
Lesern die Tugenden des rechten Lesens — oh, was für vergessene
und unbekannte Tugenden! — in's Gcdächtniß zu rufen, begegnet
mir's, daß um mich das boshafteste, munterste, kvboldigste Lachen
laut wird: die Geister meines Buches selber fallen über mich her,
ziehn mich au de» Ohren und rufen mich zur Ordnung: „Wir
halten es nicht mehr aus! Oh über diesen schauerliche» Versucher
und Gewissens-Störenfried! Willst du uns denn bei der ganzen
Welt den Ruf verderben? Unsren guten Namen anschwärzen? Uns
Zunamen anhängen, die sich nicht nur in die Haut einfressen? —
Und wozu am hellen blauen Tage diese dnstern Gespenster, diese
moralischen Gurgeltöne, diese ganze tragische rabenschwarze Musik!
Sprichst du Wahrheiten: nach solchen Wahrheiten können keine Füße
tanzen, — also sind es noch lange keine Wahrheiten für uns!
Ecce nostrum veritatis sigilluml Und hier ist Nasen und
weicher Grund: was gäbe es Besseres als geschwind deine Grillen
wegjagen und uns, nach deiner Nacht, einen guten Tag machen?
Es wäre endlich Zeit, daß sich wieder ein Regenbogen über dies
Land ansspannte, und daß uns Jemand sanfte tolle Lieder zu hören
und Milch zu trinken gäbe: — wir Alle habe» wieder Durst »ach
einer frommen, von Herzen thörichtcn und milchichten Denkungs-
art." — Meine Freunde, ich sehe es, ihr verliert meine Geduld, —
und wer sagt euch, daß ich nicht längst schon gerade darauf wartete?
Aber ich bin zu eurem Willen; und ich habe auch, was ihr braucht.
Seht ihr nicht dort meine Heerde» springen, alle meine zarten
sonnigen windstillen Gedanken-Lämmer und Gedanken Böcke? Und
hier steht auch schon für euch ein ganzer Eimer Milch bereit; habt
ihr aber erst getrunken — denn ihr dürstet Alle nach Tugend,
ich sehe es —, so soll es nicht au Liedern fehlen, wie ihr sie wollt!
Anznfangen mit einem Tauzliede für die muntersten Beine und
Herzen: und wahrlich, wer es singt, der thut es Einem zu Ehren,
der Ehre verdient, einem der freiesten unter freien Geistern, der alle
Himmel wieder hell und alle Meere brausen macht.
Register
Max Hagen: Zeichnung ohne Titel
Friedrich Wilhelm Nietzsche: Epilog zur fröhlichen Wissenschaft
 
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