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42

1901

Das (üaldbeim

J. R. Witzei

Sieh, die kühlen Wälder dämmern,
Keine Stimme gibt [ich kund —
mitten drin im Cannengrund
Will ich unfre Bütte hämmern.

Scheit aut Scheit trag ich zufammen
Und ich will mich heih bemühn
fleh, wenn erlt die hellen Flammen
Von dem Itillen Berde Iprühn l

Gern dann mag der üag mich treiben
in des Lebens bunten üanz,

Weih ich Abends kleine Scheiben
Glühn im letzten Sonnenglanz;

Wenn die Uhür bekränzt ich finde,
Wald und Berge schweigend Lehn
Und vom Fentter mit dem Winde
Deine braunen Locken wehn!

Tolix Eorenz

Das Yankeemärchcn

schrieb da neulich ein Freund an mich aus
rrA Deutschland: „Ihr habt Diamanten und
Perlen, habt Alles, was Menschenbegehr, Ihr
habt die schärfsten Angen für die Gelegenheit,
Geld zu „machen", Ihr habt die längsten Ge-
bäude, die reichsten Monopolisten, die feinste
Korruption, die größte Hitze und was nicht sonst
noch. Aber Eins habt Ihr nicht: Das Märchen!"
Das scheint eine allgemeine Auffassung in Eu-
ropa zu sein. Doch sie ist unrichtig. Auch in
Amerika gibt es Märchen von entzückender Poe-
sie. Nur sagt sich der Dankee: „Was nützt mich
das Märchen, was nützt mich die Poesie, die
sich nicht bezahlt? Bezahlen muß sie sich. Das
ist der Gipfel aller Poesie. Geschäfte muß man
damit machen können. Das ist unser Märchen,
das Jankeemärchen." Hier, meine lieben deut-
schen Freunde, gebe ich Euch ein Uankeemärchen:

August, ver Spatz

Es war einmal eine schöne, junge Dame
Namens Susan. Die sang und tanzte in der
musikalischen Posse „Die mollige Mollie" im
„Casino" zu Nerv-Port. Und immer, wenn sie
beim Singen das süße, purpurrothe Schnäuzchen
öffnete und immer, wenn sie beim Tanzen mit
den runden grünen Beinchen um sich warf —
sie staken nämlich in grünen Trieots — dann
waren die fetten, glatten Glatzköpfe in der ersten
Reihe des Parketts ganz futsch. Am futschesten
war Mortimer Chester Levy (sprich Livei). Sein
Bater Abraham Levy aus Neutomischl in Posen
batte mit alten Kleidern gehandelt. Dann hatte
er seinen Laden in der Baxterstreet angezündet,

um das Versichernngsgeld zu bekommen. Dann
hatte er dreimal pleite gemacht. So hatte es
der tüchtige Mann zu einem großen Vermögen
gebracht und sein Sohn Mortimer Chester Levy
konnte es sich leisten, allabendlich in der ersten
Reihe im Parkett im „Casino" zu sitzen und
die schöne Susan anzuschmachten. Aber das
Schönste an ihr war doch das Haar, das
prachtvolle goldene Haar, das so pikant von
den dunklen, lustigen Augen abstach. Sechs
fette Glatzköpfe, einschließlich Levy, schickten jeden
Abend sechs süße duftende Rosensträuße hinter
die Bühne und flehten in sechs Briefen um ein
Souper mit Susan bei Delmonieo oder im
Waldorf-Astoria in der 5. Avenue. Endlich
erhörte sie Mortimer Chester Levy.

„Was können Sie mir bieten?" fragte sie,
als sie bei Delmonieo schnabulirten und dazu
Mumm zechten, Extra-Dry.

„Nu," sagte Levy, „eine Wohnung in der
Madiion Avenue zu 4000 Dollars das Jahr
mit Personen-Auszug, Dampfheizung und elekt-
rischemLicht, dazu 100 Dollars die Woche und
Gehaltserhöhung nach drei Monaten, wenn ich
zufrieden bin, sowie ein Diamant-Halsband
von Tiffany & Co."

„Ich liebe Siel" sagte die goldene Susan
und pumpte ihn gleich um 50 Dollars an.

Ach, nun hatte es die goldene Susan fein!
Sie zog in die prachtvolle Wohnung in der Ma-
dison Avenue und stand erst Vormittags um
11 Uhr ans. Und dann setzte sie sich an's offene
Fenster, das nach einem wunderschönen, grünen
Garten hinaussah, und kämmte mit einem gol-
denen Kanime ihr goldenes Haar-grade

DIE SIEBEN RABEN
Register
Felix Lorenz: Das Waldheim
Josef Rudolf Witzel: Die sieben Raben
Henry F. Urban: Das Yankeemärchen
 
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