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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50
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Nr. 50

JUGEND

1901

Der Steinblock von Hnton von Perfall

R lag mitten in der 5anb»
reise, die sich zwischen
hochgethiirmten Wänden
trichterförmig in das Thal
ergoß; von weitem schon
war er dort zu erkennen.

Er war von ebenmäß-
iger Form, wie ein riesi-
ger Bpferaltar lag er
unter dem vielgestaltigen
Gesindel, das ihn umgab.

Seit unzähligen Jahren
lag er da. Er erinnerte
sich nur ganz dunkel der
Zeit, als er hoch oben im
Muttergestein saß und
weithin blickte über ein ganzes Neer von Straffen und Spitzen. Er hatte
sich hier so festgesessen, daß er gar keine Sehnsucht mehr hatte nach den
Höhen; aber den Stolz der Abstammung hatte er sich doch bewahrt gegen-
über dem Gebräckel ringsum, das keinen Bestand hatte, alle Jahre
wechselte, kam und ging, und keine Geschichte hatte.

An seiner harten Brust zerstob die ungestümste Lawine, ja, es war
ihm eine wahre Lust, dem Schneegewirbel Trotz zu bieten, — viel Lärm
und Wind und nichts dahinter, — da fürchtete er den heimlichen Frost
viel mehr, der in alle seine Spalten und Ritzen drang und dann im
Frühjahr alle Sehnen streckte zum Zerspringen.

Aber auch damit wurde er fertig, — druckst du her, drucke ich
hin, — kein Eckchen ließ er sich absprengen.

Weit und breit war er bekannt. Es hieß nur einfach: „beim Stein",
wenn die Iägersleut' oder die Bergsteiger irgend etwas in feiner Nähe
bezeichnen wollten.

Für die Gams war er Lugaus und Lagerstätte; unter der gegen
das Thal gewandten Aante hatte sich ein Nankeipaar eingerichtet, so
fehlte es auch nicht an Unterhaltung und Nusik.

Im Sommer befchien ihn bis q, Uhr die Sonne, daß er oft wohlig
brodelte vor Hitze, dann kam der kühle Schatten und lullte ihn in Schlaf.
Nur währte er nicht lange, höchstens -z Monate, die übrige Zeit deckte
ihn der Schnee und wenn er auch gegen einen Winterschlaf im Priucip
nichts hatte, so verdroß es ihn doch, wenn die Geschichte immer wieder
von vorne anging. — Aufgewacht, — den Aopf ein bisl hinausgestreckt,
— bätsch, schon wieder eiugeschneit. —

Das war wirklich oft zum Bersten vor Zorn.

Er hätte ja nur anders fallen dürfen, die Längsseite nach oben.
daun hätte er den ganzen Winter seinen Ausblick gehabt.

Je nun, auch der Größte hat sein Leid. Dem Gesindel ringsum ging
es ja noch viel schlimmer, das war auch ein Trost. —

So war wieder ein endloser Winter vergangen. Unten im Thale
grünten schon die Wiesen und von der Alm herauf tönte schon Glocken-
gebimmel, als er zum ersten Male feinen breiten Rücken aus dem
Schnee reckte.

Die Reife, die Wände und Schroffen ringsum lohten im sonnigen
Friihlicht, ringsum riefelte, knisterte es geheimnißvoll; er selbst spürte
es wie junges Leben in seinem aiten Leib. ■—

Da knallt es plötzlich oben in den Wänden, es poltert utid rutscht
und rieselt herab. Das Gesindel ringsum geräth in Aufregung, rückt
und schiebt.

„Äha, jetzt geht's wieder los," denkt der Steinblock. „Na, mir kann's
recht sein. Mb Hinz oder Aunz mein Nachbar wird, alles ein Lumpen-
volk." —

Doch der Anall wird zum brüllenden Dontier, den die Wände wider-
hallen und eine Dampfwolke steigt auf, verfinstert die Sonne, wälzt sich
prasselnd, brüllend, berstend herab. Riesige Trümmer durchsausen die Luft,
Bäume splittern.

Dann vergehen ihm die Sinne, so hagelt es herab auf feinen Rücken,
ein wilder Strom ergießt sich, die Grundfesten der Erde wanken und er
hat alle Noth, sich einzukrallen, — schon fühlt er sich wanken, rutschen,
den Halt verlieren, im furchtbarett Ehaos des Sturzes. —

Da plötzlich, gerade noch zur rechten Zeit, stockt das Ganze, —
noch ein kurzes Zittern, ein zuckendes Wanken, dann tritt wieder starre
Ruhe ein, nur der dichte Dampf lastet noch auf der Reise.

2lls er sich langsam verzogen, erschrak der Steinblock nicht wenig. —

Dicht neben ihm, hoch ihn überragend, stand ein Fels wie ein Thurm,
schlank, blitzblank, herrlich leuchtend im Sonnenlicht, und blickte höhnisch
auf ihn herab, der grau und verweltert, mit Beulen bedeckt, wie ein arm-
seliger'Anecht zu seinen Füßen lag.

wie ein Blitz schoß es durch feinen schmerzenden Schädel — alles
verloren! Ansehen, Herrschaft, — Größe der Einsamkeit! — Nur einen
Augenblick, dann bäumte er sich schon auf. — Unsinn! was macht die
Höhe, das Blitzen! — Geschichte, Geschichte! — Wo bleibt die Geschichte!

„Abgesprengt! Mein herzliches Bedauern!" begann er. „Es sind
jetzt gerade 400 Jahre, daß es mir gerade so gegangen." —

„Das merkt man," erwiederte der Thurm spitzig.

„wie — wieso merkt man?"

„Daß Sie qoo Jahre da liegen unter dem Gesindel."

„Sie wollen doch damit am Ende nicht sagen —" \

„Daß ich Sie tief bedaure, will ich sagen," entgegnete der Thurm,
„daß ich bei dem Gedanken zittere, vielleicht auch —"

„Da können Sie sich beruhigen," fiel der Block ihm in die Rede.
„Bier unter dem Gesindel, wie Sie sich auszudrücken belieben, —" der
Block hatte früher selbst nie anders von seiner Umgebung gesprochen,
„macht man es nicht mit der Höhe, da gehört Breite dazu, Fundament, -
und da werden Sie doch nicht mit mir —"

„Eoncurriren wollen, meinen Sie? Gewiß nicht, Herrschen Sie
beruhigt in Ihrer Breite, ich will nur von meinen Höhen träumen. Das
stört Sie doch nicht?"

„Gewiß nicht."

Der Block war beruhigt. Die Aiuderkrankheit kannte er aus weiter,
weiter Ferne. Damit wurde der Thurm ihm nicht gefährlich.

Sie sprachen wenig mehr zusammen.

Der Thurm hielt Wort und träumte, daun und wann in stillen Mond-
nächten, wenn der Bergwind sausend in das Thal Hinabstrich, sogar laut.

Es waren ganz seltsame Töne, die den Block oft selbst tief bewegten,
wehmiithige Alagen um die verlorenen Höhen. —

Aber das Gesindel ringsum kicherte nur höhnisch dazu.

Darum soll man sich beherrschen, dachte der Block, wenn man schon
von der fjölic stammt, — aber da gehört eben die Breite dazu, die ge-
diegene Breite. —

Der Winter kam.

Der letzte Blick des Blockes blinzelte unter dem Schnee noch hinauf
zu dem Thurm, da zum ersten Male zog ihm der Neid in das Herz.

Gerade zum Trotz schlief er den Winter so gut. Zum Lachen, sich
den Sturm Tag und Nacht um den Schädel blasen lassen! Soll ei»
Vergnügen sein! —

Aber sein erster Blick galt dem Thurme. — wie blitzendes Ge-
schmeide hing es ihm um Hals und Brust, ein überirdischer Glanz ging
von ihm ans, es waren die gefrorenen Thräuen feiner Sehnsucht' die
ihn schmückten. —

Aber jetzt schmolz sie die Frühlingssonne.

Der Anblick rührte den Block so, daß ihm selbst die Augen naß
wurden.

„Mache es Dir doch nicht so schwer, — ich stamme ja auch von
oben," tröstete er, „am Ende die Alle um uns herum." —

Doch nur ärger stoffen dem Thurme die Thräuen. „Darum weine ich
ja," schluchzte er.

Das war dem Block zu hoch. Er schwieg; keine Breite, keine Breite
— dachte er im stillen.

Wenige Tage darnach fühlte er ein seltsames Zittern, es war, als
ob sachte der Boden unter ihm weiche. — Unsägliche Angst befiel ihn.
Er blickte auf den Thurm.

Der stand regungslos in seine Träume versunken. —

Er rief ihn an. „Fühlst Du nichts? So etwas Unsicheres in den

Beinen? — Mir ist — mir ist — —"

Da fing er schon zu rutschen an, und in dem Augenblicke erfaßte

ihn eine jähe Liebe zu dem Thurme, ein wilder Trennungsschmerz. —
Das Gefühl uralter Verwandtschaft stieg in ihm herauf, — zu spät —
kaum daß er noch ein Lebewohl ihm zurufeu konnte, dann ging es im
Saus bergab, immer schneller — immer schneller, aber immer schön sanft
auf der Breitseite, während ringsum alles purzelte, sich überschlug, zer-
schellte; es war eigentlich mehr ein Vergnügen zu nennen.

Plötzlich hielt die lustige Fahrt, ein mächtiger Baumstamm hatte ihn
aufgehalten dicht am Rande der grünen Weide, die er feit Jahrhun-
derten gesehen.

Er that noch einen tüchtigen Ruck, daß er bequem zu liegen kam,
dann sah er sich um, zuerst hinauf, wo er hergekommen, — da sah er
deutlich den einsamen Träumer oben in der Reise. —

Noch einmal kam ihm das Weh. — Was kann das Alles nützen! —
Er sah sich weiter um. — Gar nicht übel da im Schatten, an
den Stamm gelehnt. Der Schnee kann mir auch nicht an unter den
weitvorstehenden Aesten.

Ringsum lagert das Vieh, der Almbub singt und springt. — Muß
man denn gerade in der Reise oben sein? —

Ich sag' es ja, nichts geht über die Breite, über das richtige Fun-
dament. — Der Steinblock fühlte sich jetzt schon ganz heimisch unter
dem mächtigen Fichtenbaume. —

Jahrzehnte waren vergangen, der Steinblock lag noch immer unter
der Schirmfichte am Saume der Almlichte.

Er hatte einen guten Blick, daß er sich gleich von Anfang so in die
Verhältnisse schickte.

Er hätte es nicht besser treffen können bei dem großen Sturze.

Er war gar nicht mehr der alte graue Steinblock, eine neue Jugend
war über ihn gekommen. Grünes saftiges Moos überzog ihn, aus allen
Ritzen und Spalten wucherten Aräuter und Blumen, auf seinem breiten

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Register
Anton Frh. v. Perfall: Der Steinblock
Julius Diez: Initiale
 
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