1901
JUGEND
Nr. 50
DON QUICHOTTE
Julius Diez (München)
eine Betrachtungsweise und Umformung, der jeder
Inhalt recht ist. Es gibt schlechterdings
nichts, was nicht eine glückliche Stunde des Dich-
ters sangbar machen könnte; in allen Dingen, hat
Eichordorsf einmal bemerkt, schlummert ein Lied."
Ich unterschreibe das mit Vergnügen. Von
einer Sonne strahlt untheilbar Lieb und Leben:
wo Psyche's Weizen blüht, gedeih'n auch Eros'
Reben. Georg Birth
Elegie eines jungen 6i'ohstätl1-JJi';1e§
(Skoßgeseufzt ein Jahr nach der Niederlassung)
Nun war ich so lang Asststenr und Student
Und Hab' mich mit Eifer beflissen,
Es sitzt mir im Hirn wie ein Loncrement
Ein ungeheures wissen.
Hingegen im Wartezimmer drauß
Sitzt Niemand, daß Gort sich erbarmel
tNcin Unrerfuchungsstuhl streckt aus
Voll Sehnsucht die eisernen Arme.
Es dürstet mein Irrigator scheint'«,
weil Feuchtes noch nicht ihn durchflossen,
Von den gläsernen Röhrchen har noch nicht eins
A bist Eiweiß mit Zucker genossen.
Aus dem Brillcnkastcn da schaut cs hervor
INir hundert umflorten Augen,
Ich glaube sogar, mein Hörrohr verlor
Das Gehör durch Nichtgebrauchen.
Wohl raunt mir die Wochenschrift wöchentlich
Von Patienten dunkele Mare,
Doch trat mir noch keiner körperlich
In die Sprechzimmerrraumatmosphäre.
Und wenn einmal jählings die Glocke crrönr,
So ist's ein Versich'rungsdircktor,
Ein Bettler, Hausirer oder Agent
Für den neuesten Desinfektor.
Jeden Sonntag vermeld' ich der Polizei,
Daß kein ansteckendes Leiden
In meine Behandlung gekommen fei —
Daß auch sonst kcins, verschweig' ich bescheiden.
Und schau ich in's Portemonnaie trüben
Gesichts,
So zeigt sich da nichts Fulminantes:
Ich habe hienieden eigentlich nichts
Als die würde des ärztlichen Standes.
Da drüben, da wohnt ein Rurpfuschcr am Eck,
Viehrrcibee ist er gewesen,
Der treibt jetzt aus mir gefärbtem Dreck
Alle Rrankheit zweibeinigen — Wesen.
welch' ein Gedräng ist da täglich zu schau'»
Um den schmierigen Alchimisten!
Vorzüglich genießt er das Vertrau'»
Des Adels und der Juristen!
Zwar wäre sofort meine Praxis vermehrt,
würd' ich Arzr bei den Rrankenkasscn,
Doch hat schon mein Freund, der Leutnant,
erklärt,
Sich dann nicht mehr mit mir zu befassen.
Und eigentlich hätte er diesmal recht,
Es fräße mir selbst an der Leber:
Es wär' mir sein Schuster nämlich alsdann
Souveräner Arbeitgeber!
Er dürfte mich rüffeln, potz Sapperment!
(Und er würde mich wahrlich nicht schonen)
lind würde mich gnädig am Monatsend'
Nach dem Dienstmannstarife entlohnen.
Doch halt, jetzt weiß ich auch, was ich thu':
Ich geh' in den Rathhauskellcr
Und leg' einen riesigen Rausch mir zu,
lind kost' es den letzten Heller!
wenn dann morgen die Sonne am Firmament
Sich den Schleiern der Nacht entwindet,
Ist wenigstens 2lussichr, daß sich ein Patient
In meinem Sprechzimmer befindet. s
853
JUGEND
Nr. 50
DON QUICHOTTE
Julius Diez (München)
eine Betrachtungsweise und Umformung, der jeder
Inhalt recht ist. Es gibt schlechterdings
nichts, was nicht eine glückliche Stunde des Dich-
ters sangbar machen könnte; in allen Dingen, hat
Eichordorsf einmal bemerkt, schlummert ein Lied."
Ich unterschreibe das mit Vergnügen. Von
einer Sonne strahlt untheilbar Lieb und Leben:
wo Psyche's Weizen blüht, gedeih'n auch Eros'
Reben. Georg Birth
Elegie eines jungen 6i'ohstätl1-JJi';1e§
(Skoßgeseufzt ein Jahr nach der Niederlassung)
Nun war ich so lang Asststenr und Student
Und Hab' mich mit Eifer beflissen,
Es sitzt mir im Hirn wie ein Loncrement
Ein ungeheures wissen.
Hingegen im Wartezimmer drauß
Sitzt Niemand, daß Gort sich erbarmel
tNcin Unrerfuchungsstuhl streckt aus
Voll Sehnsucht die eisernen Arme.
Es dürstet mein Irrigator scheint'«,
weil Feuchtes noch nicht ihn durchflossen,
Von den gläsernen Röhrchen har noch nicht eins
A bist Eiweiß mit Zucker genossen.
Aus dem Brillcnkastcn da schaut cs hervor
INir hundert umflorten Augen,
Ich glaube sogar, mein Hörrohr verlor
Das Gehör durch Nichtgebrauchen.
Wohl raunt mir die Wochenschrift wöchentlich
Von Patienten dunkele Mare,
Doch trat mir noch keiner körperlich
In die Sprechzimmerrraumatmosphäre.
Und wenn einmal jählings die Glocke crrönr,
So ist's ein Versich'rungsdircktor,
Ein Bettler, Hausirer oder Agent
Für den neuesten Desinfektor.
Jeden Sonntag vermeld' ich der Polizei,
Daß kein ansteckendes Leiden
In meine Behandlung gekommen fei —
Daß auch sonst kcins, verschweig' ich bescheiden.
Und schau ich in's Portemonnaie trüben
Gesichts,
So zeigt sich da nichts Fulminantes:
Ich habe hienieden eigentlich nichts
Als die würde des ärztlichen Standes.
Da drüben, da wohnt ein Rurpfuschcr am Eck,
Viehrrcibee ist er gewesen,
Der treibt jetzt aus mir gefärbtem Dreck
Alle Rrankheit zweibeinigen — Wesen.
welch' ein Gedräng ist da täglich zu schau'»
Um den schmierigen Alchimisten!
Vorzüglich genießt er das Vertrau'»
Des Adels und der Juristen!
Zwar wäre sofort meine Praxis vermehrt,
würd' ich Arzr bei den Rrankenkasscn,
Doch hat schon mein Freund, der Leutnant,
erklärt,
Sich dann nicht mehr mit mir zu befassen.
Und eigentlich hätte er diesmal recht,
Es fräße mir selbst an der Leber:
Es wär' mir sein Schuster nämlich alsdann
Souveräner Arbeitgeber!
Er dürfte mich rüffeln, potz Sapperment!
(Und er würde mich wahrlich nicht schonen)
lind würde mich gnädig am Monatsend'
Nach dem Dienstmannstarife entlohnen.
Doch halt, jetzt weiß ich auch, was ich thu':
Ich geh' in den Rathhauskellcr
Und leg' einen riesigen Rausch mir zu,
lind kost' es den letzten Heller!
wenn dann morgen die Sonne am Firmament
Sich den Schleiern der Nacht entwindet,
Ist wenigstens 2lussichr, daß sich ein Patient
In meinem Sprechzimmer befindet. s
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