1901
JUGEND
Nr. 52
E. L. Hoess (Immenstadt)
Emmerich: Auch das wäre möglich. Die Frau,
die ihren Mann betrügt, ist ja jeden Sonntag zwi
jchen 12 und 1 auf dem Coisv fl» sehen.
Arthur (wiederholend): „Ein Mund, der über
alles lächelt und über nichts mehr staunt. . Du
muht sic entschieden kennen.
Emmerich: Das ist durchaus nicht nothwendig!
Arthur: Wie wär' es dann möglich?
Emmerich: Mein Freund, Du gehst von der
für Dich ganz selbstverständlichen Voraussetzung aus,
daß die Frau, die Du jetzt erwartest, und der Du
in fünf Minuten den Schleier vom Hute nehmen
wirst, weder vor Dir noch nach Dir irgendwo jemals
existirt hat oder cxistire» wird .... Aber diese Vor-
aussetzung ist eben falsch. (Stark.) Die Frau, die
Du jetzt erwartest, kenne ich. Denn sie läuft in einer
Million Exemplaren durch die Welt. Und sie hält
mindestens zwei Millionen Jünglinge in Deinem
Alter zum Narren!
Arthur (heftig): Mein Lieber, ich verbiete Dir, in
diesem Tone von einer Frau zu sprechen, die mir Alles
bedeutet. Ich lasse mir mein Glück nicht verallgemeinern.
Emmerich: Also gut. Gut. Sie ist einzig in
ihrer Art!
Arthur: Sie ist es auch!
Emmerich: Aber bilde Dir doch das nicht ein!
Arthur: Ich bilde mir ein, was ich mir ein-
bilden will.
Emmerich: So.
Arthur: Ja.
Emmerich (lächelnd): Wenn Du nur wüßtest,
wie komisch Du jetzt bist!
Arthur: So laß mich gefälligst komisch sein.
Ich bin glücklich. Und die Glücklichen sind alle mehr
oder weniger komisch.
Emmerich: Ja, da hast Du recht. Sie sind
komisch und wissen es nicht. In zwei Jahren ivirst
Du selber über Dich lachen!
Arthur: Ich wüßte nicht, worüber ich in zwei
Jahren lachen sollte.
Emmerich: Darüber, daß Du Dir einbilden
konntest, etwas ganz Apartes zu erleben; indessen
Du nur genau dasselbe erlebtest, was wir alle be-
reits erlebt haben — insoserne wir es nicht erst er-
leben werden. Versteh' mich recht: Auch das, was
Du erlebst, ist tppisch.
Arthur (gereizt): Wahrscheinlich bin ich selber
typisch.
Emmerich: Sicher sogar!
Arthur: Das wird ja immer besser!
Emmerich: Dein Roman, den Du für eine ori-
ginale Erfindung des Schicksals hältst, ist eine All-
tagsgeschichte, wie sie kein Schriftsteller von einigem
Geschmack noch einmal schreiben würde. Nicht ein
Zug darin ist neu!
Arthur: So. Und woher weißt Du das?
Emmerich: Weil ich Dich kenne.
Arthur: Bi» ich so banal?
Emmerich: Ja, Du hast das Glück, banal zu sein.
Arthur: Oho! —
Emmerich: Banal ist der Frühling da draußen
vor dem Fenster; banal ist der Flieder dort drüben
in der Vase; banal ist alles Glück und jeder Glanz
des Lebens. Aber das Allerbanalste ist die Jugend.
Und Du bist jung!
Arthur: Also Du leugnest geradezu die Mög-
lichkeit, daß man etwas Apartes erlebt?
Emmerich: Nein. Aber das kommt später:
Wenn man das Typische überwunden hat.
Arthur: Das Typische! Das Typische! Aber
Du weißt ja gar nicht, was ich erlebt habe, wie
alles gekommen ist. Und wie schön das alles war
und ist! Was weißt denn Du?
Emmerich: Doch ich weiß eS. (Er sieht ihn an.)
Arthur: Ja, woher denn?
Emmerich: Weil ich es erlebt habe. Soll ich
Dir erzählen, was ich erlebt habe?
Arthur: Du wolltest mir doch erzählen, was
ich erlebt habe.
Emmerich: Das ist vielleicht ein und dasselbe.
Arthur: Ra, hör' einmal!.... Also erzähl',
bitte! (Er sieht auf die Uhr.) Erzähle!
Emmerich: Also — vor zwei Jahren lernte ich
sie kennen.
Arthur (auf- und abgehend): Die Frau, die
ihren Mann betrügt.
Emmerich: Jawohl.
Arthur (neben Emmerich Platz nehmend): Du,
sag' einmal, wie endet Deine Geschichte? Soviel ich
weiß, bist Du doch jetzt frei. Du willst sogar hei-
rathen, sagt man.
Emmerich: Das würde nichts beweisen — aber
ich bin wirklich frei.
Arthur: Und wie war das Ende?
Emmerich: Typisch.
Arthur: Nämlich'?
Emmerich: ES nahm sie mir ein Anderer weg,
wie ich sic ihrem Manne genommen hatte —
Arthur: — oder einem Anderen.
Emmerich: Oder einem Anderen. Eines Tages .
erwartete ich sie, so wie jetzt Du wartest —
Arthur: Sie kam und machte Dir eine Scene...
Emmerich: Solang' sie noch Scenen machen,
Ist Alles gut. Nein, sie machte mir keine Scene.
Denn sie kam überhaupt nicht, weder an diesem noch
an den folgeirden Tagen.
Arthur (sieht besorgt nach der Uhr): Wirklich?
Emmerich: Ja. Sie wurde mir untreu, wie
wenn ich mit ihr verheirathet gewesen wäre. Das
war das Ende.
Arthur: Und — muß das so sein?
Emmerich: Unbedingt. Wenn es anders wäre,
würde ja überhaupt kein Mann uiehr heirathen,
sondern ein jeder daraus warten, daß ein anderer
heirathet.
Arthur: Das thut man ja ohnehin.
Emmerich: Wir schweifen ab. Ich wollte Dir
ja meine Geschichte erzählen.
Arthur: Meine Geschichte. (Nach der Uhr
blickend.) Und wenn Du müßtest, wie die mich in-
tcressirt!
Emmerich: Ich lernte sie in der Gesellschaft
kennen!
Arthur: Das stimmt.
Emmerich: Denn das Stadium, wo man
Straßenbekanntschaften macht, lag damals schon ge-
nau ebenso weit hinter mir wie heute hinter Dir!
Arthur: Ja, Gott sei Dank!
Emmerich: Na, siehst Du, über dieses Stadium
lachst Tu bereits! ... Also ich wurde ihr vorgestellt.
Ihre leichte Art zu plaudern, ihre schelmische Fri-
volität, ihr amüsanter Cynismus bestachen mich.
Aber was mir am meisten an ihr gefiel. ..
Arthur: Sag, geht die Uhr nicht eigentlich vor?
Emmerich: Ja, um zehn Minuten.
Arthur: Gott sei Dank! (Eine Makrone neh-
mend.) Na, was gefiel Dir denn am meisten?
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JUGEND
Nr. 52
E. L. Hoess (Immenstadt)
Emmerich: Auch das wäre möglich. Die Frau,
die ihren Mann betrügt, ist ja jeden Sonntag zwi
jchen 12 und 1 auf dem Coisv fl» sehen.
Arthur (wiederholend): „Ein Mund, der über
alles lächelt und über nichts mehr staunt. . Du
muht sic entschieden kennen.
Emmerich: Das ist durchaus nicht nothwendig!
Arthur: Wie wär' es dann möglich?
Emmerich: Mein Freund, Du gehst von der
für Dich ganz selbstverständlichen Voraussetzung aus,
daß die Frau, die Du jetzt erwartest, und der Du
in fünf Minuten den Schleier vom Hute nehmen
wirst, weder vor Dir noch nach Dir irgendwo jemals
existirt hat oder cxistire» wird .... Aber diese Vor-
aussetzung ist eben falsch. (Stark.) Die Frau, die
Du jetzt erwartest, kenne ich. Denn sie läuft in einer
Million Exemplaren durch die Welt. Und sie hält
mindestens zwei Millionen Jünglinge in Deinem
Alter zum Narren!
Arthur (heftig): Mein Lieber, ich verbiete Dir, in
diesem Tone von einer Frau zu sprechen, die mir Alles
bedeutet. Ich lasse mir mein Glück nicht verallgemeinern.
Emmerich: Also gut. Gut. Sie ist einzig in
ihrer Art!
Arthur: Sie ist es auch!
Emmerich: Aber bilde Dir doch das nicht ein!
Arthur: Ich bilde mir ein, was ich mir ein-
bilden will.
Emmerich: So.
Arthur: Ja.
Emmerich (lächelnd): Wenn Du nur wüßtest,
wie komisch Du jetzt bist!
Arthur: So laß mich gefälligst komisch sein.
Ich bin glücklich. Und die Glücklichen sind alle mehr
oder weniger komisch.
Emmerich: Ja, da hast Du recht. Sie sind
komisch und wissen es nicht. In zwei Jahren ivirst
Du selber über Dich lachen!
Arthur: Ich wüßte nicht, worüber ich in zwei
Jahren lachen sollte.
Emmerich: Darüber, daß Du Dir einbilden
konntest, etwas ganz Apartes zu erleben; indessen
Du nur genau dasselbe erlebtest, was wir alle be-
reits erlebt haben — insoserne wir es nicht erst er-
leben werden. Versteh' mich recht: Auch das, was
Du erlebst, ist tppisch.
Arthur (gereizt): Wahrscheinlich bin ich selber
typisch.
Emmerich: Sicher sogar!
Arthur: Das wird ja immer besser!
Emmerich: Dein Roman, den Du für eine ori-
ginale Erfindung des Schicksals hältst, ist eine All-
tagsgeschichte, wie sie kein Schriftsteller von einigem
Geschmack noch einmal schreiben würde. Nicht ein
Zug darin ist neu!
Arthur: So. Und woher weißt Du das?
Emmerich: Weil ich Dich kenne.
Arthur: Bi» ich so banal?
Emmerich: Ja, Du hast das Glück, banal zu sein.
Arthur: Oho! —
Emmerich: Banal ist der Frühling da draußen
vor dem Fenster; banal ist der Flieder dort drüben
in der Vase; banal ist alles Glück und jeder Glanz
des Lebens. Aber das Allerbanalste ist die Jugend.
Und Du bist jung!
Arthur: Also Du leugnest geradezu die Mög-
lichkeit, daß man etwas Apartes erlebt?
Emmerich: Nein. Aber das kommt später:
Wenn man das Typische überwunden hat.
Arthur: Das Typische! Das Typische! Aber
Du weißt ja gar nicht, was ich erlebt habe, wie
alles gekommen ist. Und wie schön das alles war
und ist! Was weißt denn Du?
Emmerich: Doch ich weiß eS. (Er sieht ihn an.)
Arthur: Ja, woher denn?
Emmerich: Weil ich es erlebt habe. Soll ich
Dir erzählen, was ich erlebt habe?
Arthur: Du wolltest mir doch erzählen, was
ich erlebt habe.
Emmerich: Das ist vielleicht ein und dasselbe.
Arthur: Ra, hör' einmal!.... Also erzähl',
bitte! (Er sieht auf die Uhr.) Erzähle!
Emmerich: Also — vor zwei Jahren lernte ich
sie kennen.
Arthur (auf- und abgehend): Die Frau, die
ihren Mann betrügt.
Emmerich: Jawohl.
Arthur (neben Emmerich Platz nehmend): Du,
sag' einmal, wie endet Deine Geschichte? Soviel ich
weiß, bist Du doch jetzt frei. Du willst sogar hei-
rathen, sagt man.
Emmerich: Das würde nichts beweisen — aber
ich bin wirklich frei.
Arthur: Und wie war das Ende?
Emmerich: Typisch.
Arthur: Nämlich'?
Emmerich: ES nahm sie mir ein Anderer weg,
wie ich sic ihrem Manne genommen hatte —
Arthur: — oder einem Anderen.
Emmerich: Oder einem Anderen. Eines Tages .
erwartete ich sie, so wie jetzt Du wartest —
Arthur: Sie kam und machte Dir eine Scene...
Emmerich: Solang' sie noch Scenen machen,
Ist Alles gut. Nein, sie machte mir keine Scene.
Denn sie kam überhaupt nicht, weder an diesem noch
an den folgeirden Tagen.
Arthur (sieht besorgt nach der Uhr): Wirklich?
Emmerich: Ja. Sie wurde mir untreu, wie
wenn ich mit ihr verheirathet gewesen wäre. Das
war das Ende.
Arthur: Und — muß das so sein?
Emmerich: Unbedingt. Wenn es anders wäre,
würde ja überhaupt kein Mann uiehr heirathen,
sondern ein jeder daraus warten, daß ein anderer
heirathet.
Arthur: Das thut man ja ohnehin.
Emmerich: Wir schweifen ab. Ich wollte Dir
ja meine Geschichte erzählen.
Arthur: Meine Geschichte. (Nach der Uhr
blickend.) Und wenn Du müßtest, wie die mich in-
tcressirt!
Emmerich: Ich lernte sie in der Gesellschaft
kennen!
Arthur: Das stimmt.
Emmerich: Denn das Stadium, wo man
Straßenbekanntschaften macht, lag damals schon ge-
nau ebenso weit hinter mir wie heute hinter Dir!
Arthur: Ja, Gott sei Dank!
Emmerich: Na, siehst Du, über dieses Stadium
lachst Tu bereits! ... Also ich wurde ihr vorgestellt.
Ihre leichte Art zu plaudern, ihre schelmische Fri-
volität, ihr amüsanter Cynismus bestachen mich.
Aber was mir am meisten an ihr gefiel. ..
Arthur: Sag, geht die Uhr nicht eigentlich vor?
Emmerich: Ja, um zehn Minuten.
Arthur: Gott sei Dank! (Eine Makrone neh-
mend.) Na, was gefiel Dir denn am meisten?
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