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1902

Nr. 6

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ein fest im extravagantesten „Jugendstil*

®n 30. Februar findet in unseren Redaktionsräumcn
t&X zur Feier des sechsjährigen Bestehens der „Fugen d" ein
Maskensest statt, von dein wir nicht zu viel sagen, wenn
wir versichern, daß es in seiner Eigenart van keinem Hof-
balt übertroffeu werden kann. Es werden sich, außer ge-
ladenen distiuguirtcu Gästen aller Kreise, unsere intimsten Re-
daktionssrennoe vollzählig zusamnienfinden, und den Glanz-
punkt des Abends bildet dann eine Quadrille, getanzt in
den von Stöcker und Roeren prächtig mit antiken und
modernen Statuen dekorirten Redaktionsräumen. Die.hanpt-
stücke der Dekoration bilden die originell nmgestalteten Fi-
guren derCaPitolinischen Venus und
einesElberfelder Tritonen. DieMu-
sik zur Quadrille ist von Herrn Siegfried
Wagner eigens für unsere Zwecke aus
den Werken seines einstmals sehr bckannlen
Vaters zusammengestellt. Elf Paare neh-
men a» der Quadrille Theil, Paare, die
theils der Zug des Herzens, theils der
blinde Zufall zusammengesührt hat —
wie's trifft! Ob unfern wackeren alten
Mr. Joe Chamberlain der Zufall
oder Neigung mit des Teufels Groß-
mutter vereinigte — ebi Io sa? Der
gute d—eutsche Michel und die fre-
che P o l i n tanzen zusammen — ob er
mit ihr oder sie mit ihm, wird sich erst
zeigen. Das ersterc Paar hat als passen-
des Gegenüber den Friedensengel
mitdem humanen,rücksichtsvollen
n n d IN i l d e n I v h n B u l l, dessen Rück-
seite ein wenig ramponirt erscheint.

Vis-ä-vis dem deutschen Michel tanzt die Austria mit
ihrem aufrichtigsten und ansprnchlosessten Freund, dem böhm-
ischen Wenzel/ Der schwarze Au just hat die „Jugend"
selbst cngagirt, welche sich ihm zu Liebe ein snnkelnngel-
neues Costum hat machen lassen und ihr gegenüber führt
der schamhafte Adolf mit gewohnter Eleganz und

Schneidiqkeit seine alte Liebe, die lex Heinze, zum
uz! Die '

ken Mannes vom goldenen Horn, welchem sie kürzlich ihre

ranz

die belle France chahulirt am Arme des kran-

Zuneigung in so unzweideutiger, ja beinahe unweiblicher
Art durch einen Besuch zu erkennen gegeben. Ihr Busen-
sreund, der Moskowiter, hat sie als Vis-a-vis gebeten.
Er ist von so vielen Damen zudringlich nmschwärmt worden,
von der Tante Tsuh-si, der Bulgarin, der Serbin, der
Montenegrina und der Brilanniä, daß er, um Keine zu
„vcrschinnchen" auch lieber keine engagirte und neckisch mit
seinem alten Kameraden, dem Dalles, zum Tanze hüpft.
Bruder Jonathan hat die schöne dunkelhäntige Phi-
lipp ine am Arm (auch im Magen, wie die böse Welt

behauptet!) Ihnen gegenüber tanzt ein Paar, das freilich
durch keinerlei nähere Beziehungen mit den fremdländischen
Herrschaften verknüpft ist: ein berühmter Vertreter der obrig-
kcitlicherseits nicht anerkannten, verwerflichen, rohen und
handwerksmäßigen, sogenannten modernen Richtung
und die Berliner Kunst, wie sie sein soll, ist und gc-
tvünscht wird, vorne mager, hinten dürr, angezogcn bis
zum Exceß, die legitime Tochter des Dünkels mit der langen
Weile. Wie die Zwei miteinander auskvmmen werden?
Vielleicht holt sich später der schanihasteAdolf das schöne
Kind zu einer Ertratour? Das elfte Paar bildet unser ver-
ehrter HerrReichskanzlcr, „Gras B ü l o w
von de ne Witz" mit seiner Geliebten,
NainensAgiaria,cincrbekann-
ten Unschuld vom Lande. Er
hat kein Vis a-vis gefunden,
offenbar in Anbetracht seiner
wenig graziösen und ihrer happigen Ma-
nieren halber gefürchteten Partnerin. Sol-
len wir was verrathen? Er hat der Gesell-
... schüft eine Ueberraschunq ersten Ranges
ausgesparl und gibt ein Tanzliedchen zum
k »Besten nach bekannter Melodie. Da ist es:
Ringelringclrosenkranz,

Ich mach' die Sache schlau;

Verbeug' mich hier, verbeug' mich da,
Stets höflich, , heiter, hopsasa,

Und dreh' mich wie ein Pfau.

Zwar Hab' ich kein so schönes Rad,

Doch bin ich sehr beliebt:

Es ruft die Rechte wie die Link',

Daß solchen netten Ftrlefink
Es nirgciids wieder gibt.

Dem Ausland aber geig' ich froh Ringelringelrosenkranz,

Ganz eine andre Weis': Und tanzt mit meiner Frau

Es schimpft der Pole, schimpft 'mal Einer einen Ertratanz,
der Brit', Auch dieses ist mir schnuppe
Ich geb ihm preußischen Granit, ganz,

Und sage! „So, da beiß!" — Ich nehm's nicht so genau.

Auch sonst werden verschiedene ein- und zweistimmige
Ueberbrettelnummern vorgetragen, so singt Madama Draga
ein Wiegenlied und ihr Gatte das Couplet: „Ich bin schwach
ans der Brust!" Herr Eduard König bringt „Die lieben,
süßen Mädeln" zu Gehör, Herr Prinetti dagegen singt
etwas sür's Gemüth, das schöne, alte Lied: „Ueb' immer
Treu und Redlichkeit!" Das bekannte Opercltenlied: „Aber
schwarz ist halt doch meine Lieblingscouleur" wird im
Wiener Dialekt von einem sehr hohen Cavalier vorgetragen,
Fürst Nicola vmi Montenegro spricht den „Pumpns von
Perus!»," Herr August Bebel liest einige neue Hunnen-
brieje vor und beschwört mit deni kleinen Ehrenwort ihre
Echtheit. Kurz: eilt Scherz wird den Andern schlagen!
Acndernngen im Programm behalten >vir uns vor!


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A. Schmidhammer
Register
Arpad Schmidhammer: Zierrahmen zum Text "Ein Fest in extravagantestem Jugendstil"
A. De Nora: Ein Fest im extravagantesten "Jugendstil"
[nicht signierter Beitrag]: Ein Fest im extravagantesten "Jugendstil"
 
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