1902
JUGEND
Nr. 27
R. M. Eichler (Manchen)
(iräumc
von £con Xanrof
Dcr Morgen — ein verschlafener, mürrischer,
trauriger Morgen — erweckt Herrn Gigot, der an
der Seite seiner kleinen Frau geschlummert hat. Er
dehnt sich schwerfällig, als wenn ihm Zentnergewichte
an den Gliedern hingen, reißt gähnend den Mund
wie ein Scheuncnthor auf, neigt sich dann über sein
besseres Drittel (Madame Gigot ist zu klein, nur die
Bezeichnung „Hälfte" zu verdienen) und drückt, alter
Gewohnheit gemäß, einen Morgenkuß aus die Stirn
der reizenden Schläseri».
Sic: (mit einem Seuszer erwachend, zunächst mit
einem unbestimmte», aber unzufriedenen Blick):
Wa—as? •.. (Allmählich ihren Gatten erkennend
und ihn wüthend anschauend): Ach Du..,! Lass'
mich gefälligst in Ruhe, ja?
Er (erstaunt über diese Begrünung): Aber was
hast Du denn? Mein süßes Mauseschwänzchen!
(Will sie uinarmcn.)
Sic (rückt entsetzt von ihm ab und vertheidigt sich
mit Ellbogenstößen. Glücklicherweise thun diese Stöße
nicht sonderlich weh, weil die Ellbogen hübsch rund
und voll sind): Riihr' mich nicht an! Du bist mir
wiederlich wie... wie alter Käse! Ich verabscheue
Dich! Ich hasse Dich!
Er (trostlos): Aber was habe ich Dir denn gethan?
Sic (mit unerschütterlicher Ueberzcugung): Du
hast mich betrogen!
Er (ruhig im Gesühl seiner Unschuld): Was?
Ich? Ich Dich betrogen? Ich, das Muster ehelicher
Treue? Den man im ganzen Viertel kennt... Noch
gestern sagte man mir im Case, ich könnte mich für
meine Tugend unter eine Glasglocke setzen lassen
als Clou für die nächste Weltausstellung ... Wann
hätte ich Dich denn Deiner Meinung nach betrogen?
Sic: Diese Nacht!
Er (matt): Und wo?
Sic (sehr ernst): In meinem Traum.
Er (auffahrend): In Deinem Traum? ... Du
willst mich wohl uzen? Eines Traumes wegen
»lachst Du hier 'ne Scene?
Sic (ernst): Jawohl, denn das war kein gewöhn-
licher Traum! Ich sah Euch ganz deutlich, Dich
und Deine Mitschuldige: auch Eure Unterhaltung
habe ich mit angehört, Wort für Wort. .. (Trium-
Phirend) Du siehst, Leugnen Hilst Dir gar nichts!..
Er: Aber zum Teufel, das ist doch der reine Blöd-
sinn! Du sagst ja selbst, das; eS nur ein Traum war!
Sic (unbeirrt sortsahrend und sich beim Erzählen
ihres Unglücks mehr und mehr erregend): Uebrigens
habt Ihr Euch meinetwegen keinen Zwang angcthan!
Ab—jo—lut keinen Zwang angcthan! Ihr saht mich
sehr genau, jawohl, aber das hinderte Euch nicht
im mindesten, mit Redensarten hernmzuwerfen . ..!
Gott, was für Redensarten! ... Ferkel würden sich
schämen, solche Worte in den Mund zu nehmen! . .
Er: Notabene, wenn Ferkel überhaupt reden
könnten, was mir in meiner Praxis noch nicht vor-
gckontmen ist!
Sie: Und dann diese Wahl! (Verächtlich): Einen
seinen Geschmack hast Du, das muß ich sagen, wahr-
haftig! Mich mit Louison zu betrügen, der Schnei-
derin, die jeden Montag zu uns kommt! Psui!
Er (erstaunt): Also mit der? Mit dcr Schnei-
derin? ... Ei sieh mal an! ... Wer mag Dir bloß
solche Dummheiten in den Kopf gesetzt haben? In
meinem ganzen Leben habe ich noch keine zehn Worte
mit Louison gesprochen!. . . Aber ich Esel, das ist
ja alles nur Traum! (Beginnt zu lachen.) Hahaha!
Wie kann man sich über einen Traum nur so aus-
regen? (Deklamiert):
Ein Traum.. Was ist ein Traum? Ein Nichts ..
Sie (durch seine Heiterkeit etwas versöhnt): Wirk-
lich zu dumm! Mos ein Traum! (Sich allmählich
beruhigend): Aber wenn Du wüßtest, ivelchen Ein-
druck dieser Traum auf mich gemacht hat!. ..
Er (achselznckend): Gott, ivic kann man nur so
dumm sein, sich von seinen Nerven derart beherrschen
zu lassen... Ein Traum — was hat das weiter
zu bedeuten?
Sic: Oho! Man sagt, Träume haben mitunter
sehr viel zu bedeuten!
Er (voll Mitleid): Wirklich? ... Du ivillst eine
gebildete Frau sein und glaubst noch an solch Alt-
weibergeschwätz: Träume haben was zu bedeuten?
(Mit Pathos): Mit Riesenschritten ist die Wissenschaft
vorwärts geeilt, die Philosophie hat mit ihrem alles
besiegenden Hauch den modernden Sumpf des Aber-
glaubens ausgetrocknet — aber trotz alledem existirt
im 20. Jahrhundert eine Frau, die noch an Träume
glaubt!
Sic (vollkommen beruhigt): Ja, Du hast recht,
mein Schatz... Tie Gedanken, welche einem im
Schlaf kommen, haben wirklich keinen Sinn! (Lacht)
Geradezu abgeschmackt, wenn man sich daran er-
innert ! . ..
Er (ebenfalls lachend): Gott sei Dank, daß Du
das endlich einsiehst! Zu träumen, ich wäre hinter
der Schneiderin her!
Sic: Nein, darüber lache ich jetzt nicht. Ich dachte
eben an den Traum, welchen ich vorher hatte! Beim
Erwachen war er mir cutsallen, aber jetzt erinnere
ich mich ganz deutlich! (Lacht.)
Er (mitlachend): Natürlich habe ich Dich in diesem
ersten Traum gleichfalls betrogen?
Sic (heiter): Nein! Das war viel komischer! Bei-
nahe der umgekehrte Fall als im anderen Traum.
Stell' Dir vor: ich lies; mir den Hof machen!
Er (etwas unruhig): Du? Nein wirklich? Und
von wem?
Sie: Bon Charles, weißt Du? Deinem Vetter...
Diesem langen Tölpel, den ich nicht ausstehen kann!
Er (nachdenklich): Ja, ich entsinne mich, Du hast
mir öfters gesagt, Du könntest ihn nicht leiden. ..
Sic: Freilich! Und im Traum, stell' Dir vor,
konnte ich ihn sehr gut leiden . .. aber wirklich sehr
gut leiden! (Lacht) Ist das nicht spaßig?
Er (mit der Miene eines Patienten, welchem der
Zahnarzt soeben drei Backenzähne gezogen hat):
Acußcrsl spaßig!
Sie (harmlos fortsahrend): Wenn ich mich recht
entsinne, hat er mich sogar umarmt...
Er (ausgeregt): Wo denn?
Sic: Na natürlich im Traum! Und ich war gar
nicht böse darüber, im Gegentheil!
Er (mit finster zusammengezogenen Augenbrauen):
Ei sieh mal an!
Sie (heiter): Gar nicht böse! Was sagst Du dazu?
Er (schlägt mit der Faust auf das Nachttischchen,
daß alle Gegenstände darauf zu tanzen beginnen):
Dieser Hallunke Charles! Na der soll mir blos noch
mal seine Pfoten hier hereinstecken — dann kann er
was erleben! (Drohend): Und Du, ivenn Du noch
einmal träumst... verstehst Du wohl? ... nur noch
ein einziges Mal träumst, dann werde ich Dir die
Flötentöne schon beibringen!
Sie (erschreckt): Aber was hast Du denn? Regst
Dich über einen bloßen Traum. ..
Er: Jawohl, thue ich. (Peremptorisch): Du magst
sagen, was Du willst: wenn nicht ein Körnchen
Wahrheit dahintersteckte, hättest Du nicht vom Vetter
Charles geträumt!
Zim m ermann sw ttj
Von einigen Zimmerlcuten, deren Gespräch
er im Eisenbahnwagen belauschte, hat ein „Ge-
bildeter" noch etwas gelernt. Sie unterhielten sich
vom Legen von Dielenböden, da sagte dcr eine:
„Weisch, e Buckel derfsch mache, aber ke
Loch! e Buckel kannsch wieder wcgbutze, aber
c Loch nit rufs zue hoble!" r-n->
Das Geifterschiff
^!llc Schiffer käme» wieder,
Kay kam nicht.
Auf die Erde warf Mcikc sich nieder.
In den Sand das Gesicht.
Sie weinte und rang die weißen Arme
Kap, komm Kay!
Sie flehte und fluchte, daß Gott erbarme
Kay, komm Kay!
Da lief ein Schiff auf schwarzer Welle
Nachts an den Strand,
Da kam ihr todtcr Hcrzgeselle
Und nahm sic bei dcr Hand.
Sic fühlte cS bis in die spitzen Zehen
Und bis in ihr blondes Haar,
Und Mcikc mußte mit ihm gehen
Und segeln hundert Jahr.
Gustav Falke
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JUGEND
Nr. 27
R. M. Eichler (Manchen)
(iräumc
von £con Xanrof
Dcr Morgen — ein verschlafener, mürrischer,
trauriger Morgen — erweckt Herrn Gigot, der an
der Seite seiner kleinen Frau geschlummert hat. Er
dehnt sich schwerfällig, als wenn ihm Zentnergewichte
an den Gliedern hingen, reißt gähnend den Mund
wie ein Scheuncnthor auf, neigt sich dann über sein
besseres Drittel (Madame Gigot ist zu klein, nur die
Bezeichnung „Hälfte" zu verdienen) und drückt, alter
Gewohnheit gemäß, einen Morgenkuß aus die Stirn
der reizenden Schläseri».
Sic: (mit einem Seuszer erwachend, zunächst mit
einem unbestimmte», aber unzufriedenen Blick):
Wa—as? •.. (Allmählich ihren Gatten erkennend
und ihn wüthend anschauend): Ach Du..,! Lass'
mich gefälligst in Ruhe, ja?
Er (erstaunt über diese Begrünung): Aber was
hast Du denn? Mein süßes Mauseschwänzchen!
(Will sie uinarmcn.)
Sic (rückt entsetzt von ihm ab und vertheidigt sich
mit Ellbogenstößen. Glücklicherweise thun diese Stöße
nicht sonderlich weh, weil die Ellbogen hübsch rund
und voll sind): Riihr' mich nicht an! Du bist mir
wiederlich wie... wie alter Käse! Ich verabscheue
Dich! Ich hasse Dich!
Er (trostlos): Aber was habe ich Dir denn gethan?
Sic (mit unerschütterlicher Ueberzcugung): Du
hast mich betrogen!
Er (ruhig im Gesühl seiner Unschuld): Was?
Ich? Ich Dich betrogen? Ich, das Muster ehelicher
Treue? Den man im ganzen Viertel kennt... Noch
gestern sagte man mir im Case, ich könnte mich für
meine Tugend unter eine Glasglocke setzen lassen
als Clou für die nächste Weltausstellung ... Wann
hätte ich Dich denn Deiner Meinung nach betrogen?
Sic: Diese Nacht!
Er (matt): Und wo?
Sic (sehr ernst): In meinem Traum.
Er (auffahrend): In Deinem Traum? ... Du
willst mich wohl uzen? Eines Traumes wegen
»lachst Du hier 'ne Scene?
Sic (ernst): Jawohl, denn das war kein gewöhn-
licher Traum! Ich sah Euch ganz deutlich, Dich
und Deine Mitschuldige: auch Eure Unterhaltung
habe ich mit angehört, Wort für Wort. .. (Trium-
Phirend) Du siehst, Leugnen Hilst Dir gar nichts!..
Er: Aber zum Teufel, das ist doch der reine Blöd-
sinn! Du sagst ja selbst, das; eS nur ein Traum war!
Sic (unbeirrt sortsahrend und sich beim Erzählen
ihres Unglücks mehr und mehr erregend): Uebrigens
habt Ihr Euch meinetwegen keinen Zwang angcthan!
Ab—jo—lut keinen Zwang angcthan! Ihr saht mich
sehr genau, jawohl, aber das hinderte Euch nicht
im mindesten, mit Redensarten hernmzuwerfen . ..!
Gott, was für Redensarten! ... Ferkel würden sich
schämen, solche Worte in den Mund zu nehmen! . .
Er: Notabene, wenn Ferkel überhaupt reden
könnten, was mir in meiner Praxis noch nicht vor-
gckontmen ist!
Sie: Und dann diese Wahl! (Verächtlich): Einen
seinen Geschmack hast Du, das muß ich sagen, wahr-
haftig! Mich mit Louison zu betrügen, der Schnei-
derin, die jeden Montag zu uns kommt! Psui!
Er (erstaunt): Also mit der? Mit dcr Schnei-
derin? ... Ei sieh mal an! ... Wer mag Dir bloß
solche Dummheiten in den Kopf gesetzt haben? In
meinem ganzen Leben habe ich noch keine zehn Worte
mit Louison gesprochen!. . . Aber ich Esel, das ist
ja alles nur Traum! (Beginnt zu lachen.) Hahaha!
Wie kann man sich über einen Traum nur so aus-
regen? (Deklamiert):
Ein Traum.. Was ist ein Traum? Ein Nichts ..
Sie (durch seine Heiterkeit etwas versöhnt): Wirk-
lich zu dumm! Mos ein Traum! (Sich allmählich
beruhigend): Aber wenn Du wüßtest, ivelchen Ein-
druck dieser Traum auf mich gemacht hat!. ..
Er (achselznckend): Gott, ivic kann man nur so
dumm sein, sich von seinen Nerven derart beherrschen
zu lassen... Ein Traum — was hat das weiter
zu bedeuten?
Sic: Oho! Man sagt, Träume haben mitunter
sehr viel zu bedeuten!
Er (voll Mitleid): Wirklich? ... Du ivillst eine
gebildete Frau sein und glaubst noch an solch Alt-
weibergeschwätz: Träume haben was zu bedeuten?
(Mit Pathos): Mit Riesenschritten ist die Wissenschaft
vorwärts geeilt, die Philosophie hat mit ihrem alles
besiegenden Hauch den modernden Sumpf des Aber-
glaubens ausgetrocknet — aber trotz alledem existirt
im 20. Jahrhundert eine Frau, die noch an Träume
glaubt!
Sic (vollkommen beruhigt): Ja, Du hast recht,
mein Schatz... Tie Gedanken, welche einem im
Schlaf kommen, haben wirklich keinen Sinn! (Lacht)
Geradezu abgeschmackt, wenn man sich daran er-
innert ! . ..
Er (ebenfalls lachend): Gott sei Dank, daß Du
das endlich einsiehst! Zu träumen, ich wäre hinter
der Schneiderin her!
Sic: Nein, darüber lache ich jetzt nicht. Ich dachte
eben an den Traum, welchen ich vorher hatte! Beim
Erwachen war er mir cutsallen, aber jetzt erinnere
ich mich ganz deutlich! (Lacht.)
Er (mitlachend): Natürlich habe ich Dich in diesem
ersten Traum gleichfalls betrogen?
Sic (heiter): Nein! Das war viel komischer! Bei-
nahe der umgekehrte Fall als im anderen Traum.
Stell' Dir vor: ich lies; mir den Hof machen!
Er (etwas unruhig): Du? Nein wirklich? Und
von wem?
Sie: Bon Charles, weißt Du? Deinem Vetter...
Diesem langen Tölpel, den ich nicht ausstehen kann!
Er (nachdenklich): Ja, ich entsinne mich, Du hast
mir öfters gesagt, Du könntest ihn nicht leiden. ..
Sic: Freilich! Und im Traum, stell' Dir vor,
konnte ich ihn sehr gut leiden . .. aber wirklich sehr
gut leiden! (Lacht) Ist das nicht spaßig?
Er (mit der Miene eines Patienten, welchem der
Zahnarzt soeben drei Backenzähne gezogen hat):
Acußcrsl spaßig!
Sie (harmlos fortsahrend): Wenn ich mich recht
entsinne, hat er mich sogar umarmt...
Er (ausgeregt): Wo denn?
Sic: Na natürlich im Traum! Und ich war gar
nicht böse darüber, im Gegentheil!
Er (mit finster zusammengezogenen Augenbrauen):
Ei sieh mal an!
Sie (heiter): Gar nicht böse! Was sagst Du dazu?
Er (schlägt mit der Faust auf das Nachttischchen,
daß alle Gegenstände darauf zu tanzen beginnen):
Dieser Hallunke Charles! Na der soll mir blos noch
mal seine Pfoten hier hereinstecken — dann kann er
was erleben! (Drohend): Und Du, ivenn Du noch
einmal träumst... verstehst Du wohl? ... nur noch
ein einziges Mal träumst, dann werde ich Dir die
Flötentöne schon beibringen!
Sie (erschreckt): Aber was hast Du denn? Regst
Dich über einen bloßen Traum. ..
Er: Jawohl, thue ich. (Peremptorisch): Du magst
sagen, was Du willst: wenn nicht ein Körnchen
Wahrheit dahintersteckte, hättest Du nicht vom Vetter
Charles geträumt!
Zim m ermann sw ttj
Von einigen Zimmerlcuten, deren Gespräch
er im Eisenbahnwagen belauschte, hat ein „Ge-
bildeter" noch etwas gelernt. Sie unterhielten sich
vom Legen von Dielenböden, da sagte dcr eine:
„Weisch, e Buckel derfsch mache, aber ke
Loch! e Buckel kannsch wieder wcgbutze, aber
c Loch nit rufs zue hoble!" r-n->
Das Geifterschiff
^!llc Schiffer käme» wieder,
Kay kam nicht.
Auf die Erde warf Mcikc sich nieder.
In den Sand das Gesicht.
Sie weinte und rang die weißen Arme
Kap, komm Kay!
Sie flehte und fluchte, daß Gott erbarme
Kay, komm Kay!
Da lief ein Schiff auf schwarzer Welle
Nachts an den Strand,
Da kam ihr todtcr Hcrzgeselle
Und nahm sic bei dcr Hand.
Sic fühlte cS bis in die spitzen Zehen
Und bis in ihr blondes Haar,
Und Mcikc mußte mit ihm gehen
Und segeln hundert Jahr.
Gustav Falke
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