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Nr. 27

JUGEND

1902

Terrain-Mlien-Gesellschast

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TU. Feldbauer

Der letzte Sendlinger Bauer

Individualität lebt untilgbar die Gattung fort;
und bricht immer wieder hervor, und begehrt das
Typische, das schlechthin Wohlgefällige, das sinnlich
Lustvolle. Die Gattung ist's, die uns in den
Ballsaal treibt, die hier so lauge und so zäh das
Recht der Entblößung wahrte. Aber mit welchem
Sinnenopfer erkauft sie diese Genüsse I Oder gibt
es etwas Schlimmeres, etwas grausiger Ernüch-
terndes, etwas roher Barbarisches, als im Wogen
des Tanzes die harte Berührung des korsettge-
panzerten Fraucnleibes und des prall gespannten
Glacehandschuhs? Schöuheitswidrig dünkt uns
der offizielle Ballsaal, begehrenswerth der Tanz
nur noch, wo die brutalste Sinnenhitze ihn durch-
fcuert; es widerstrebt uns, beim Schneider und
Friseur uns zum Anblick entblößter Schultern müh-
selig anschirren zu lassen; das Schöne inmitten des
Alltags nimmt uns gefangen, und unser Auge
richtet sich auf das letzte Nackte, das die Toilette
gewährt: die Hand.

Daher dieser Kultus der schönen Hand in allen
seinen sonderbaren Spielarten. Daher die Feind-
schaft gegen den Ring, der uns einen Millimeter
Haut verdeckt, der die ästhetische Einheit des leben-
digen Gliedes protzig durchbricht, oder als Trau-
ring uns gar den Genuß des Schaums und
ahnenden Fühleus durch das moralische Bitter-
wasser der fünfzehukarätigen Lcgitiiuität vergällt.
Der ganze Fanatismus der Gattungs-
instinkte diktiert uns diesen Händekultus..

Im Skuller mit Rollsitzen, auf dem
Fußballplatz und im Sattel des Zwei-
rades, so klagte mir ein in Ehren grau
gewordener Tanzmeister, geht dem Manne
die Tanzkunst mehr und mehr verloren.

Im Skuller und auf dem Zweirad hat
das Weib gethan, was keine ärztliche
Warnerkunst ihm abtrotzen konnte: das
Corsett von sich geworfen. Aber am
Riemen, der den Strom durchschneidet,
an der nickelnen Lenkstange und anr Racket
droht auch die schöne Hand zu sterben:
sonngebräunt und sehnig und schwielig
zu werden. Ist es wirklich das Letzte, was
an sinnlicher Schönheit da entschwindet?

Bersinkt hier eine ganze ästhetische Welt,

die Welt des typisch Schönen, dcS schlechthin
Wohlgefälligen? War der Händekultus der letzte
Strohhalm, an dem sie sich festklammerte? Wir
verzweifeln, wenn es so ist, trotz alledem nicht.
Neue Schönheit kam noch allezeit von dort, wo
keiner sie ahnte; und neue Schönheit wird auch
unser noch harren. Denn in all unserer grauen
Regennoth, die uns in Gummimäntel, Filzhüte
und Ueberschuhe einhüllt, lebt in uns Kindern der
germanischen Welt die unerschöpfliche, goldsonnige
Jugend, die noch immer wunderliche oft zwar,
aber doch auch wunderbare Wege zur Schönheit
gesunden hat. Sonst iövstoaw

Ehegatten von heute

Menu Menschen auseinandergeh'n,

So sagen sie: auf lviederseh'n!

Doch wenn sich Menschen scheiden lassen,
Dann thuri sie solches unterlassen.

Man weiß genau: die Angen hat er,

Das Kirnt, die Stirne, das Gesicht,

Das ganze Exterieur vom Vater, —

Nur eins: vott welchem — weiß man nicht.

Trane keinem lVeiberschwur,

Wenn sie wegfährt in die Kur,

Traue keinem tveiberkuß,

Wenn sie cm die Vstsec muß l Trara

Gin flßissverständniss

Anläßlich der Anwesenheit des Herrn Brigade-
kommandcurs findet im Tasino des X. Infanterie-
Regiments ein Liebesmahl statt. Es geht sehr offi-
ziell her. Die Leutnants langweilen sich entsetzlich.
Auch der Vbcrst eines benachbarten Regiments ver-
itiag nur schlecht seinen Unmuth zu bemeistern.
Der junge Leutnant Greulich bemerkt dies, freut
sich, einen Leidensgenossen gefunden zu haben und
stellt sich gelegentlich vor: „Greulich."

Der (Oberst: „Zum Kotzen!"

Eine wahr« Geschichte

Ich lag unterm Fenster und blickte gelangweilt
in die fast leere Straße des Städtchens herab. Da
kamen zwei junge Damen des Weges, welche in
lebhaftem Gespräch begriffen waren. „Was", sagte
die Eine, „Du hast blos 48 Kinder? Da kannst
Du Dich doch nicht beklagen I Ich habe 82 und
gestern habe ich noch ein Mädchen bekommen..."
Dann verschwanden sie wieder um die Ecke. Es
waren Lehrerinnen.

Deutsche Spriicbwömr mit Nachsatr

Nichts ist schwerer zu ertrage», als eine
Reihe von schönen Tagen — wenn der
Sommeranzug versetzt ist.

Man soll den Tag nicht vor dem
Abend lobe», da man noch immer
in die „Woche" kommen kann.

Eine Schwalbe inacht noch keinen
Sommer — wohl aber eine Ver-
rücktheit schon eine literarische
Richtung.

Ruhe ist die erste Bürgerpflicht —
nach dem Stcuerzahlcn.

In deiner Brust sind deines Schick-
sals Sterne — die sich, bei ent-
sprechendem Verhalten, später
als Ordenszeichen auf deiner
Brust zeigen. , Trara

Carl Schnebel (Berlin)

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Register
Max Feldbauer: Der letzte Sendlinger Bauer
[nicht signierter Beitrag]: Eine wahre Geschichte
Trara: Deutsche Sprüchwörter mit Nachsatz
Trara: Ehegatten von heute
Carl Schnebel: Finis
[nicht signierter Beitrag]: Ein Mißverständniss
 
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