JUGEND
1902
wenn c? nur bontirte Kunstkritiker wären, die sich durch
verblüfseuden Widerspruch interessant machen wollen; aber
nein, der Unsinn ist bereits in das Hirn der privilegirten
Knlturregisseure cingedrungen, wie nachfolgende Enunzin-
tion eines durch seinen Geist und Stil berühmten Feuille-
tonisten in einer der angesehensten Zeitungen beweist.
Der Satz handelt von dem unvergleichlichen Kunstkerl
Wilhelm Busch und war — man vergesse das nicht!
— in einem Feuilleton abgedruckt, das doch eigentlich de»
Jubilar verherrlichen sollte! Also:
„So ging er einfach in's Volk und zu den Kindern,
redete zu ihnen, wie ihm der Schnabel gewachsen war,
und schmierte ihnen selbstvergessen, vielleicht auch ein
bischen verzweifelt, seine spassigen Zeichnungen
hin. Denn er war in seiner Jugend auf Höheres
ausgewesen. Er hatte auch ein richtiger Maler wer-
den wollen, mit Farben auf der Leinwand. Es gelang
ihm aber nicht, darin aus einen grünen Zweig zu
kommen. Vielleicht war er zu gedankenvoll und lite-
rarisch aufgelegt, um ein guter Maler zu werden.
Zur Zeit, da er zum niedersten Genre überging,
blühten ihm vermuthlich die Rosen nicht. Kam er durch
den Zufall eines Atelierschcrzes oder bei irgend einer-
anderen Gelegenheit darauf, sich als Clown zu ver-
suchen? Genug, er blieb dabei. Der Hunger ist ein
guter Lehrer, der die Maler zu Zeichnern für die Witz-
blätter heranbildet. Und dann ist es in der fliegel
aus mit der großen Kunst. Diese Herrin ver-
langt ja nicht nur Bedürsnißlosigkeit oder ausreichendes
Betriebskapital, sondern auch Geduld und Ruhe. Der
Einfall will reifen, der Entwurf ausgesührt werden.
Die Weisen sind nun darin einig, daß es sich gar nicht
verlohnt, so große Anstrengungen zu machen. Das
Leben geht vorüber, und cs war nichts. Die Nachwelt
aber, du lieber Gott! Am Ende hat sie einen anderen
Geschmack, und dann tvar es erst recht nichts. Und
wenn sie auch den Kranz einem Künstler aus das Grab
legt, was hat er davon? So mengt sich aus Leichtsinn,
Noth und Weisheit die Stimmung, in der ein Großer,
ivie Busch, aus die große Kunst verzichtet."
Nun, ich will die Flüche nicht wiederholen, die ich
bei und nach der Lektüre dieses hervorragenden Unsinns
ansgestoßen. Ich will auch den Verfasser nicht nennen,
weil ich ihn sonst als geistreichen Kollegen hochschätze.
Aber mit Stentorstimme zurufen muß ich ihm und den
gedankenlosen Kunstschwätzern aller Grade: Halt, wenn
die Schranke geschlossen ist! Wer vom Innersten
der Kunst keine Ahnung hat, wer noch das Konventionelle
mit dem Essentiellen verwechselt und die „Höhe" der Kunst
nach dem Formate und dem Oelverbrauch bemißt, der soll
lieber davon schweigen und nicht Schlangeneier in das
dostige Dickicht der Dummheit legen. Große Kunst ist
überall da, wo sie drin steckt; — auf tausend Htstorien-
uud sonstige Maler „höchsten Genres" kommt erst ein
Busch, und die Meister der Hochkleinkunst sind
überhaupt seltene Mordskerle, vor denen ich mit ganz be-
sonderem Respekt den Hut abnehme. In ihnen wohnt
noch jugendliche Zeugungskraft, die in dem Firnißdunst
der Riesenleinwand, ach! so leicht zum Teufel geht. Hoch-
kleinkunst - Lendenmark! Georg Hirth
Berechtigter Schluß
In einer rheinischen Stadt geht der dritte Bürger
meister spazieren und benützt die Gelegenheit, um die
Arbeiten an einer neuen Straße zu besichtigen. Er-
fragt einen der Arbeiter nach seinem Befinden. „Ganz
gut so weit, Herr Bergermeester; nor dat' ich mecne,
mer braucht net so viel Italiener auzustelle; mir Deutsche
dato unser Sach grad so gut mache." Der dritte Herr
Bürgermeister schüttelt den Kopf und äußert, das; ein
Italiener so viel arbeite wie drei Deutsche. „So meene
Sie, Herr Bergermeester! Daun dat ich meene, mer
sollte en Italiener zum Bergermeester wähle; dann
bräuchte mer bloß een bezahle, statt jeze drei."
Das Lied vom Vater und dem Sohn
oder
Die mißlungene LizenvabnlaUtt
(Stuöentenlieb)
(Gedämpft):
Hebt leise an, hebt leise an,
ganz lo la li la leise!
Noch leiser, bitte, Herr Kumpan! —
ganz recht — in dieser weise!
Das Lied vom Vater und dem Sohn
Wir singen's mtr im Flüsterton
piano, piano
pianissimo — nissimo!
(Alle stärken sich, fetzen die .strüae geräuschvoll nieder und
klappern a tempo mit den Deckeln),
(fortissimo): So 1
Ls ging der Vater mit dem Sohn
(ganz lo la li la leise!)
Zur nächsten Eisenbahnstation
(ganz lo la li la leise!)
„Ach, geben Sie, Herr Sekertär,
„Uns schnell mal zwei Bülljetter her!"
piano, piano etc.
Der Vater steigt in's Portemonnaie,
(ganz lo la li la leise!)
Der Sohn inzwischen in's Couvtz,
(ganz lo la li la leise!) .
Da pfeift der Zug — der Sohn heidi I
Ukitsammt des Vaters Paraplui!
piano, piano etc.
„Das heiß' ich einen Teufelsspnk!" —
(ganz lo la li la leise!)
Der Vater ruft's, er droht dem Zug
(ganz lo la li la leise!)
„Potz Deix! jetzt geh' ich in den ,Schwan'
„Und sauf' mir einen Affen an!"
piano, piano etc.
vom Schicksal welch ein Schabernack! —
(ganz lo la li la leise!)
Kein Fahrschein und kein Geld im Sack! —
(ganz lo la li la leise!)
Und Psiaumeir aß der Sohn vorher,
Das macht ihn noch viel ängstlicher
piano, piano etc.
Der Schaffner revidirt's Coupe,
(ganz lo la li la leise!)
„,pfni Deubel!' schnauzt er, „rrraus!.. lUnßjcc!'-
(ganz lo la li la leise!)
Ein Pfiff .. . Der Zug ä renrpo hält,
Lin Griff . .. Der Sohn, stiegt weit in's Feld
piano, piano etc.
Zwölf Uhr erdröhnt's vom Dorfkirchthurm,
(ganz lo la li la leise!)
Noch irrt der Sohn durch Nacht und Sturm,
(ganz lo la li la leise!)
Da, angelangt vor Vaters Thor,
Find't Vätern er im Rinnstein vor —
piano, piano etc.
Das Lied vom Vater und dein Sohn
(ganz lo la li la leise!)
Wir sangen's nur im Flüsterton,
(ganz lo la li la leise!)
kveil's gar so nett ist und bereut —
Nur schade, daß es schon zu Lud'!
piano, piano
pianissimo — nissimo 1
So!
Otto Eugen fieinricb
Bernhard Pankok*
462
1902
wenn c? nur bontirte Kunstkritiker wären, die sich durch
verblüfseuden Widerspruch interessant machen wollen; aber
nein, der Unsinn ist bereits in das Hirn der privilegirten
Knlturregisseure cingedrungen, wie nachfolgende Enunzin-
tion eines durch seinen Geist und Stil berühmten Feuille-
tonisten in einer der angesehensten Zeitungen beweist.
Der Satz handelt von dem unvergleichlichen Kunstkerl
Wilhelm Busch und war — man vergesse das nicht!
— in einem Feuilleton abgedruckt, das doch eigentlich de»
Jubilar verherrlichen sollte! Also:
„So ging er einfach in's Volk und zu den Kindern,
redete zu ihnen, wie ihm der Schnabel gewachsen war,
und schmierte ihnen selbstvergessen, vielleicht auch ein
bischen verzweifelt, seine spassigen Zeichnungen
hin. Denn er war in seiner Jugend auf Höheres
ausgewesen. Er hatte auch ein richtiger Maler wer-
den wollen, mit Farben auf der Leinwand. Es gelang
ihm aber nicht, darin aus einen grünen Zweig zu
kommen. Vielleicht war er zu gedankenvoll und lite-
rarisch aufgelegt, um ein guter Maler zu werden.
Zur Zeit, da er zum niedersten Genre überging,
blühten ihm vermuthlich die Rosen nicht. Kam er durch
den Zufall eines Atelierschcrzes oder bei irgend einer-
anderen Gelegenheit darauf, sich als Clown zu ver-
suchen? Genug, er blieb dabei. Der Hunger ist ein
guter Lehrer, der die Maler zu Zeichnern für die Witz-
blätter heranbildet. Und dann ist es in der fliegel
aus mit der großen Kunst. Diese Herrin ver-
langt ja nicht nur Bedürsnißlosigkeit oder ausreichendes
Betriebskapital, sondern auch Geduld und Ruhe. Der
Einfall will reifen, der Entwurf ausgesührt werden.
Die Weisen sind nun darin einig, daß es sich gar nicht
verlohnt, so große Anstrengungen zu machen. Das
Leben geht vorüber, und cs war nichts. Die Nachwelt
aber, du lieber Gott! Am Ende hat sie einen anderen
Geschmack, und dann tvar es erst recht nichts. Und
wenn sie auch den Kranz einem Künstler aus das Grab
legt, was hat er davon? So mengt sich aus Leichtsinn,
Noth und Weisheit die Stimmung, in der ein Großer,
ivie Busch, aus die große Kunst verzichtet."
Nun, ich will die Flüche nicht wiederholen, die ich
bei und nach der Lektüre dieses hervorragenden Unsinns
ansgestoßen. Ich will auch den Verfasser nicht nennen,
weil ich ihn sonst als geistreichen Kollegen hochschätze.
Aber mit Stentorstimme zurufen muß ich ihm und den
gedankenlosen Kunstschwätzern aller Grade: Halt, wenn
die Schranke geschlossen ist! Wer vom Innersten
der Kunst keine Ahnung hat, wer noch das Konventionelle
mit dem Essentiellen verwechselt und die „Höhe" der Kunst
nach dem Formate und dem Oelverbrauch bemißt, der soll
lieber davon schweigen und nicht Schlangeneier in das
dostige Dickicht der Dummheit legen. Große Kunst ist
überall da, wo sie drin steckt; — auf tausend Htstorien-
uud sonstige Maler „höchsten Genres" kommt erst ein
Busch, und die Meister der Hochkleinkunst sind
überhaupt seltene Mordskerle, vor denen ich mit ganz be-
sonderem Respekt den Hut abnehme. In ihnen wohnt
noch jugendliche Zeugungskraft, die in dem Firnißdunst
der Riesenleinwand, ach! so leicht zum Teufel geht. Hoch-
kleinkunst - Lendenmark! Georg Hirth
Berechtigter Schluß
In einer rheinischen Stadt geht der dritte Bürger
meister spazieren und benützt die Gelegenheit, um die
Arbeiten an einer neuen Straße zu besichtigen. Er-
fragt einen der Arbeiter nach seinem Befinden. „Ganz
gut so weit, Herr Bergermeester; nor dat' ich mecne,
mer braucht net so viel Italiener auzustelle; mir Deutsche
dato unser Sach grad so gut mache." Der dritte Herr
Bürgermeister schüttelt den Kopf und äußert, das; ein
Italiener so viel arbeite wie drei Deutsche. „So meene
Sie, Herr Bergermeester! Daun dat ich meene, mer
sollte en Italiener zum Bergermeester wähle; dann
bräuchte mer bloß een bezahle, statt jeze drei."
Das Lied vom Vater und dem Sohn
oder
Die mißlungene LizenvabnlaUtt
(Stuöentenlieb)
(Gedämpft):
Hebt leise an, hebt leise an,
ganz lo la li la leise!
Noch leiser, bitte, Herr Kumpan! —
ganz recht — in dieser weise!
Das Lied vom Vater und dem Sohn
Wir singen's mtr im Flüsterton
piano, piano
pianissimo — nissimo!
(Alle stärken sich, fetzen die .strüae geräuschvoll nieder und
klappern a tempo mit den Deckeln),
(fortissimo): So 1
Ls ging der Vater mit dem Sohn
(ganz lo la li la leise!)
Zur nächsten Eisenbahnstation
(ganz lo la li la leise!)
„Ach, geben Sie, Herr Sekertär,
„Uns schnell mal zwei Bülljetter her!"
piano, piano etc.
Der Vater steigt in's Portemonnaie,
(ganz lo la li la leise!)
Der Sohn inzwischen in's Couvtz,
(ganz lo la li la leise!) .
Da pfeift der Zug — der Sohn heidi I
Ukitsammt des Vaters Paraplui!
piano, piano etc.
„Das heiß' ich einen Teufelsspnk!" —
(ganz lo la li la leise!)
Der Vater ruft's, er droht dem Zug
(ganz lo la li la leise!)
„Potz Deix! jetzt geh' ich in den ,Schwan'
„Und sauf' mir einen Affen an!"
piano, piano etc.
vom Schicksal welch ein Schabernack! —
(ganz lo la li la leise!)
Kein Fahrschein und kein Geld im Sack! —
(ganz lo la li la leise!)
Und Psiaumeir aß der Sohn vorher,
Das macht ihn noch viel ängstlicher
piano, piano etc.
Der Schaffner revidirt's Coupe,
(ganz lo la li la leise!)
„,pfni Deubel!' schnauzt er, „rrraus!.. lUnßjcc!'-
(ganz lo la li la leise!)
Ein Pfiff .. . Der Zug ä renrpo hält,
Lin Griff . .. Der Sohn, stiegt weit in's Feld
piano, piano etc.
Zwölf Uhr erdröhnt's vom Dorfkirchthurm,
(ganz lo la li la leise!)
Noch irrt der Sohn durch Nacht und Sturm,
(ganz lo la li la leise!)
Da, angelangt vor Vaters Thor,
Find't Vätern er im Rinnstein vor —
piano, piano etc.
Das Lied vom Vater und dein Sohn
(ganz lo la li la leise!)
Wir sangen's nur im Flüsterton,
(ganz lo la li la leise!)
kveil's gar so nett ist und bereut —
Nur schade, daß es schon zu Lud'!
piano, piano
pianissimo — nissimo 1
So!
Otto Eugen fieinricb
Bernhard Pankok*
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