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Nr. 28

Eine mMsche beschichte

von Richard 0’ Momsv

ein hatte bei diesem Liebesmahl viel von ver-
storbenen Regimentskameraden gesprochen.
Dank den guten Weinen und dem reichlichen Diner
befand man sich in jenem Stadium, in welchem man
für die seltsamsten und phantastischsten Geschehnisse
und Erzählungen besonders empfänglich ist.

„Und d'Jramond?" fragte gegen Schluss der
Kapitän Chavoye. „Was ist eigentlich aus d'Jra-
mond geworden. Ist er tobt?"

„Ach, d'Jramond!" entgegnete Major Fabert
ernst, fast traurig. „Wissen Sie, meine Herren, ich
bin nicht naiver, nicht leichtgläubiger als Sie alle
hier am Tisch, aber sobald ich an diese Geschichte
denke, empsinde ich jene Beklemmung, wie mau sie
gegenüber unerklärlichen Räthseln und Problemen
der Natur zu fühlen pflegt/'

„Erzählen Sie! Erzählen Sie!" rief man durch-
einander.

„Nun, meine Herren, die Geschichte mag etwa
fünf Jahre alt sein. Wir standen damals in Sankt
Germain, der wundervollsten aller Garnisonen.
Am Vormittag der militärische Dienst mit seinen
Paraden, Felddienstübungen u.s.w., dann die amü-
santen Frühstücke an der Ofsizierstafel, die kleinen
Techtelmechtel ans der Terrasse; und später, am
Abend, — Paris.

Mit seinem altaristokratischen Namen, seinem
immensen Vermögen und seinen vornehmen, ele-
ganten Manieren spielte d'Jramond natürlich eine
Hauptrolle bei unsere» tollen Festen: immer der
letzte beim Souper und dennoch der erste am näch-
sten Morgen im Dienst.

Das alles änderte sich wie durch Zauberwort, als
die Herzogin d'Jramond plötzlich am Herzschlag starb.

Von dem Augenblick an, da der Kapitän keine
Mutter mehr hatte, keine „Mama", wie er sie voll
kindlicher, im Munde dieses großen, schnurrbärtigen
Jungen sonderbar anmuthender Zärtlichkeit nannte,
von jenem Tage an, da er nicht mehr wie früher
von Zeit zu Zeit in dem kleinen Hotel der Rue
St. Dominique ausruhen, beichten, neue Kräfte
sammeln konnte, — von diesem Tage an war er
nicht mehr er selbst. Er stellte seine Ausflüge nach
Paris ein und verbrachte, abgesehen vom Dienst,
seine ganzen Tage in dem kleinen Pavillon der Rne
du Boulingrin, wo er stundenlang vor dem von
Cabanel meisterhaft gemalten Bilde seiner Mutter
saß, in die Betrachtung der theuren Todten ver-
sunken, die ihm mit ihrem sanften Lächeln, ihren
blauen Augen in alle Winkel des Zimmers zu fol-
gen schien.... Vergebens bemühte ich mich, den
Kapitän der Einsamkeit zu entreißen, seine trüben
Gedanken zu verscheuchen.

„Nein, siehst Du," erklärte er mir, „das ist nichts
mehr für mich; ich bin mit einem Schlage alt ge-
worden. Solange man noch eine Mutter hat, kann
man sich für jung halten: das zwecklose, tolle Leben,
das man führt, ist nichts weiter als ein Traum ohne
diese regelmäßigen Ruhepausen, die man sich unter
dem mütterlichen Dache gönnt, um Athem zu schöpfen,
sich auf sich selbst zu besinnen. Und der Mensch ist
bitter zu beklagen, der nicht solch ein gemüthliches
Winkelchen hat, in welchem er ausruhen, sich erholen
kann, um, neugestärkt und seiner selbst sicherer, wieder
in die geräuschvolle Welt hinauszutreten."

Er wurde immer schweigsamer, unzugänglicher, in
sich gekehrter. An einem Wintermorgen, als ich ihn
zumDienst abholen kam, fand ich ihn besonders bewegt.

„Du wirst gewiß über mich lachen," entschuldigte
er sich, „aber mir ist soeben etwas ganz Außer-
gewöhnliches passirt."

„Was denn?"

„Du kennst doch den Abbö Vincent, den ersten
Vikar von St. Germain? Stelle Dir vor, dieser
Abbe Vincent kommt heute früh in Begleitung eines
Chorknaben, der das heilige Sakrament trügt, zu
mir. Natürlich bin ich sehr erstaunt:

,Das muß ein Mißverständnis; sein, Herr Abbe/
sage ich. ,Ohne Zweifel haben Sie sich in der
Adresse geirrt/

. JUGEND .

,Nein, nein, durchaus nicht. Man hat mir die
genaue Adresse des Kapitäns d'Jramond gegeben/

,Dann hat man sich einen sehr schlechten Spaß
mit Ihnen erlaubt, und wenn ich den Urheber zu-
fällig kennen sollte ...!'

,Herr Kapitän, ich schwöre Ihnen, die Dame,
welche mich zu Ihnen geschickt hat, machte einen
überaus achtbaren, glaubwürdigen und vertrauen-
erweckenden Eindruck/

,Eine Dame?'

,Jawohl, eine Dame, welche ich aus dem Kirch-
platz traf... Halt! Das ist sie ja!'

Und der Abbö Vincent wies aus Mamas Porträt,
das dort an der Wand hängt. Ich muß Dir ge-
stehen, ich konnte mich einer gewissen Herzbeklemm-
ung nicht erwehren.

,Sind Sie auch ganz sicher, daß Sie gerade diese
Dame getroffen haben?'

.Ganz sicher, Herr Kapitän... O, ich würde sie
unter Tausenden wiederkennen! Sie bestand mit einer
so sausten, traurigen Miene auf ihrem Willen. Sie bat
mich: .Gehen Sie schnell! Es ist die höchste Zeit!'
Ja, ja, kein Zweifel, es ist die Dame des Bildes!'

.Dieses Bild, Herr Abbö... ist das Bild meiner
Mutter, der Herzogin d'Jramond ..., die vor kaum
zwei Monaten gestorben ist.'

Der Priester erbleichte ein wenig und sagte dann
zögernd:

,Mein liebes Kind, die Wege der Vorsehung sind
oft dunkel und unerforschlich... Nehmen Sie das
heilige Abendmahl. Es ist immer eine gme Sache,
in Frieden mit seinem Gotte zu leben. . . Und dann
... wer weiß?... der Frau Herzogin dort oben
wird das ohne Zweifel angenehm sein.'

Kurz, ich wußte nichts mehr zu erwidern. Ge-
rührter als je in meinem Leben beichtete ich und
empfing das heilige Abendmahl.

Vielleicht hat der gute Mann eine Halluzination ge-
habt, vielleicht hat er sich durch eine Aehnlichkeit täu-
schen lassen? Wie dem auch sei, ich habe gebeichtet
und kommunizirt — und nun schnell in den Dienst!"

Ich erinnere mich noch ganz genau, daß es an
jenem Morgen recht kalt war. D'Jramond ritt
einen prächtigen Fuchs, den er wenige Tage vorher
bei der Auktion des Lord Darlington'schen Marstalls
gekauft hatte.

Wir ritten in scharfem Trab, um das bereits
unterwegs befindliche Regiment einzuholen. Der
gefrorene Erdboden dröhnte metallisch unter den
Hufen unserer Pferde.

Ich versuchte mit meinem Freunde zu scherzen,
ihn zu zerstreuen, aber er kam wieder und wieder
auf den Besuch des Abbö Vincent zurück.

Endlich erreichten wir das Regiment, meldeten
uns beim Oberstleutnant und traten bei unseren
Eskadronen ein.

In diesem Augenblick stürmte ein Rekrut, dessen
Thier durchging, im tollsten Galopp gerade auf

1902

uns los. De r arme Kerl hatte die Gewalt über sein
Pferd vollständig verloren und klammerte sich in
Todesangst an den Sattelknopf.

Der Stoß war schrecklich. Mein gut zugerittenes
Thier gerieth als alter Praktikus, welcher an derlei
Ueberraschungen gewöhnt ist, keinen Augenblick in's
Wanken. Aber d'Jramond's Fuchs scheute, stieg
kerzengerade empor und fiel dann hintenüber, seinen
Reiter unter sich begrabend

Im nächsten Augenblick sah ich eine unförmliche,
zuckende Masse, dann ein Pferd, welches nach ver-
zweifelten Anstrengungen zitternd wieder auf den
Beinen stand, und am Boden meinen unglücklichen
Freund, bewußtlos, den Schädel von einem furcht-
baren Hufschlag zertrümmert.

Ein bedauernswerther Zufall wollte es, daß ein
Arzt nicht gleich zur Stelle war. Man mußte den
Verletzten auf dem Wagen des Marketenders nach
St. Germain transportiren. Als man ihm endlich
ärztliche Hilfe angedeihen lassen konnte, war es schon
zu spät: um k> Uhr Abends starb er, ohne noch ein
Wort gesprochen, ohne das Bewußtsein wieder er-
langt zu haben. Ich aber, der ich die Geschichte
vom Abbe Vincent kannte, bestand darauf, daß in
der Todesanzeige besonders vermerkt würde: mit
dem heiligen Sakrament versehen ...

Nicht wahr, meine Herren ... wenn man aber-
gläubisch wäre..."

Es trat Stillschweigen ein. Dann ries der dicke
Oberst Pouraille halb lachend, halb ärgerlich:

„Am liebsten möchte ich Sie für diese Gespenster-
geschichte drei Tage einsperren! Soll ich Ihnen
meine Ansicht darüber sagen? Der Abbö Vincent
hat sich einen Ulk machen wollen .. . wenn wir nicht
annehmen, daß d'Jramond einen kleinen Schwips
weggehabt hat. Basta! . . . Und nun, meine Herren,
in den Salon zum Cafö! Aber den Rest des Abends
bitte ich um Gotteswillen nur noch von Weibern
und Pferden zu sprechen — sonst träume ich des
Nachts schlecht!"

Die Kindesmörderin

CB frage ein fiefgriines Kleid —

So grün, wie der Weiher im Walde —
0 komm und sieh, wie ich mein Kleid
[Tlit beiden Bänden halte!

Die Brüste, die Du wachgeküfjf,

Sind kühl wie Wasserrosen —

Du Drost, den meine Sehnsucht grüfjf,

Du kannst mich nicht verstehen.

Da sing ich Dir das alte Ltied,

Das leise wir Mädchen schon sangen,

Wenn uns aus stillbewegtem Ried
Die Weihermärchen klangen:

„Waldfräulein wiegt in kühler Fluth
Das Ilixenkind, das feine“

Dann lachst Du nicht; Du bist mir gut
Und siehst ja, dah ich weine.

So schwer ist mein tiefgrünes Kleid,

Sch kann es allein nicht mehr tragen;
ßilf Du mir doch von meinem Leid,
von meinen bangen Klagen.

DaH mir die üage wieder licht,

Die nächte wonnig rauschen,

Dah ich auf meinem hager nicht
Muh angstvoll knien und lauschen.

3n jeder Dacht zerfliegt mein Kleid,

Zu schauernden, tiefgrünen Wellen,

Die mich im mondlicht nah und weit
Umzitfern und umschwellen,

Und eine kleine, weihe Band

Caucht auf, mir still zu winken-

Wo Du auch gehst im fremden hand,

Bilf, Iah mich nicht versinken!

Franz bangheinrich

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Index
Fritz Hegenbarth: Medaillon
Richard O'Monroy: Eine mystische Geschichte
Franz Langheinrich: Die Kindsmörderin
 
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