Nr. 29
. JUGEND .
1902
Lago di Garda
Lago di Garda I In mein Herz gegessen
Hat frühe Sehnsucht dieses goldene Wort;
Oft, wenn die Welt im Wintergrau zerflossen,
Sucht' ich des Frühlings ferne Heimat dort.
Nun bin ich längst auf steilen Lebenssprossen
Den Tagen fern und suche immerfort
Des Frühlings Heimat, deren Blüthenschnee
Ein friihcr Traum verhieß am Gardasee.
Ich sah ihn nun, den See, ein blauer Fächer,
Von Silberspitzen w> ndcrbar umsäumt,
Die Berge weiß, die sonnenvollen Dächer,
Cypressen, ernst und wehmuthsschwer verträumt.
Die Ora sang, und in dem goldenen Becher
Hat heißer Asti nächtelang geschäumt,
Und eine Stimme hört' ich nächtelang,
Die in der Ferne ans den Wassern sang.
Wie ich voll Inbrunst jener Stimme lauschte,
Bis sie beim Morgenblitz der Sonne schwand. .
Die Palme war es, die im Garten rauschte,
Ein Wogenlied am mächtigen Gardastrand —
O wer mit mir und meiner Seele tauschte!
Am Kern der Sehnsucht hängt sic, wie gebannt,
Sie lauscht den längst verlorenen Schwestertönen
Und will sich nicht mit dieser Welt versöhnen.
Sommerfrisck'n
Plauderei von Mtsn Treihemt von Perfall
Seins Jahr einmal erwacht in dem Kulturmenschen der
. sehnsüchtige Drang nach dem verlorenen Paradies, die un-
abweisbare Einsicht in die Unnatur seiner Existenz, diesem Mix-
tum compositum von verbrauchter Lust, qualvoller Enge, ver-
dorbenen Nerven, vergewaltigten Sinnen, erschlafften Muskeln
und Verstaubten Herzen.
Ein freudiger Exodus beginnt, ein Jubel bei Alt und
Jung, der recht deutlich zeigt, wie schivcr man an den Fesseln
getragen. Ja, im Befreiungstanmel versucht man sogar mehr
abzustreifen als nöthig ist, und über den Verhärtetsten, Con-
vcntionellsten kommen Gefühle, über die er selbst erschrickt.
Diesem Ueberschwang, und gewisserinassen exaltirten Zu-
stand gegenüber, ist der Landbewohner, dem der allgemeine
Ansturm gilt, in einer schwierigen Lage. Er kann ihm nicht
gut gerecht werden, und wenn er es werden lvill, muß er zur
Verstellung greifen.
Es ist immer wieder daS traurige Bild einer unerwieder-
tcn Liebe, das sich da bietet. Sic passen nun einmal nicht zu-
sammen der Städter und der Bauer.
Der Städter, der Mann der komplizirtcit Linien, will an
den einfachen, klaren, geraden des Bauern Blick und Herz und
Nerven erholen, während er sich zugleich, nach Art aller Vieh
faltigen dem Einfachen gegenüber, über ihn hoch erhaben fühlt.
Der Bauer mißtraut allem Komplizirten, er fürchtet es,
an die einfache Größe der Natur gewöhnt, er verachtet es, im
unbewußt aristokratischen, dem typisch Ausgeprägten zugewen-
detcn Sinn.-
DaS Dorf ist überfüllt. Lehrer und Bürgermeister haben
schwere Roth, die Nachzügler unterzubringen, während dic
Passanten sich längst mit Massenquartieren, Heuböden und
Sommerhäuseln begnügen müssen.
Selbst der Althofer oben auf der Höhe, der nur ungern
sich von seinen Weiberleuten bestimmen ließ „Herrische" aufzu-
nehmen, ist bis unter das Dach besetzt. Mit einem General
war's angegangen. — Der Sixt'l kommt im Oktober zum Mili-
tär, da kann man's mit einem solchen Herrn doch nicht verderben,
— die Frau Excellenz, zivei Töchter, der Sohn, der Leutnant,
Stubenmädel und Bediente; schon das ganze Haus voll, sogar
die große Stuben, in der die Althofer hausten seit über zwei-
hundert Jahren, hat er haben müssen.
„Hast ’n General g'nomma, kannst ’it Herrn
Direktor mit seiner Frau und sein' Buab'n a no
an „Schlupf" geb'n," meinte der Bürgermeister,
„jetzt is scho ein Ding."