Nr. 30
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j3END .
„Was willst Du," sagte er, „das Publikum muß
Abwechslung haben."
„Wer war es?" fragte ich einfach.
„The Osmond Troup“, erwiderte August er-
räthend.
„Wieviel?" fragte ich gepreßten Tons.
„Sieben!" erwiderte August.
„Sieben!" wiederholte ich, freudig bewegt.
„Laß' das," antwortete er still. „Ich will Dir
nicht verhehlen, daß mich schon während der Vor-
stellung unangenehme Ahnungen beunruhigten. Die
Osmonds sind Leute von einer unglaublichen Be-
weglichkeit, von sehr viel Witz und riesig musikalisch.
Viel Neues haben sie nicht gebracht, aber es war
Alles viel virtuoser, als ich es je gesehen. Im all
gemeinen sind's ja die bekannten Stockerln: sie tre-
ten mit einem Höllenlärm aus, schlagen Purzelbäume,
hauen einander Baßgeigen um den Schädel, reißen
Tischen die Füße ans und blasen den Tannhäuser-
marsch daraus, setzen sich auf Sammtsauteuils und
es wird ,Hab' ich nur deine Liebe' daraus, und so
weiter. Als ich jetzt die Kerle durcheinander sprin-
gen und ihre Tollheiten treiben sah, entwickelte sich
in mir sozusagen a vcmto eine Eifersucht; (ich halte
mich sklavisch an die Ansdrucksweise meines Freun-
des , die nicht immer seinen Berus vergessen ließ);
denn nach meinen bisherigen Erfahrungen mit
Kitth könnt' ich nicht daran zweifeln, daß inir die
heutige Nacht wieder etwas Peinliches bringen würde.
Aber plötzlich kam mir ein Gedanke, der mir Trost,
Friede, ja eine Art von Genugthuung brachte. Es
waren nämlich lauter wohlgewachsene Leute, keine
Zwerge, keine Riesen, es waren sozusagen Männer
ivie Du und ich." Ich verbeugte mich dankend.
„In diesem Falle war ich jeder Rücksicht enthoben.
Ich konnte jeden von den sieben Kerlen todtschlagen,
ohne mich lächerlich zu machen. — Um Mitternacht
war die Vorstellung aus. Von zwölf bis eins ging
ich spazieren: während dieser Stunde erwachte eine
neue Hoffnung in mir, daß diesmal ihre Thür ver-
sperrt sein würde. Es >var eine, trügerische Hoff-
nung; sie war nur angelehnt, hinter ihr horte ich
plaudern, lachen; ich trat ein, und wie Du richtig
vermuthest: eS war einer von den sieben."
„Wahrscheinlich der Kapellmeister," sagte ich,
eigentlich ziemlich gedankenlos.
„Wie soll ich das wissen," entgegnete August.
„Bei llkonacher waren doch die Leute alte geschminkt
und in Kostümen, was ich von dem Menschen, den
ich bei der Elenden traf, nicht behaupten kann. Es
war, wie ich erwartet, ein hübscher junger Mann,
ivie ich." — Von mir sprach er nicht mehr. —
„Kitth, die Unbegreifliche, schaute mich au und sagte
mit einem liebenswürdigen Lächeln: ,Si je necompte
pas mal, c’est la troisiöme fois.‘—,Et la derniere,
je t’assure,' sagte ich in einem Ton, den sie gewiß
noch nie von einem Menschen gehört. Dann wandte
ich mich zu dem Osmond, der gcmüthlich seine
Cigarette weiter rauchte, und — na, sagen wir:
sitzen geblieben war, packte ihn beim Arm und sagte:
,Sie sind ein Lump, mein Herr, und ich werde Sie
züchtigen. Nicht vielleicht, weil ich auf Weiber dieser
Sorte eifersüchtig bin, sondern, weil es mich aga-
cirt — ein gutes Wort in diesem Moment, wie? —
Sie hier zu finden.' Dabei erhob ich meine Hand,
um ihn ins Gesicht zu schlagen. In diesem Augen-
blick aber sah ich schon nichts mehr: es wurde mir im
wahrsten Sinn des Wortes schwarz vor den Augen,
denn das Osmondsiebentel hatte mir mit einem kräft-
igen Faustschlag den Chlinder eingetrieben, und ich
vernahm nur dieselben Worte, wie ich sic eine Stunde
vorher auf der Bühne gehört, als er einem von den
sechs Andern eine Hacke in den Kopf geschlagen
hatte, deutsche Worte in englischem Accent: ,Oh,
mein guter Freund, Du bist mir zu lustig!" Als
es mir endlich gelang, meinen Chlinder wieder in
die Höhe zu bringen, wälzte sich Kitth, das süße
Weib, in einem wahren Lachkrampf auf dem Boden,
und der Clown saß, als wäre nichts geschehen, mit
übereinander geschlagenen Beinen auf der Lehne
des Divans und rauchte die Cigarette weiter. Ich
aber sühltc: jetzt ist es zu Ende! Nichts mehr war
in mir, keine Liebe, keine Eifersucht, kein Gram, kein
Stolz, kein Haß — ich sagte: .Gute Nacht, Kitth,'
kümmerte mich nicht um den Andern, verließ das
tZercbtesgadener £and
Erich Kuithan (Schliersee)
Nr. 30
j3END .
„Was willst Du," sagte er, „das Publikum muß
Abwechslung haben."
„Wer war es?" fragte ich einfach.
„The Osmond Troup“, erwiderte August er-
räthend.
„Wieviel?" fragte ich gepreßten Tons.
„Sieben!" erwiderte August.
„Sieben!" wiederholte ich, freudig bewegt.
„Laß' das," antwortete er still. „Ich will Dir
nicht verhehlen, daß mich schon während der Vor-
stellung unangenehme Ahnungen beunruhigten. Die
Osmonds sind Leute von einer unglaublichen Be-
weglichkeit, von sehr viel Witz und riesig musikalisch.
Viel Neues haben sie nicht gebracht, aber es war
Alles viel virtuoser, als ich es je gesehen. Im all
gemeinen sind's ja die bekannten Stockerln: sie tre-
ten mit einem Höllenlärm aus, schlagen Purzelbäume,
hauen einander Baßgeigen um den Schädel, reißen
Tischen die Füße ans und blasen den Tannhäuser-
marsch daraus, setzen sich auf Sammtsauteuils und
es wird ,Hab' ich nur deine Liebe' daraus, und so
weiter. Als ich jetzt die Kerle durcheinander sprin-
gen und ihre Tollheiten treiben sah, entwickelte sich
in mir sozusagen a vcmto eine Eifersucht; (ich halte
mich sklavisch an die Ansdrucksweise meines Freun-
des , die nicht immer seinen Berus vergessen ließ);
denn nach meinen bisherigen Erfahrungen mit
Kitth könnt' ich nicht daran zweifeln, daß inir die
heutige Nacht wieder etwas Peinliches bringen würde.
Aber plötzlich kam mir ein Gedanke, der mir Trost,
Friede, ja eine Art von Genugthuung brachte. Es
waren nämlich lauter wohlgewachsene Leute, keine
Zwerge, keine Riesen, es waren sozusagen Männer
ivie Du und ich." Ich verbeugte mich dankend.
„In diesem Falle war ich jeder Rücksicht enthoben.
Ich konnte jeden von den sieben Kerlen todtschlagen,
ohne mich lächerlich zu machen. — Um Mitternacht
war die Vorstellung aus. Von zwölf bis eins ging
ich spazieren: während dieser Stunde erwachte eine
neue Hoffnung in mir, daß diesmal ihre Thür ver-
sperrt sein würde. Es >var eine, trügerische Hoff-
nung; sie war nur angelehnt, hinter ihr horte ich
plaudern, lachen; ich trat ein, und wie Du richtig
vermuthest: eS war einer von den sieben."
„Wahrscheinlich der Kapellmeister," sagte ich,
eigentlich ziemlich gedankenlos.
„Wie soll ich das wissen," entgegnete August.
„Bei llkonacher waren doch die Leute alte geschminkt
und in Kostümen, was ich von dem Menschen, den
ich bei der Elenden traf, nicht behaupten kann. Es
war, wie ich erwartet, ein hübscher junger Mann,
ivie ich." — Von mir sprach er nicht mehr. —
„Kitth, die Unbegreifliche, schaute mich au und sagte
mit einem liebenswürdigen Lächeln: ,Si je necompte
pas mal, c’est la troisiöme fois.‘—,Et la derniere,
je t’assure,' sagte ich in einem Ton, den sie gewiß
noch nie von einem Menschen gehört. Dann wandte
ich mich zu dem Osmond, der gcmüthlich seine
Cigarette weiter rauchte, und — na, sagen wir:
sitzen geblieben war, packte ihn beim Arm und sagte:
,Sie sind ein Lump, mein Herr, und ich werde Sie
züchtigen. Nicht vielleicht, weil ich auf Weiber dieser
Sorte eifersüchtig bin, sondern, weil es mich aga-
cirt — ein gutes Wort in diesem Moment, wie? —
Sie hier zu finden.' Dabei erhob ich meine Hand,
um ihn ins Gesicht zu schlagen. In diesem Augen-
blick aber sah ich schon nichts mehr: es wurde mir im
wahrsten Sinn des Wortes schwarz vor den Augen,
denn das Osmondsiebentel hatte mir mit einem kräft-
igen Faustschlag den Chlinder eingetrieben, und ich
vernahm nur dieselben Worte, wie ich sic eine Stunde
vorher auf der Bühne gehört, als er einem von den
sechs Andern eine Hacke in den Kopf geschlagen
hatte, deutsche Worte in englischem Accent: ,Oh,
mein guter Freund, Du bist mir zu lustig!" Als
es mir endlich gelang, meinen Chlinder wieder in
die Höhe zu bringen, wälzte sich Kitth, das süße
Weib, in einem wahren Lachkrampf auf dem Boden,
und der Clown saß, als wäre nichts geschehen, mit
übereinander geschlagenen Beinen auf der Lehne
des Divans und rauchte die Cigarette weiter. Ich
aber sühltc: jetzt ist es zu Ende! Nichts mehr war
in mir, keine Liebe, keine Eifersucht, kein Gram, kein
Stolz, kein Haß — ich sagte: .Gute Nacht, Kitth,'
kümmerte mich nicht um den Andern, verließ das
tZercbtesgadener £and
Erich Kuithan (Schliersee)