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1902

JUGEND

Nr. 30

Weltchronik der „Jugend"

Die Hitze wächst nun für und für.

Zu platzen droht das Nöaumur,

Doch den Chronisten hindert nicht
Die Sonnengluth an seiner Pflicht.

Lo hat er rvo zum Wochenschlufle
Erlesen, daß, obwohl Borusse,

Auf die Studententzneiperei
Der Kaiser schlecht;u sprechen sei.
Besonders aber auf den Zwang
Zm sogenannten Biercommang!

Der deutsche Kronprinz, heißt es weiter,
Der als Student so flott und heiter.

Der sprach, als jüngst in seinem Lorps
Ätz „spinnen" hieß der Zuchsma>or,
duit edler Würde im Gesicht:

«Ais HohenzoUer spinn' ich nicht!

Wir rufen ein „Bravissimo"

--em hohen Bruder Studio! —
von Mosel. Nahe. Saar und Nhein
Kommt gute Nachricht jetzt vom We,n:
Die Neben blühn mit süßem Duft,
Belebend wirkt die heiße Luft —

Und ist kein Unglück mehr im Spiel,
bo heißt die Losung: gut und viel! —
Die schwarze Schaar in Bayerns Kamm«
Zst blind und taub vor Wuth und Zämme
Weil sie so schnöd gekommen sind
Um Landmann — ach! — ihr Lieblmgsku.
3ie lamcntiren nun und brummen
Und streichen vom Etat die Summen
zur Bilderkäufe weg voll Trotz:

3o hieb der Bär aus jenen Klotz,

Der ihm den Weg zum süßen Honig
versperrt, nach jener alten Lhronik.

Der Bär war dumm: der Klotz kam rmev
Und schlug den blöden Bären nieder!

Shr pfäfflein: Grad so dumm von Luch
War dieser: Luer jüngster Streich,

Denn Den, den Zhr zu treffen meint,!

Den macht Zhr selber Luch zum Zeind
Und lehrt ihn kennen, was Zhr seid,
Zum Schaden Lurer Herrlichkeit! —

Zu München auf dem Standesamte
schrieb sich der preußische Beamte
5?.r.r 5ehse, als Verlobter ein
oiüt Doktor Sigl's Töchterlein.

~er sigl, wie die Sage geht,

Bat sich jm Grabe umgedrehtl —

Kölner Bischof. Doktor Zisch er
mit erfinderischer

^ophistik von den frommen Sachen,
ausgestellt zur Zeit ln Aachen.

~ führte aus: Ls ist von diesen
Echtheit freilich nicht erwiesen.

Zedoch auch ihre Zatsch heit ist
nicht zu dieser Zrist'.

Und s>nd sie falsch: wer will uns wchrer
ogrum dennoch zu verehren?

Slt d>e Verehrung nicht an sich
«.rvau-, ersprieß- und wesentlich?

D>e gute Meinung wird bezweckt
und ziemlich Wurscht ist das Gbjekt! —
~l!) Lommentar zu diesen Thesen
War sehr verlockend ja gewesen
3^osch vergebt, wenn bei der Hitze,

Zch, der Chronist, nicht gerne sitze!

Die Wahrheit sagen, glatt und ehrlich.
Das ist bei uns noch zu gefährlich —

Auch was die Wahrheit anbetrifft,

Die überseht aus fremder Schrift.

chätt's in Leipzig bald gespukt,

Weit die Verleger abgedruckt
Des Grafen Tolstoi: „Sinn des Lebens".
Doch war der Staatsanwalt vergebens,
Denn weise sprach das Landgericht:
^Herrchesesl So was straft man nicht!"
Was sich die Tschechen jetzt erfrechen.
Weil sich gewisse Schwächen rächen.

Wird unverschämter jeden Tag:

Das Polizeiblatt selbst in Prag
Hat ein Pasquill gebracht jetztund,

Das geradezu als Schweinehund

»

Paul Rieth

JSöQcrc TöAterschule

— „Wie nennt man eine Ehe, Fräulein
Else, in der der Mann nur eine Frau
hat?"

— „Eine monotone Ehe."

Den anonymen Autor stempelt
Und roh an unfern Kaiser rempelt!
Natürlich ist's blos aus verseh'n,

Natürlich nicht exprös gescheh'n,

Daß jener „Steckbrief", erzinfam.

Zn's Prager Polizeiblatt kam!

Der Pamphletist bleibt ungezaust
Und lacht sich dreckig in die Zaust! —

San Marco's alter Glockenthurm,
Der lang getrotzt der Zeiten Sturm,

Der Lrde Beben und den Zlammen,

Lr stürzte krachend jetzt zusammen.
Venedig trauert nicht allein —

Die halbe Menschheit stimmt mit ein!
viel Tausenden war Ser Gigant
Befreundet fast, nicht nur bekannt,

Und manches Hochzeitsreisepaar,

Das in der Stadt der Dogen war,

Hat sich geküßt auf feinen engen
Und schattendunklen Wandelgängen,
voll Seligkeit, obwohl's jedoch
Dort keineswegs nach Veilchen roch! —
Das hehre Stadtbild von Venedig
Zst seiner schönsten Zier nun ledig;

Zedoch auf's Neue hoffentlich
Aus feinem Schutt erhebt er sich,

Der stolze Thurm der Piazzetta
Sammt Tatti's köstlicher Loggetta! —

Der König von den Engelländern
Muß seinen Aufenthalt verändern
Und ward dazu auf seine Pacht
Nach Portsmouth sorgsam hingebracht!

So liegt — der Witz ist zwar ein krasser! —
Auch Englands Zukunft auf Sem Wasser! —

Minister Zofeph Lhamberlain
Sprach voll Bescheidenheit: „Zch lehn'

Die hohe Würde eines pairs
von England ab!" — Zch meine: Wär's
'ne angenehme Dotation
von mindestens 'ner Million,

Die man ihm böte an als Lohn,

Die nähm' der wackre Zoe dann schon! —

pariser Lhauvinisten kollern

vor Zorn, weil auf der „Hohenzollern"

Herr Waldeck-Nousseau — ei verflucht! —

Den Kaiser Wilhelm aufgesucht

Und der „Zntransigeant" speit Zeuer —

5um dritten Male that dies Heuer
uch wiederum der lVlont Ueles,

Der schon gebracht so vieles Weh —

Zn unserer alten Lrde Schooß
Zst sicher eine Schraube los! —

Aus China schreibt man: Die Chinesen
Sind selten so fidel gewesen,

Wie jetzo, da aus Tientsin
Der Europäer Truppen zieh'n.

Wo ist denn nun der große Sieg?

Wozu denn nun der ganze Krieg?

Wozu die Dpfer all' an Blut,

An Muth und Gluth und Wuth und Gut?
Wozu die Neden und Medaillen?

Ls triumphiren die Canaillen,

Die unfern Ketteler erschossen —

Und China bleibt uns unerschlossenl
Lin Souvenir nur stumm — beredt,
verblieb, das alte Lrzgeräth,

Das prangt vor der Drangerie
Des Königsschlosses Sanssouci!

Herodot

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Index
Paul Rieth: Höhere Töchterschule
Herodot [Pseudonym]: Weltchronik der "Jugend"
 
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