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1902

Nr. 31

. JUGEND -

Robert Engels (München)

Wie zwei Winden engverschlnngen,
Ist das junge Menschenpaar

Gestern ans mein Joch gesprungen,
Flatternd Herz und flatternd Haar.

Aber müde von dem Wandern —
-Oester ging der Athem ans —

Einzeln, Eines hinterm Ander»,
Humpeln heute sie nach Haus.

E. St.

}m Kahn

Es trieb das Boot an unsre Lieblingsstellen
ttleisse Rosen liegen auf dem Teiche
Und das Marmorbild, das bliithenbleiche,
Lauscht verzückt dem Liebeslied der wellen.

Zn den Lüften tönt die 5ehnsuchtsweise:
Opfersang aus fernen Rriesterhainen.

Und die Dämmerung mit leisem weinen
windet um uns ihre Lauberkreise...

Harl Cttlinger

Uli der Straßenecke

Was ist Dir, Bübchen, denn gescheh'n?
Warum denn gar so weinen?

Den Krug zerbrochen! Und das Bier
Fließt auf den Straßensteinen!

Nun, sei nur still! Gib mir die Hand!
Komm driibcn in den Laden!

Da gibt es einen neuen Krug;

Da heilen wir den Schaden.

Nimm! Dafür hol' auf's neue Bier!
Geh achtsam Deiner Wege!

Und wenn Du nun nach Hanse kommst,
So kriegst Du keine Schläge.

Wer weiß gewiß, daß er nicht fällt
Gleich diesem armen Kinde?

Wer wünschte dann sich Gottes Hand
Nicht freundlich und gelinde?

Als mir am Elend dieser Welt
Zerbrach das Herz im Leibe,

Du drehtest mir ein neues, Herr,

Auf Deiner Töpferscheibe.

Das alte bebt' und klirrte stets
Im Unglück lute im Glücke;

Das neue fühl' ich fest und stark,

Das geht mir nicht in Stücke.

Hlbert Gßatthäi

Die Opfer

Sjer junge, elegante Offizier hatte die Franen-
abtheilung der Poliklinik, in der seine 24jähr-
ige Frau nun schon seit drei Wochen lag, soeben
verlassen. Auf dem Tischchen neben dem Bette der
Nekonvaleszentin stand in einem Glase .ein großer
Strauß blauer Syringen, eine jener Aufmerksam-
keiten, die der Offizier bei seinen täglichen Besuchen
seiner jungen Gattin nie vergaß.

Frau Marie sah noch sehr angegriffen und er-
müdet aus und das blasse, zarte Gesicht war um
die Augen leicht geröthet. Bon Zeit zu Zeit strich
sie eine Thrüne aus einem der Augenwinkel-

So traf sie die barmherzige Schwester, die mit
einer Tasse, auf der der Nachmittagskaffee mit etwas
Butter und dünnem Zwieback stand, eintrat. Die
Thränen der jungen Frau zu übersehen, war un-
möglich, zudem sich mit dem Erscheinen der Schwester
das Weinen steigerte.

„Ja, was ist Ihnen denn? Sie haben doch keine
Schmerzen?"

Frau Marie schüttelte den Kopf.

„Nun," fuhr die Schwester freundlich fort, indem
sie sich etwas über das Bett neigte, „so sagen Sie,
liebe, gnädige Frau, tvas Ihnen fehlt. Sie sollen
nicht weinen, es geht ja nun schon viel besser und
bald können wir aufstehen. Nicht wahr? Oder hat
Sie der Besuch Ihres Herrn Gemahls etivas auf-
geregt? Nun, wenn man in. der Genesung liegt,
kommt's leicht zu Thräneu."

„Oh, Schwester Juliana," sagte die Kranke leise,
„ich habe so entsetzlich Heimweh und Kummer. Und
nun danerts hier schon so lange, bis ich gut bin."

Nach einer Pause: „Ganz gut werde ich nie
mehr, hat der Herr Professor gesagt, wohl so weit
gesund, daß ich wieder umhergehn und alles thun
kann, aber" — mit einem erneuten Thränenausbruch
— „ein Kleines kann ich nie mehr bekommen,
Sie wissen ja, daß so eine schwere Operation noth-
wendig war, als ich das Kindchen bekommen sollte."

Bei der Erinnerung an den Ausspruch des Pro-
fessors, der mit aller Schonung und Zartheit des
Vielerfahrenen der jungen Frau diese Eröffnung
hatte machen müssen, begann diese nun heftiger zu
weinen und zu schluchzen. Sie barg ihr Gesicht in
die Kissen und bebte krampfhaft in ihrer Erregung.

Die Krankenschwester beugte sich mitleidig über
die Weinende und sagte sanft:

„Trösten Sie sich, liebe, gnädige Frau, es ist wohl
eine Schickung des lieben Gottes. Wie viele andere
Frauen sind vor Ihnen hier in diesem Zimmer ge-
legen und haben mir dasselbe Leid geklagt. Und
nach Ihnen werden andere kommen, unablässig eine
nach der andern. Denn das Unglück stirbt nie aus.
Aber trösten Sie sich; versuchen Sie Ihr Unglück

dem lieben Gott anheim zu geben. Opfern Sie
Ihren Schmerz dem Heiland ans; wer weiß, ob es
nicht zu Ihrem Segen ist. Wenn Ihnen der Himmel
auch keine Kinder mehr schicken wird, so werden Sie
doch wieder ganz gesund und können glücklich in
Ihrem Heim an der Seite Ihres Gatten lebe».
Denken Sie an den großen Dulder Job, den die
Hand Gottes schiver schlug, daß er seine Lieben und
all seine Habe über Nacht verlor. Er aber murrte
nicht, sondern überließ alles dem Herrn: ,Der Herr
hals gegeben, der Herr hats genommen, der Name
des Herrn sei gepriesen.' Machen Sie es auch so."

Die tröstenden Worte verfehlten nicht ihre Wirk-
ung. Der heftige Schmerzausbruch der jungen Frau
ließ nach. Dankbar ergriff sie die Hand der Schwester
und drückte sie.

„Ich will Sie jetzt allein lassen, vielleicht können
Sie ein wenig schlafen. Soll ich vielleicht das Fenster
öffnen? Es ist so schön draußen, ein rechter Früh-
lingstag mit warmer, weicher Lust, die Ihnen gewiß
recht wohlthut." >

Als die Kranke zustimmend nickte, öffnete Schwe-
ster Juliane einen Fensterflügel neben dem Bett und
ging dann hinaus mit dem stillen scheuen Schritt
der Krankenpflegerin, lveiter ihrer Arbeit nach.
Harrten doch noch mehrere arme Frauen ihrer
Hilfeleistung, auf freundlichen Zuspruch und Trost.

Frau Marie war allein. Durchs offene Fenster
drang die warme Frühlingsluft in sattem Hauch
ins Krankenzimmer. Aus der feuchten Erde stieg
ein feiner, süßer Duft auf, der Athem des keimenden
Bodens. Amseln riefen sich zu, jagten einander im
Gestrüpp des Gartens und flogen auf die Giebel
der umstehenden Pavillons, wo sie mit der ganzen
Inbrunst ihrer Stimmen sangen. Ein paar Birken-
äste mit jungen knospenden Zweigen rauschten von
einem leichten Windhauch bewegt an die Fenster-
balken, bogen sich leise zurück und zitterten in der
Abendlust. Dazwischen scholl lautes Lachen und
Jauchzen der Kinder, die draußen auf der Straße
spielten und sangen.

Sie gedachte mit Wehmuth des kleinen Geschöpfes,
auf das sie sich all die Monate her gefreut hatte.
Nun war es tobt. Ein ganzes Leben, für das sie
schon gebangt und gelitten hatte, war damit ver-
loren gegangen. Das Leben ihres Kindes, an das
sie Pläne der süßesten Mutterliebe, des herrlichsten
Mutterstolzes geknüpft, Hoffnungen, die kühn und
schon gewesen waren. — Ja, an ihr Alter selbst hatte
die noch so junge Frau gedacht, mit einer stillen,
heiteren Freude sich ausgemalt, wie dann Jemand
um sie wäre, der ihr ein wenig beistehen und sie
stützen könne, wenn sie einmal müde geworden. —
Nun war sie einsam mit ihrem Manne wie bisher,
und das Dritte, das lachend zwischen ihnen gewesen
wäre, lag nun tobt in seinem kleinen Sarge. Es
überkam sie ein Bangen, ihr Mann, der wohl sicher
gehofft hatte, daß sie Mutter würde, könnte darunter

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Index
Robert Engels: Illustration zum Epigramm "Brücken-Inschrift"
Albert Matthäi: An der Straßenecke
Karl Ettlinger: Im Kahn
Hans v. Hoffensthal: Die Opfer
E. St. [1]: Brücken-Inschrift
 
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