Aus dem lithographischen Plakate: „Skulpturenschatz“
Otto Grciner (Rnm)
Der Vormarsch zum Gefecht begann, und der
neue General nahm sein altes Regiment an die
Tüte, um den Leuten dadurch eine Auszeichnung
zu Theil werden zu lassen, denn im Kampfe an
der Spitze zu senr, ist ja für den Soldaten die
höchste Ehre. Wenigstens im Ernstfälle. Im
Manöver aber ist es etwas Anderes, da bummelt
man lieber im Gros mtb überläßt es gern an-
deren , den Feind aufzusuchen. Aber das Regi-
ment von Dingsda war nun einmal an der Töte,
und schließlich erwachte in den Leuten ein gewisser
Ehrgeiz, sie wollten ihre Sache gut machen, sie
wollten sich nicht blamiren.
Das wollte der neue General auch nicht, aber
trotzdem blamirte er sich fortwährend. Anstatt
an einem geeignete» Platz, an der Spitze des Gros
zu reiten und ruhig ans Meldungen über den
Feind zu warten, ritt erbeständig bei seinem alten
Regiment herum und spielte General. Obwohl
er jeden Offizier und Unteroffizier persbitlich kannte,
lhat er, als wenn er ans einer wildfremden Gar-
nison hierher versetzt worden wäre: „Miserable
Gewehrhaljung! — Welche Kompagnie? — Fünfte?
Wie heißt der Hauptmann? — Hauptmann von
Reder? Ach bitte, Herr Hanptmann, sehen Sie
sich, bitte, einmal diese Gewehrhaltung an- So
etivas wünsche ich in der Brigade rticht miederzu-
sehcn. — Warum geht der Unteroffizier da nicht
auf Vordermann? Wie heißt er? — Hansen?
Ich werde dafür sorgen, daß fortan in der Bri-
gade nur mit solchen Unteroffizieren kapitnlirt
wird, die in jeder Hinsicht ihre Schuldigkeit thnn."
So ging das weiter. Am Schlimmsten aber
wurde es, als das Gefecht begann. Anstatt von
einem Feldherrnhügel ans die Sache zu leiten,
raste der General bald hierhin, bald dorthin, und
wenn er gesucht wurde, befand er sich immer bei
seinem alten Regiment.
„Es war halt nix," wie Lenau sagt. Das
ivar der kurze Inhalt einer langen Kritik, die Seine
Excellenz nach Beendigung des Gefechtes vom
Stapel ließ. Erst kam ein mächtiger Anpfiff,
hinterher etwas Zucker: allerdings müsse man ja
in Erwägung ziehen, daß der Herr General erst
vor vierundzwanzig Stunden den Befehl über die
Brigade übernommen habe; die llebung, die den
Meister mache, fehle ja noch, es würde ja schon
noch werden — aber schön konnte die Kritik trotz
allen Zuckers nicht werden.
Endlich ritt Seine Excellenz fort >md der Herr
General blieb mit den Offizieren seiner Brigade
allein zurück. Er sah es ein, er hatte sich blamirt,
und wenn er es noch nicht gewußt hätte, so wäre
es ihm klar geworden durch das infame ironische
Lächeln seines ehemaligen Stabsoffiziers, der ihn
während der ganzen Kritik durch sein Monocle
mit einem Gesicht ansah, das da deutlich sagte:
„Rur immer so weiter, dann ist es mit Deiner
Generalsherrlichkeit bald zu Ende."
Zuerst wurde der Herr General allen Offizieren
grob, daß sic ihn nicht genügend unterstützt hätten
— über das Warum, Wieso und Inwiefern ließ
er sich nicht weiter ans.
Dann schickte er die Leutnants fort und wurde
den Herren Hauptleuten und den Herren Stabs-
offizieren ans demselben Grunde grob.
Dann schickte er die Herren Hauptleute fori
und wurde den Herren Bataillonskommandeureir
und den Herren Regimentskommandeuren ans dem-
selben Grunde grob.
Dann schickte er die Herren Bataillonskomman-
denre fort und ivnrdc den beiden ihm unterstellten
Regimentskommandeuren aus demselben Grunde
grob, oder besser gesagt: er wollte ihnen grob
werden. Aber als sein ehemaliger Oberstleutnant
ilpt so frech ansah, da schwand sein Mnth dahin,
die Zunge klebte ihm am Gaumen, er konnte nicht
sprechen. — Es entstand eine lange Panse-
„Herr General, ich glaube, Sie wollteit uns
etwas sagen", nahm jetzt der frühere Oberstleutnant
das Wort, obgleich er der jüngere der beiden Re-
gimentskommandeure war.
Das war mehr als Kühnheit, das war In-
subordination, und der neue General ivar vor Ent-
setzen zuerst sprachlos, dann aber brauste er auf:
„Herr Oberst, was erdreisten Sie sich-ich
habe mir früher manches von Ihnen gefallen lassen,
jetzt aber bin ich Generali"
Aber wenn der Herr General geglaubt hatte,
daß diese Worte ans seinen chemaligcit Rathgeber
auch nur den leisesten Eindruck machen würden,
so irrte er sich sehr. Mit unnachahmlicher Ruhe
und Gelassenheit legte der Herr Oberst seine Hand
an den Helm und sagte freundlich zustimmend:
„Zu Befehl, Herr General, jetzt sind Sie General."
„Jawohl, jetzt bin ich General, und als solcher
muß ich Ihnen sagen: ich verlange Respekt und
Gehorsam von Ihnen, und Sic haben zu schweigen,
bis ich Sie frage. Aber noch eins muß ich Ihnen
sagen, Herr Oberst von Bedarf, Sie sind ja aller-
dings erst seit vierundzwanzig Stunden Oberst,
die llebung, die den Meister macht, fehlt ja noch,
mtd mit der Zeit wird es wohl schon noch werden,
aber dennoch, Herr Oberst — —-eine der-
artige Schweinerei, so etwas von einer Regiments-
führnng wie heute Morgen habe ich noch nie ge-
sehen, habe ich überhaupt nie für möglich gehalten.
Als ich noch Oberst war"---
„Also gestern", erlaubte sich Herr Oberst von
Bedarf gehorsamst zu bemerken.
„Als ich noch Oberst war", fithr der General
erregt fort, ohne auf den Einwurf einzugehen,
„da habe ich geglaubt, wenn Sic einmal ein Re-
giment bekämen, würden Sie mit demselben Ehre
einlegen und es ausgezeichnet führen. Aber was
ich heute sah, war miserabel — hundsmiserabel."
Der Herr General schwieg und man sah ihm
deutlich den Zorn und die Erregung an, in der
er sich künstlich hineingeredet hatte. Den Oberst
von Bedarf aber verließ auch jetzt nicht seine ruhige
Ueberlegenheit, der er es verdankte, daß er bei den
höchsten Vorgesetzten glänzend angeschrieben war.
Er konnte sich schon erlauben, sich gegen einen
ungerechten Borwurf zu verthcidigen, er wußte, das
würde ihm das Genick nicht brechen, itnd so sagte
er denn: „Herr General, ich stimme Ihnen voll-
ständig bei, aber mich trifft keine Schuld, denn ich
habe das Regiment heute Morgen garnicht geführt."
Ueberrascht blickte der Herr General auf und
sah seinen Oberst mit großen, starren Augen vcr-
wnndert an. „Sie haben das Regiment nicht ge-
führt?" fragte er schließlich erstaunt. „Sie nicht?
Wer denn sonst?"
Und ohne zu zögern, sagte der Herr Oberst:
..Sie, Herr General!"
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