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Nr. 32

JUGEND

1902

Die störrische Stute

„Hab' mir's gleich jedacht, Herr Adjutant!
mal kein Flück bei den Weibernl"

Max Feldtauer

Haben nun

Rede des französischen Generals Grand-Parole,

gehalten im Freidenkerverein zu (ZhLlons 14 Tage nach
dem Bonner Speech des Generals von Lou

„Meine Herren I Ich komme geraden Wegs vom Grabe unseres un-
vergeblichen Meisters Darwin. Er hat mir einen Gruß an Sie anf-
getragen und mich zu der Erklärung ermächtigt, daß er mit Ihnen, meine
Herren, und mit unserm schönen Frankreich, das dein Aberglauben so keck
zn Leibe gehe, Überaus zufrieden sei. Im Vertrauen gesagt, über unfern
Nachbarstaat Deutschland sprach sich der große Denker nicht so günstig ans.
Er meinte, in den letzten Jahrzehnten sei man dort kräftig rückwärts mar-
schiert. So habe cs noch in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
in den gebildeten Familien Deutschlands, namentlich beim Beamtenthnm
und den Staatsanwälten, zum guten Ton gehört, seinen, Darwins, Namen
bei jeder Gelegenheit im Munde zu führen. Heute aber sei alles so fromm
geworden, daß nian höchstens zur Salvatorzeit dein Galilei Recht gebe, im
übrigen aber mit Josna die Sonne still stehen lasse. Ja, sogar die Dienst-
zeit der Soldaten würde nur zur Hälfte aus der Parade verbracht, zur
anderen Hälfte dagegen in der Kirche.

Meine Herren I Ich will keine Politik treiben. Aber das Eine muß
ich doch sagen, daß ich es sehr beklagen würde, wenn die glorreiche deutsche
Armee an Schlagkraft verlöre. Denn unsere Qloirs kann nur bestehen,
wenn der Gegner unüberwindlich ist. klnd dann bedenken Sie, wie pein-
lich es in unserm Zeitalter der Glückwunschtelegramme unfern Präsidenten
Loubet berühren müßte, würde ihm nicht durch ein neues Sedau Gelegen-
heit gegeben, nach Berlin zn telegraphircn.

Meine Herren! Ich rede absichtlich nicht von der traurigen Gegenwart,
weil ich keine Verstimmungen zwischen zwei im Frieden lebenden Völkern
heraufbeschwören will. Nein, ich sage nur, daß Graf Molike ein großer
Feldherr war, obwohl er n i ch t redete. Sie glauben das nicht? Sie halten
das für unmöglich? Und doch ist es buchstäblich wahr. Moltke hielt keine
Reden; ja, er trug, um sich nicht einmal der Versuchung auszusetzen, stets
eine Cigarre im Mund. So auch in der Schlacht von Königgrätz, die er
seltsamerweise trotzdem gewann. Und wie er, waren seine Untergebenen.
Ein Reporter, der sich Anno 1866 im Hauptquartier Goebens meldete, um
den General zu sprechen, wurde von allen Schildwachen, durch die er hin-
durch mußte, angekichert. Als es ihm endlich zu dumm wurde und er den
nächsten Mann zur Rede stellte, warum er denn so albern lache, antwortete
ihm dieser, ein handfester Pommer, mit verständnißinnigem Grinsen: „Der
General spricht ja überhaupt nicht."

Meine Herren! Das klingt uns heute alles wie ein Märchen aus
alten Zeiten. Denn heute redet drüben in Deutschland alles. Sogar die
Kaminkehrer sollen, bevor sie in die Esse steigen, einen unpassenden speech

über die Höhe ihrer Weltanschauung und die religiöse Ueberzeugung der
Maikäfer halten. Ja, ein vielgenannter heute lebender Generalfeldmarschall
soll sich für seine Ahnengrnft einen Grabstein bestellt haben mit der In-
schrift: „O daß ich tausend Zungen Hütte!" Meine Herren! Ich fordere
Sie daher auf, mit mir einzustimmen in den Ruf: Die glorreichen Erben
Moltkes, das redende Deutschland, das Volk der Rhetoren und Panegyriker,
hurrahl hurrah! hurrah!" Cri-Cri.

Heues flßilitär-Catein

parricida
ad irifinitum
conditio sine qua
non

dissolve frigus
delicta majorum
miles gloriosus •
ipse

non fugiendum

die Halsbinde
das Gewehrstrecken

die Bartbinde

der Laufschritt

das Bataillonsexerziren

der Urlauber

der Streber

die Medaille.

vie Reise der UolKsuertreter zur flottenbesicdtiguiig

Eine auserwählte Schaar der Reichsboten, unter ihnen auch einige Ge-
nossen, war der freundlichen Einladung der Marinepermaltung gefolgt und
hatte sich an einem schönen Morgen in Kiel auf der Barbarossa-Brücke vcr-
sammelt, >vo die schlanke, elegante „Alice Roosevelt" bereits seit einigen Stunden
unter Dampf lag.

Sämmtliche Herren waren so seetüchtig wie möglich gekleidet, mit Aus-
nahme Singers, der natürlich in karrierten Hosen und Chlinderhut er-
schienen war. — Eugen, der seine erste Seereise machte, hatte die berühmten
48erWasserstiefel angezogen und sich mit Pulstvärmern versehe». GrafKanitz
hatte seine Agrariermütze verkehrt aufgesetzt und ihr dadurch die Form eines
Südwesters gegeben. Müll er-Fulda,'der sich stets auf seine Mariuekcnnt-

nissc ettvas zugute thnt, war als richtiger „Seegigcrl" erschienen und suchte
mehreren Abgeordneten die Furcht vor der Seekrankheit zu benehmen.

die Herren in famoser Stimmung
einen der Panzerkolosse.

„Es ist doch eigentlich ganz
nett — werm auch ein bischen
theuer," flüsterte Eugen behag-
lich seinem Nachbar zu, als sie
unter Trommelwirbel die aufge-
ftellte Ehrcnkompagnie abschritten.

Alle bestiegen schließlich die schmucke
Stationsyacht, nur der ängstliche Singer
schützte plötzlich, als sich eine kleine Mor-
genbrise erhob, dringende Geschäfte vor.
Erst nachdem ihm Herr v. Tirpitz, der
die Honnenrs machte, mehrere Male ver-
sichert, daß weder „geschaukelt" noch
„scharf" geschossen würde, solgte er zaghaft
den klebrigen.

Nach einer kurzen Fahrt erklommen
Register
Monogrammist Frosch: Illustrationen zum Text "Die Reise der Volksvertreter zur Flottenbesichtigung"
Max Feldbauer: Die störrische Stute
[nicht signierter Beitrag]: Neues Militärlatein
Hermann Pampel: Vignette
Cri-Cri: Rede des französischen Generals Grand-Parole
[nicht signierter Beitrag]: Die Reise der Volksvertreter zur Flottenbesichtigung
 
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