Nr. 33
JUGEND
1902
f
MWMM
>-* ■'•WiwW1
ni
Mi
Sommerstille
£VVin ist wohl manches in mir still geworden,
Was einst mein Herz dnrchbcbt in Qual und Zwist.
Nun klingt mein Tag in goldenen Akkorden,
Gleich einem Lied, das lief und innig ist.
Was ich verehrt einst, scheint mir nun gering,
Was ich verachtet, ist emporgcsticgc»,
Und was ich fern vergebens suchen ging,
Seh ich erstaunt zu meinen Füßen liegen.
Wohl bringt noch mancher Tag mir Weh und Spott.
Doch wenn btc Aehren wehn, die Früchte reifen,
Dann spür ich mit mich, spür ich in mir Gott
Und lerne seine stille Kraft begreifen.
Beseligt find ich mich emporgetragen
Aus jeder niedren Enge, die uns hält.
Und frei von allem Grübeln, allem Fragen
Fühl ich die goldne Harmonie der Welt.
Pbllipp Miilrop
Oie Italienerin
Line wahre Geschichte
^ch hatte eine Reise nach Venedig unternommen und da die Schön-
heit Italiens und seiner Frauen seit den Oden des Horaz zu einem
Dogma fiir mich geworden war, so riß ich, von Ala ab, beständig Mund
und Augen auf, um mir ja nichts entgehen zu lassen. Das Land war
schon! Aber die schönen Frauen suchte ich in Ala, Verona, Padua, und
in Venedig selbst, vergebens! Alte, huzlige, gelbe Weiber in bunten
Lappen — Citronen in farbigem Seidenpapier! Nur daß sie in Venedig
in s ch w a r.z e Spitzen gewickelt sind, — das war der ganze Unterschied!
Ich sah ein, mit der Schönheit des „Weibes ans dem Volke" war es
hier nichts. Ob aber nicht die „besseren Stände" am Ende die Träger
meines Ideales sind? Draußen ain Lido baden in schlechtvcrhttllter
Nacktheit Männer uub Weiber zusammen, vielleicht finde ich dort, was
ich suche? — Und siehe, nach tagelangem Herumpantschen erblicke ich
an der „Grenze", an dem langen Tau, welches die „Schwimmer" von
den „Nichtschwimmern" trennt, ein Weib — was sage ich! — eine
Göttin, schön wie die Venus Anadyomene und rassig, wie eben nur
Italienerinnen sein können —, ein Typus vom Scheitel bis zur Sohle!
Dieser Scheitel ist von ebenholzschwarzen Haaren bedeckt, die ein weißer
Strandhut mühsam zurückhält, unter prächtig gewölbten Brauen leuchten
zwei Augen, schwarz wie das Wasser des Canals unter dem Bogen der
Seufzerbrücke, weiße Zähne blinken ans rothen Lippen wie ein Venetianer-
dolch aus einer frischen Wunde, Brüste quellen unter dem dünnen, nassen
Blusenstoff wie — ach, das können Sie Alles sich gar nicht schön genug
vorstellen — es war einfach: weibgewordener Süden! Und behutsam,
trunken von meinem Entdeckerglück rudere ich mit Armen und Beinen
näher heran, um auch die Musik der italienischen Worte zu hören, die aus
diesem Munde klingen müssen wie einst die Glocken des Campanile....
Sie wiegt sich wohlig an dem straffen Tau, daß die Wellen mit weißem
Gefieder über sie Herstürzen gleich dem Schwan der Leda, und fröhlich
lacht sie ihrem Begleiter zu, der unweit davon ebenfalls am Strick hängt.
Und nun bin ich dicht bei ihr.... dem Gehege ihrer Zähne aber ent-
fliehen folgende Worte:
„Herrgottsaxn, Seppi, is dös fein! Daschwoabts*)oan aus!"
*) Schwenkt einen aus (ä la Maßkrug im Hofbräuhaus).
I>r. Ko.
m TllgSu
E. L. Hoess (Immenstadt)
JUGEND
1902
f
MWMM
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Mi
Sommerstille
£VVin ist wohl manches in mir still geworden,
Was einst mein Herz dnrchbcbt in Qual und Zwist.
Nun klingt mein Tag in goldenen Akkorden,
Gleich einem Lied, das lief und innig ist.
Was ich verehrt einst, scheint mir nun gering,
Was ich verachtet, ist emporgcsticgc»,
Und was ich fern vergebens suchen ging,
Seh ich erstaunt zu meinen Füßen liegen.
Wohl bringt noch mancher Tag mir Weh und Spott.
Doch wenn btc Aehren wehn, die Früchte reifen,
Dann spür ich mit mich, spür ich in mir Gott
Und lerne seine stille Kraft begreifen.
Beseligt find ich mich emporgetragen
Aus jeder niedren Enge, die uns hält.
Und frei von allem Grübeln, allem Fragen
Fühl ich die goldne Harmonie der Welt.
Pbllipp Miilrop
Oie Italienerin
Line wahre Geschichte
^ch hatte eine Reise nach Venedig unternommen und da die Schön-
heit Italiens und seiner Frauen seit den Oden des Horaz zu einem
Dogma fiir mich geworden war, so riß ich, von Ala ab, beständig Mund
und Augen auf, um mir ja nichts entgehen zu lassen. Das Land war
schon! Aber die schönen Frauen suchte ich in Ala, Verona, Padua, und
in Venedig selbst, vergebens! Alte, huzlige, gelbe Weiber in bunten
Lappen — Citronen in farbigem Seidenpapier! Nur daß sie in Venedig
in s ch w a r.z e Spitzen gewickelt sind, — das war der ganze Unterschied!
Ich sah ein, mit der Schönheit des „Weibes ans dem Volke" war es
hier nichts. Ob aber nicht die „besseren Stände" am Ende die Träger
meines Ideales sind? Draußen ain Lido baden in schlechtvcrhttllter
Nacktheit Männer uub Weiber zusammen, vielleicht finde ich dort, was
ich suche? — Und siehe, nach tagelangem Herumpantschen erblicke ich
an der „Grenze", an dem langen Tau, welches die „Schwimmer" von
den „Nichtschwimmern" trennt, ein Weib — was sage ich! — eine
Göttin, schön wie die Venus Anadyomene und rassig, wie eben nur
Italienerinnen sein können —, ein Typus vom Scheitel bis zur Sohle!
Dieser Scheitel ist von ebenholzschwarzen Haaren bedeckt, die ein weißer
Strandhut mühsam zurückhält, unter prächtig gewölbten Brauen leuchten
zwei Augen, schwarz wie das Wasser des Canals unter dem Bogen der
Seufzerbrücke, weiße Zähne blinken ans rothen Lippen wie ein Venetianer-
dolch aus einer frischen Wunde, Brüste quellen unter dem dünnen, nassen
Blusenstoff wie — ach, das können Sie Alles sich gar nicht schön genug
vorstellen — es war einfach: weibgewordener Süden! Und behutsam,
trunken von meinem Entdeckerglück rudere ich mit Armen und Beinen
näher heran, um auch die Musik der italienischen Worte zu hören, die aus
diesem Munde klingen müssen wie einst die Glocken des Campanile....
Sie wiegt sich wohlig an dem straffen Tau, daß die Wellen mit weißem
Gefieder über sie Herstürzen gleich dem Schwan der Leda, und fröhlich
lacht sie ihrem Begleiter zu, der unweit davon ebenfalls am Strick hängt.
Und nun bin ich dicht bei ihr.... dem Gehege ihrer Zähne aber ent-
fliehen folgende Worte:
„Herrgottsaxn, Seppi, is dös fein! Daschwoabts*)oan aus!"
*) Schwenkt einen aus (ä la Maßkrug im Hofbräuhaus).
I>r. Ko.
m TllgSu
E. L. Hoess (Immenstadt)