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Nr. 33

[ienau

Zu des Dichters 100. Geburtstag (13. August)
Mein Leben ist ein stilles Selbstverbluten,
Ein Heimwehlied mein klagender Gesang.
Bald peitscht der Sturm die Wälder und

die Fluthen,

Bald wird aus Mond und Schilf ein

süßer Klang.

Doch immer ist's ein stillverhaltnes Weinen
Nach einem Glück, das unerreichbar fern:
Die goldne Sonne sinkt, die Sterne scheinen,
lknd dann erlischt geräuschlos Stern um Stern!

Der Schöpfer schafft aus Freude am Vernichten;
Als Herrscher über allem thront der Tod.
Drum bleibt uns nur ein schmerzliches

Verzichten;

Denn alles Leben ist ein Äbendroth!

An den Erlöser glauben nur Erlöste —
Wer aber löst uns aus des Zweifels Macht?
O komm mit Deinem Schlummertrunk

und tröste

Du den verlornen Sohn, Allmutter Nacht!

Gdgar Steiger

Weltchronik der „Jugend"

Zu melden weiß ich wiederum
So mancherlei dem Publikum,

Zum Beispiel dies, daß Majestät
Der Kaiser jetzt nach Reval geht.

Dort spricht er sich mit Nikolaus
Einmal gemüthlich wieder aus. —

Ls trafen, wie die Blätter melden.

Der Buren allergrößte Helden,

Die Delarey, De Wet und Stejn,

Und Botha in Europa ein;

Bei Lhamberlain — o Ironie

Des Schicksals! — dann dinieren fiel —

In der Lagunenstadt fiel wieder
Ein Stück von einer Kirche nieder,

Von San Giovanni e Paolo.

Doch bleibt der Fall nicht etwa solo,

Es wackelt, sagt der Bayer, a no
Der Glockenthurm von San Stskano.

So rächt ßch nun auf Kosten Jener
Der Schlendrian der Italiener! —

Herr Hauptmann, sprengen sie jetzt aus,
Baut nächstens sich ein Festspielhaus,
Und zwar ein schlesisch-nationales
Im Reich des alten Rübezahles,

Beim wohlbekannten Schreiberhau.

Es strömen dann zu „Schluck und Iau",
Zu „Fuhrmann Henschel" und sofort,

Die fremden mafsenweis nach dort
Und drängen sich, wie nicht gescheut.

Wie jetzt zum Beispiel in Bayreuth,

Um Schlesiens schönen Dialekt
Zu hören endlich 'mal korrekt! —

Die Leute, die die Kunst vertreten,

Den kranken Leib gesund zu beten,

Die bau'n, wenn Einen dies auch wundert
In diesem zwanzigsten Jahrhundert,

Sich eine Kirche in Hannover —

Ja, ja: Die Dummheit ist nicht pover!

Die Kirche, die wird schön und gothisch,
Doch die Gemeinde bleibt idiotisch! —

Herodot

. JUGEND -

Bavaria: „So, Linder, da habt 3hr Luern
wohnungsgeldzuscbuß, versauft aber
net alles auf einmal!"

*) Im bayr. Landtag wurde der Antrag, für die
Bediensteten, deren Gehalt 1020 dltk. nicht übersteigt
und die sich nicht im Genüsse einer Dienst-
wohnung befinden, die kolossale Summe von
jährlich 45 dir k. als wohnungsgeldzuschuß zu bewill-
igen, fast einstimmig angenommen.

O weh, o weh! Statt des polenbezwingenden
Deutschtums springt der preußische Kasten-
geist heraus und erwischt als erstes Opfer eine un-
schuldige deutsche Jungfrau, die zufälliger
Weise an den Tupfer gekommen ist.

1902

Mocterner freikeitss-mg

Stoßt an, Männerstolz lebe! Hurrah hoch
Gott gab das Rückgrat dem Unterthan,
Damit er sich beugen und bücken kann.

Frei ist der Mann!

Stoßt an, Frauenlieb' lebe! Hurrah hoch.
Wem die wahre Liebe im Herzen glüht,

Der freit, wo ihm golden die Mitgift blüht.

Frei ist der Mannl

Stoßt an, Maulhalten lebe! Hurrah hoch.
Wer die Wahrheit saget und meidet den Schein,
Der muß ein schrecklicher Esel sein.

Frei ist der Mann!

Stoßt an, Kastengeist lebe! Hurrah hoch.
Wenn die Welt aufsteht zum jüngsten Gericht,
Verwechselt dann, bitte, die Rangklaffen nicht.

Frei ist der Mann!

Stoßt an, Feldwebel lebe! Hurrah hoch.
Macht Front vor ihm mit gestrecktem Knie,
Doch seine Töchter heirathet nie.

Frei ist der Mannl Frido

Streiflichter der „Jugend"

§ine Petition um Errichtung eines „ho-
möopathischen Lehrstuhls" hat also die Gunst
der Mehrheit in beiden Häusern des bayerischen
Landtags gefunden. Warum? Ich will die wissen-
schaftliche Begründung dieser Frage ganz offen lassen.
Denn da fast sämmtliche dieser Gönner Nichtmedi-
ziner waren, würde wohl Keiner vom wissenschaft-
lichen Standpunkte aus beantworten können, wa-
rum. Und unter einer medizinisch gebildeten Kam-
mer wäre es umgekehrt ganz unmöglich, daß eine
solche Petition eine Mehrheit fände, warum? Aus
Brodneid, sagen die Gönner. Obwohl ja die Aerzte
auch Menschen sind und zwar solche, die oft in bit-
terer Nvth sind, und obwohl die Homöopathie ein
lukratives Geschäft ist. Allein wie gesagt, das bei
Seite! Vom rein psychologischen Standpunkt aus
bleibt dieses Warum noch interessant genug. Denn
sein Darum lautet: Weil jeder Mensch im
Grunde seines Herzens revolutionär ist.

Ja, und darum ist es lustig, sich diejenigen an-
zuschaun, welche für die Petition gestimmt haben.
Die Stützen von Thron und Altar! Die Rechte im
House of Commons und im Hause der Lords — die G e-
sinnungsgenossen Baron v. Sodens! Fragt
einmal diese Herren, ob die socialistische Richtung eine
staatliche Kanzel zur Propaganda ihrer Ideen be-
kommen soll? Oder ob die Atheisten einen Lehrstuhl
brauchen? Hu, wie werden sie sich da hinter ihre
„Schulmedicin" zurückziehen und jeden verdammen,
der dieselbe nicht an-und einnehmen mag! Autori-
tät!! Alte Institutionen!!! Wer wagt es, da ein-
znbrechen? Aber, was in politischer und religiöser
Hinsicht ganz des Teufels wäre, in wissenschaftlicher
und gar in medicinischer — ei, Bauer, da ists etwas
Anderes! Da braucht der Schwindel nur genügend
Anhänge» zu haben, dann ist er nicht nur daseins-
berechtigt, sondern auch unterstützungsbedürftig und
mit vollem Pathos fragen sie: Ist kein Lehrstuhl da
für unsre Hulda? — Warum? Vide oben! Weil
jeder Mensch im Grunde seines Herzens revolutionär
ist, und auch Sie, verehrte Stützen! Nur merke»
muß man sich das! Auch der Antiklerikalismus hat
seine Anhänger — mehr als die Homöopathie —,
und der Sozialismus — und der Liberalismus —
und noch viele Andere dieser Mäuse! Also conse-
guent sein, da oben! Lehrstühle genehmigen und den
Boden ebnen und nicht muffen dabei! Sie wollen

nicht? Auch aus Brodneid?. Ja, ja, und

ich sürchte säst, das trifft besser zu als bei den Aerz-
ten. Denn die Homöopathie brauchen die Mediziner
nicht zu scheuen, — sie ist abgethan. Ob Euch
aber die politischen und religiösen Homöo
pathen nicht gefährlich wären?

I>r. Verui

554
Index
Herodot [Pseudonym]: Weltchronik der "Jugend"
Frido: Moderner Freiheitssang
Monogrammist Kneifer: Der "Kastengeist" in Posen
Monogrammist Kneifer: 45 Mark!!
Edgar Steiger: Lenau
Dr. Verus: Streiflichter der "Jugend"
A. De Nora: Der Kastengeist in Posen
[nicht signierter Beitrag]: Der Kastengeist in Posen
 
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