Nr. 35
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„nie lollft du mich befragen,
nodi Wiffen’s Serge fragen,
Robert Engels
Woher Idt kam der Fahrt,
fioch wie mein Ham’ und Hrt!"
. JUGEND -
immer liebenswürdig, fast herzlich; war sein
Wagen oder Schlitten verschwunden, so hatte
man das Gefühl, etwas seltsam Bedeutendes
erlebt zu haben. Als er wenige Tage vor der
Schlacht von Weißenburg mit dem Kronprinzen
Friedrich Wilhelm im Münchner Hoftheater
erschien, als der göttliche alte Kindermann mit
gewaltig bebender Stimme das Reiterlied:
„Frisch ans, Kameraden, auf's Pferd, auf's
Pferd!" gesungen, da brach ein Sturm der
Begeisterung los, der and) den König tief zu
ergreifen schien. Aber dann ärgerten ihn die
Preußen mehr und mehr. Beim' Truppen-
einzug am 16. Juli 1871 bot er dem ihm ehr-
furchtsvoll huldigenden Kronprinzen liidjt ein-
mal die Hand. Diese beiden Männer hatten
kein Berständniß für einander, — wie schade!
Der Kronprinz hat sidi mir gegenüber ein-
nral bitter über den König beklagt; andrerseits
ist es bei der Gedankenrichtung Ludwigs leicht
begreiflich, daß ihn die Inspektionsreisen des
Kronprinzen nach Bayern und dessen srei-
müthige Aeußerungen über des Betters fran-
zösischen Kunstgeschmack sehr verletzen mußten.
Der Kronprinz hatte dem Könige etwa gesagt:
„Wie magst Du nur diesen Ludwig XIV. ver-
herrlichen, der Deine herrliche Pfalz so
unbarmherzig verwüsten ließ!" Aber diese Ver-
herrlichung war doch ein ganz unpolitischer
Königstranm. eine Art Ersatz für die Ent-
täuschungen seiner realen Lebenserwartung.
Unvergeßlich ist mir and) der Empfang
Kaiser Wilhelms I. in Hohenschwangau am 8.
Sept. 1871. Der Kaiser saß mit der Königin
Mutter im Fond des Wagens, Ludwig ll. allein
ihnen gegenüber. Dieser fdjautc voll königlichen
Zornes drein, als ihnen das Landvolk zujubelte.
Nun sind sie Alle heimgegangen die großen
Zeugen jener großen Zeit, and) „sein Bis-
marcf"; denn diesen Niesen schätzte Lirdwig
sehr hoch, obsdion auch er — ein Preuße war.
Sie ruhen in Frieden, wir aber wollen sie
alle lieben, und nicht zuletzt den Unglücklichsten
unter ihnen — Ludwig den Einsamen!
Es ist mir vergönnt, den König selbst sprechen
zu lassen über seine Gemüthsverfassung zu einer
Zeit, wo er schon ganz einsam geworden war,
doch aber noch offenen Sinn für die berechtigten
Interessen Anderer hatte. Am 25. April 1876
„Nad)ts 2 Uhr" sdirieb er in der kgl. Residenz
zu München u. a. Folgendes an eine von ihm
nicht nur verehrte, sondern geradezu geliebte
Frau, welche auch id) zu den edelsten Persön-
lichkeiten rechnen muß, denen ich im Leben zu
begegnen das Glück hatte:
„Sehr verehrte Frau! Gestern fühlte ich
mich nicht vollkommen wohl, ick) glaube, daß
dies aus meiner Art zu sprechen unwillkürlich
zu entnehmen war. Es drängt inich nun,
manches mit Ihnen ausführlicher zu besprechen,
wozu ick) gestern nick)t kam.
„Sie scheinen zu glauben, ich wäre über-
haupt unglücklich; dein ist nicht so, im Großen
und Ganzen bin ich froh und zufrieden, näm-
lich ans dem Lande, im herrlichen Gebirge:
elend und betrübt, oft im höchsten Grade me-
lancholisch bin id> einzig und allein in der
unseligen Stadt! Ich kann nicht leben
in dem Hand) der Grüfte; mein Atheni ist
die Freiheit. Wie die Alpenrose bleicht
und verkümmert in der Snmpfluft, so ist für
inich kein Leben, als im Licht der Sonne, in
dem Balsamstrom der Lüfte! Lange hier sin
Münchens zu sein, wäre mein Tod. —
1902
„Meine Mutter, die Königin, verehre ich,
liebe sie, wie es sein muß, daß ein intimes
Verhältniß absolut unmöglich ist, bei einer
solchen Natur wie die ihrige ist, dafür kann
ich nichts. Daß mein Herz nicht allen
Gefühlen abgestorben ist, empfinde ich
stets, wenn id) Sie, verehrte Frau, sehe, mit
Ihnen spreche und Ihre Briefe lese, aus denen
mir wohlthnende Wärme, ein nur Ihnen eigener
Zauber weht. Seien Sie sest, für immer un-
erschütterlich fest davon überzeugt,
daß, wenn id) auch selten sd>reibe, nie und
nimmer meine treuen Gesinnungen Ihnen gegen-
über wandelbar seien.
„Aufrichtig werde ich mich immerdar mit
Ihnen freuen, sowie ich auch stets betrübt bin,
wenn Kummer und Sorge Sie drücken. Schonen
Sie Ihre Nerven... denn die Erhaltung
der Gesundheit ist and) eine heilige
Pflid)t.
„Unsere Seelen sind, ick) glaube es durch-
zufühlen, in Einem Punkte, dem H aff e g eg en
das Niedrige, Unrechte, verwandt, und
das freut mich.
„Daß ich oft von einem wahren Fieber
des Zornes und des Hasses erfaßt und
befallen werde, midi voll des Ingrimms
abwende von der heillosen Außenwelt,
die mir so wenig bietet, ist begreiflich, vielleicht
mache ich einstens meinen Frieden mit der
Erdenwelt, wenn alle Ideale, deren hei-
liges Feuer ich sorgsam nähre, zer-
stört sein werden. Dock) — wünschen Sie
das nie! — Ein ewiges Räthsel bleiben
will ich mir und Anderen.
„Thener sind und bleiben Sie mir! W e r d e n
Sie and) nie an mir irre In treuester
Freundschaft bleibe ich, sehr verehrte Frau,
Ihr stets von Herzen geneigter König Ludwig."
Als ich diese ergreifenden Bekenntnisse zum
ersten Male gelesen, war ich wohl sehr bewegt,
doch dachte ich nicht daran, die menschenscheue
Adressatin um das Recht der Veröffentlichung
zu bitten. Aber der Brief hat mich seitdem wie
ein Mahner aus der andern Welt verfolgt; ick,
fand darin so tiefgründige Aufschlüsse über den
Einsamen, und zwar Aufschlüsse l,öd,st synr-
pathischer Art, daß es mir als eine Pflicht
erschien, das Schriftstück zu publiziren. Die
Adressatin hat schweren Herzens zngestimmt,
aber ich bitte alle freundwilligen Leser dringend,
nid)t »ad; ihr zu forschen.
Eine v o l l st ä n d i g e Sammlung der Briefe
Ludwigs II. müßte and, in rein psychologischer
Hinsicht von größtem Interesse sein. Wann
wird sich das Archiv von Wahnfried anfthun?
In einem anderen Briefe des Königs an die
erwähnte Freundin las ich die hoheitsvollen
Worte: „Versprechen, die man einem
Todtengegeben, sind doppelt Heilig zu
Halten."
(Schluß folgt)
ß • p
^ankok
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„nie lollft du mich befragen,
nodi Wiffen’s Serge fragen,
Robert Engels
Woher Idt kam der Fahrt,
fioch wie mein Ham’ und Hrt!"
. JUGEND -
immer liebenswürdig, fast herzlich; war sein
Wagen oder Schlitten verschwunden, so hatte
man das Gefühl, etwas seltsam Bedeutendes
erlebt zu haben. Als er wenige Tage vor der
Schlacht von Weißenburg mit dem Kronprinzen
Friedrich Wilhelm im Münchner Hoftheater
erschien, als der göttliche alte Kindermann mit
gewaltig bebender Stimme das Reiterlied:
„Frisch ans, Kameraden, auf's Pferd, auf's
Pferd!" gesungen, da brach ein Sturm der
Begeisterung los, der and) den König tief zu
ergreifen schien. Aber dann ärgerten ihn die
Preußen mehr und mehr. Beim' Truppen-
einzug am 16. Juli 1871 bot er dem ihm ehr-
furchtsvoll huldigenden Kronprinzen liidjt ein-
mal die Hand. Diese beiden Männer hatten
kein Berständniß für einander, — wie schade!
Der Kronprinz hat sidi mir gegenüber ein-
nral bitter über den König beklagt; andrerseits
ist es bei der Gedankenrichtung Ludwigs leicht
begreiflich, daß ihn die Inspektionsreisen des
Kronprinzen nach Bayern und dessen srei-
müthige Aeußerungen über des Betters fran-
zösischen Kunstgeschmack sehr verletzen mußten.
Der Kronprinz hatte dem Könige etwa gesagt:
„Wie magst Du nur diesen Ludwig XIV. ver-
herrlichen, der Deine herrliche Pfalz so
unbarmherzig verwüsten ließ!" Aber diese Ver-
herrlichung war doch ein ganz unpolitischer
Königstranm. eine Art Ersatz für die Ent-
täuschungen seiner realen Lebenserwartung.
Unvergeßlich ist mir and) der Empfang
Kaiser Wilhelms I. in Hohenschwangau am 8.
Sept. 1871. Der Kaiser saß mit der Königin
Mutter im Fond des Wagens, Ludwig ll. allein
ihnen gegenüber. Dieser fdjautc voll königlichen
Zornes drein, als ihnen das Landvolk zujubelte.
Nun sind sie Alle heimgegangen die großen
Zeugen jener großen Zeit, and) „sein Bis-
marcf"; denn diesen Niesen schätzte Lirdwig
sehr hoch, obsdion auch er — ein Preuße war.
Sie ruhen in Frieden, wir aber wollen sie
alle lieben, und nicht zuletzt den Unglücklichsten
unter ihnen — Ludwig den Einsamen!
Es ist mir vergönnt, den König selbst sprechen
zu lassen über seine Gemüthsverfassung zu einer
Zeit, wo er schon ganz einsam geworden war,
doch aber noch offenen Sinn für die berechtigten
Interessen Anderer hatte. Am 25. April 1876
„Nad)ts 2 Uhr" sdirieb er in der kgl. Residenz
zu München u. a. Folgendes an eine von ihm
nicht nur verehrte, sondern geradezu geliebte
Frau, welche auch id) zu den edelsten Persön-
lichkeiten rechnen muß, denen ich im Leben zu
begegnen das Glück hatte:
„Sehr verehrte Frau! Gestern fühlte ich
mich nicht vollkommen wohl, ick) glaube, daß
dies aus meiner Art zu sprechen unwillkürlich
zu entnehmen war. Es drängt inich nun,
manches mit Ihnen ausführlicher zu besprechen,
wozu ick) gestern nick)t kam.
„Sie scheinen zu glauben, ich wäre über-
haupt unglücklich; dein ist nicht so, im Großen
und Ganzen bin ich froh und zufrieden, näm-
lich ans dem Lande, im herrlichen Gebirge:
elend und betrübt, oft im höchsten Grade me-
lancholisch bin id> einzig und allein in der
unseligen Stadt! Ich kann nicht leben
in dem Hand) der Grüfte; mein Atheni ist
die Freiheit. Wie die Alpenrose bleicht
und verkümmert in der Snmpfluft, so ist für
inich kein Leben, als im Licht der Sonne, in
dem Balsamstrom der Lüfte! Lange hier sin
Münchens zu sein, wäre mein Tod. —
1902
„Meine Mutter, die Königin, verehre ich,
liebe sie, wie es sein muß, daß ein intimes
Verhältniß absolut unmöglich ist, bei einer
solchen Natur wie die ihrige ist, dafür kann
ich nichts. Daß mein Herz nicht allen
Gefühlen abgestorben ist, empfinde ich
stets, wenn id) Sie, verehrte Frau, sehe, mit
Ihnen spreche und Ihre Briefe lese, aus denen
mir wohlthnende Wärme, ein nur Ihnen eigener
Zauber weht. Seien Sie sest, für immer un-
erschütterlich fest davon überzeugt,
daß, wenn id) auch selten sd>reibe, nie und
nimmer meine treuen Gesinnungen Ihnen gegen-
über wandelbar seien.
„Aufrichtig werde ich mich immerdar mit
Ihnen freuen, sowie ich auch stets betrübt bin,
wenn Kummer und Sorge Sie drücken. Schonen
Sie Ihre Nerven... denn die Erhaltung
der Gesundheit ist and) eine heilige
Pflid)t.
„Unsere Seelen sind, ick) glaube es durch-
zufühlen, in Einem Punkte, dem H aff e g eg en
das Niedrige, Unrechte, verwandt, und
das freut mich.
„Daß ich oft von einem wahren Fieber
des Zornes und des Hasses erfaßt und
befallen werde, midi voll des Ingrimms
abwende von der heillosen Außenwelt,
die mir so wenig bietet, ist begreiflich, vielleicht
mache ich einstens meinen Frieden mit der
Erdenwelt, wenn alle Ideale, deren hei-
liges Feuer ich sorgsam nähre, zer-
stört sein werden. Dock) — wünschen Sie
das nie! — Ein ewiges Räthsel bleiben
will ich mir und Anderen.
„Thener sind und bleiben Sie mir! W e r d e n
Sie and) nie an mir irre In treuester
Freundschaft bleibe ich, sehr verehrte Frau,
Ihr stets von Herzen geneigter König Ludwig."
Als ich diese ergreifenden Bekenntnisse zum
ersten Male gelesen, war ich wohl sehr bewegt,
doch dachte ich nicht daran, die menschenscheue
Adressatin um das Recht der Veröffentlichung
zu bitten. Aber der Brief hat mich seitdem wie
ein Mahner aus der andern Welt verfolgt; ick,
fand darin so tiefgründige Aufschlüsse über den
Einsamen, und zwar Aufschlüsse l,öd,st synr-
pathischer Art, daß es mir als eine Pflicht
erschien, das Schriftstück zu publiziren. Die
Adressatin hat schweren Herzens zngestimmt,
aber ich bitte alle freundwilligen Leser dringend,
nid)t »ad; ihr zu forschen.
Eine v o l l st ä n d i g e Sammlung der Briefe
Ludwigs II. müßte and, in rein psychologischer
Hinsicht von größtem Interesse sein. Wann
wird sich das Archiv von Wahnfried anfthun?
In einem anderen Briefe des Königs an die
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Worte: „Versprechen, die man einem
Todtengegeben, sind doppelt Heilig zu
Halten."
(Schluß folgt)
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