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Nr. 36

JUGEND

1902

F. Adler (München)

«Ülie junge Mutter — oder vielmehr angehende
s&l Mutter — liegt auf einer Chaise-longue, auf
Bergen von spitzenbesetzten Kissen, umgeben von
Kinderwäsche, so allerliebsten, so koketten Jäckchen,
Häubchen, Hemdchcn, das; man sie eher für PuPPeN-
sachen als für Gebrauchsgegenstände halten möchte, —
als eine Frenndin eintritt. Lebhafte Freudenrufe der
jungen — angehenden — Mutter, die sich erheben
will, aber durch eine Handbewegung der anderen
znrückgehalten wird. Zärtliche Umarmungen,

Die Freundin: Wie hübsch Du aussiehst,
Liebste! Gar nicht angegriffen!

Die Mutter (geschmeichelt, dankbar): Wirklich?
Sehe ich nicht garstig aus?

Die Fr,: Du siehst frisch und rosig aus lote ein
Neugeborenes! Apropos: Neugeborenes! Was
macht Dein Baby?

Die M,: Aristide! Er wird schon ein bißchen
ungeduldig ,, ,

'Die Ir, (lachend): Aristide! Wird es denn ein
Knabe sein?

Die M. (sehr ernst): Selbstverständlich! Mein

Mann hat es mir fest versprochen.Das war

meine Hauptbedingung, als wir uns heiratheten.
Ich erklärte ihm: Ich will zuerst einen Jungen haben!

Die Fr,: Aber wenn es nun doch ein Mädchen ist?

Die M,: Das würde ich meinem Mann nie ver-
zeihen !

Die Fr,: Wahrhaftig?! , , , Und was gedenkst
Du mit Aristide zu machen? Wirst Du ihn einer
Amme übergeben?

Die M, (entrüstet): Einer Amme? Den süßen
Kleinen einer Amme, einer Miethsperson, einem
elenden Bettelweib anvertrauen, das womöglich
schmutzig und unsauber ist?! Niemals! Ich werde
ihn selbst nähren! (Dozirend): Meiner Meinung
nach ist eine Frau, die ihre Kinder einer Amme
übergibt, überhaupt nicht werth, Mutter zu werden!

Die Fr, (sie umarmend): Ach, Liebste, welch
ein Genuß, Dich sprechen zu hören! Junge Frauen,
besonders wenn sie hübsch und elegant sind wie Du,
siuden so selten den Muth, ihre Mutterpflichten zu
erfüllen.

Die M,: Muth? Was für ein Muth gehört
den» dazu? Ich meine, das ist ein Vergnügen!
(Sich allmählich ereifernd): Mama und das Baby
— das ist doch so nett! , . , Beide weiß, beide zier-
lich und sauber wie auf den hübschen Bildern, weißt
Du, in den Modejournalen, mit Versen darunter,
in welchen man sie mit allen möglichen hübschen
Dingen vergleicht, z, B, „Rose und Knospe" oder
„Henne mit Küchlein" , , , und was weiß ich noch
alles , . ,

Die Fr, (weniger begeistert): „Ja, ja, in Versen
macht sich das ganz hübsch. , , , Aber dann muß
man sich doch auch so manche Entbehrung auf-
erlegen ,..

Die M, (immer noch entzückt): Selbstverständlich!
Man muß eben verzichten lernen! Ich habe meinem
Mann übrigens schon gesagt: Du weißt, ich will
sehr vernünftig werden! Also so lange ich Babh
nähren muß, fordere mich nicht zu Besuchen auf,
selbst nicht bei Deiner Mutter! , ,, Um so mehr, als
sie mich langweilt, seine Mutter, Du kannst Dir
gar keinen Begriff davon machen! , , , Ich werde
mich nicht von Hause fortrühren!

Die Fr,: Sehr gut!

Die M.: Meine Freundinnen können mich ja
besuchen, wen» sie mich sehen wollen: man wird
dann so gegen 5 Uhr kleine Theegesellschasten im
Garten arranqiren, sobald es das Wetter erlaubt.
Du sollst mal sehen — das Ivird ganz allerliebst
sein! (Sehr ernst): Ich will lediglich meinem Baby
gehören , , , bis 7 Uhr!

Die Fr, (erstaunt): Nur bis 7 Uhr!

Die M,: Ja, solche Kinder schlafen doch früh
ein? Wir bringen Baby vor dem Diner zur Ruhe,
wenn mir mal auswärts speisen wollen.

Die Fr, (inquisitorisch): Gedenkst Du ost aus-
wärts zu speisen?

Die M, (verlegen): Nein, nicht oft! ,, , Etwa
drei oder vier Mal in der Woche. ., höchstens!

Die Fr,: Ja, aber wenn Du Baby selbst nähren
willst, mußt Du mit Deinen Mahlzeiten sehr vor-
sichtig sein, verstehst Du? Keine geivürzten, reizenden
Speisen, keine Weine, keine Spirituosen . ,

Die M, (lachend): Du glaubst vielleicht, ich be-
trinke mich bei jedem Diner? Ich trinke einen Finger-
Hut voll, Liebste, , , wenn es hochkommt, , , Und
ebenso mäßig bin ich beim Essen: ich habe solch,
schreckliche Furcht, dick zu werden!

Die Fr, (lächelnd): Sieh mal an! Die liebe
Eitelkeit! Um eine gute Nährmutter zu sein, darfst
Du Dir aber auch nicht das Essen entziehen, selbst
wenn Du wirklich dick werden solltest!

Die M, (betroffen): Ich soll dick werden! , ., ,
O!!, , , Es ivird doch vielleicht besser sein, nicht aus-
wärts zu speisen ,. , Ich werde dann nur von Zeit
zu Zeit mit meinem Mann irgend eine Abendgesell-
schaft besuchen, weiter nichts!

Die Fr,: Abendgesellschaft? Womöglich tanzen?
Dir die Milch verderben?

Die M, (etwas gereizt): Milch verderben , , ,
Tanzen, . , Gott, eine große Herrlichkeit, solch ein
Walzer,. . oder zwei!

Die Fr,: Und wenn Baby in dieser Zeit plötz-
lich Hunger bekommt?

Die M, (verblüfft): Wie? Mitten in der Nacht?
Ja, glaubst Du, daß ich ihn daran gewöhnen werde,
ivie eine erwachsene Person so spät zu soupieren?
Der Arzt hat mir und meinem Mann das Souper
verboten, lveil eine so späte Mahlzeit der Gesundheit
äußerst schädlich sei, (Triumphierend) Und lvenn
das für uns, seine Eltern, nachtheilig ist, dann muß
es doch für Aristide noch viel gefährlicher sein, nicht
wahr?

Die Fr, (lächelnd): Das läßt sich wohl nicht ver-
gleichen , .. Aber in jedem Falle wirst Du doch zu
solch einer Soiree Toilette machen, ein Eorsett tragen.
Dich schnüren, die Blutcirkulation erschweren, nicht
wahr? , , , Und das alles ist streng verboten, wenn
man nährt, genau so streng verboten, wie sich müde
und matt zu tanzen oder später schlafen zu gehen!

Die M, (nachdenklich): Mein Gott, ich spreche
immer davon, daß ich Aristide nähren will, ,, Am
Ende werde ich es garnicht können? Der Arzt sagte
mir: „BeiIhrer zarten Konstitution wird es vielleicht
besser sein, das Kind mit der Flasche aufzuziehen!"
(Bittend) Man kann eine gute Mutter sein, auch wenn
man sein Baby mit der Flasche aufzieht, nicht wahr?

Die Fr,: Aber sicher, liebes Herz! Auch dabei
ist so mancherlei zu beachten, wozu allein eine Mutter
die nöthige Aufmerksamkeit und Sorgfalt mitbringt,.
So z, B, das Sterilisieren der Milch, gleich wenn
man sie ins Haus bringt,..

Die M, (erschreckt): Wie? Aber man bringt sie
schon um sechs Uhr früh , . ,?

Die Fr,: Nun ja, dann muß man eben um sechs
Uhr aufstehen, , ,

Die M, (weinerlich): Wenn man aber gewöhnt
ist, erst um zehn Uhr aufzuwachen , . ,? (Nachdenk-
lich): Mein Gott, , , , schließlich , , , , das mit den
Ammen ,,, ist doch weiter nichts als ein Borurtheil?
Es gibt wirklich Prachtexemplare unter ihnen! Und
von dem Augenblick an, da man solch ein Mädchen
gut pflegt, reichlich ernährt, sorgfältig überwacht, ,,

Die Fr,: Es m seiner Nähe schlafen läßt, damit
man in der Nacht sofort hören kann, wenn Baby
weint oder irgend etwas braucht, , ,

Die M, (träumerisch): Ja , , , Ja , ..

(Es fchlägt fünf Uhr)

Die Fr, (aufspringend): Ach, mein Gott! Schon
so spät? Ich muß mich beeilen,. ,

Die M,: Warte doch noch ein paar Minuten,
Mein Mann kommt gleich, Du mußt ihm noch
„Guten Tag" sagen,,, (Man hört eine Thür öffnen;
eine Männerstimme im Korridor) Da ist er schon ,,,

(Eintritt des Gatten. Höflichkeiten: „Gnädige
Frau!" Händeschütteln, Definitiver Abgang der
Frenndin, Endlich allein!)

Der Gatte (die junge — angehende — Mutter
umarmend): Gar nicht müde, Liebchen? (Unruhig)
Du siehst ja so traurig aus?

Die M, (wie aus einem Traum erwachend):
Was! Ich? , . , Wie kommst Du darauf? , , , Ich
habe mit meiner lieben Freundin geplaudert, , ,

Der G,: Ich wette, sie hat Dir gute Ratschläge
gegeben. Sie macht solch einen gesetzten Eindruck!

Die M,: Sie ist eine Frau, auf deren Worte
man hören kann, nicht wahr?

Der G,: Unbedingt! ,. , Aber was hat sie Dir
denn gesagt?

Die M,: Was sie mir gesagt hat? Sie hat mir
gesagt, daß es mir unmöglich, einfach absolut un-
möglich sein wird, Aristide zu nähre», und daß wir
unbedingt eine Amme nehmen müssen!

Der G, (höchst erstaunt): Eine Amme? Warum
nicht gar! Sie. , ,

Die M, (sehr entschieden): Jawohl, eine Amine!,,
Man macht die armen Kleinen zu unglücklich, wenn
man sie bei sich behält; — man muß den Muth
haben, sich von ihnen zu trennen!

Limpelkang

Mancher Lockung, weih ein fprödcr
Junggefcll zu widersteh'» —

Uber dient ein her; als Röder.

3tt es leicht um ihn gekcheh'n!

Zieh! Cr meint: Die armen Dinger
Leiden doch zu jämmerlich,
wenn ein solcher kzerzbezwinger
Rommt, als wie zum Leikpiel: 3d)!

Mo schnappt der gute Zunge
Dach dem Roder unbedacht —

5chwupp! — Mit einem rasche» Zchwunge
wird die Rlappe zugemacht!
Register
Friedrich Adler: Zierleiste
Léon Alfred Fourneau gen. Xanrof: Mutterpflichten
L. L. L.: Gimpelfang
 
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