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[Nr. 39

Celegraphenpkahl ßr. 987

von 6. van Nieveit

Sangs der Landstraße zwischen der großherzoglichen
Hauptstadt des Großherzogthums Pappelburg-Strelitz
und der fürstlichen Residenz des Fürstenthums Schwarz-
stein-Sondershausen war eine Telegraphenlinie angelegt.
Mitten durch einen mächtigen Tannenwald über einen breiten
Hügelrücken hin lief diese Linie und mitten in diesem Tannen-
wald stand am Wege der Telegraphenpfahl Nr. 987 glatt
und leuchtend in seiner Neuheit.

Nun hatte es der Zufall geivollt, das; dies derselbe Wald
war, in dem der Telegraphenpsahl Nr. 987 als Baum aus-
gcwachsen war. Ja, der Fleck, wo er jetzt als Pfahl
blank und leuchtend in den Boden gesteckt dastand, war
kaum zehn Schritt entfernt von dem Platz, wo er noch vor
kurzem als Baum mit hoher Krone und rauhem Stamm
und schwer von grünen Zweigen gewurzelt hatte, dunkel
und groß im Winde rauschend, schwermiithig im Nebel
träumend und über Moos und Farren Schatten breitend im
Sonnenschein.

Kein Wunder also, daß die Tannen um ihn her, mit
denen er ausgewachsen und deren Kamerad er so viele
Jahre gewesen war, ihn als ihren Bruder erkannten, wie
sehr er auch äußerlich verändert sein mochte. Denn hatten
sie nicht in derselben Lust geathmet und den Saft aus dem-
selben Boden aufgesogen? Und war also das Harz, das
durch ihre Adern kroch und aus ihren Poren quoll, nicht
wie das Blut einer und derselben Mutter?

Er aber, der Telegraphenpsahl Nr 987, kannte seine
Brüder, die Tannen, nicht mehr. Er stand da, steif und
starr, stolz aus seine Glätte und seinen Glanz, stolz auf
seine Nummer, stolz auf das Porzellanköpschcn, das er trug,
stolz vor allem auf seine Aufgabe und seinen Berus als
Telegraphenpsahl. Und dem Fleck, wo er geboren war,
kehrte er den Rücken zu. Und für die Kameraden, unter
denen er ausgewachsen war, hatte er weder Gruß noch Wort.
Da sprachen zu ihm die Tannen um ihn herum:

„Ei, Brüderchen, Brüderchen, kennst du uns denn nicht
mehr?"

Der Telegraphenpsahl würdigte sie keiner Antwort.
„Brüderchen, Brüderchen," riefen die Tannen, „kennst
du uns nicht mehr? Weißt du denn nicht mehr, daß du
einst in unserer Mitte warst, grade wie wir? Daß du eine
rauhe, rissige Rinde hattest, an der die Eichhörnchen empor-
kletterten, und starke Aeste und Zweige, auf denen die Krä-
hen krächzten? Wie kommt es, daß du jetzt so dünn nnd
kahl und nackt bist? Was haben sie mit dir gemacht,
Brüderchen?"

Noch immer schwieg der Telegraphenpsahl.

Und von Neuem der Chor der Tannen:

„Brüderchen, was hat man mit dir ge-
macht? Wie hat man dich zurecht gestutzt?

Was ist das fiir'n komisches, weißes Ding,
das du da auf dem Kopfe trägst? Und was
bedeutet der Draht, mit dem dn festgebuudcn
bist? Sprich doch, kannst du denn nicht mehr
reden, Brüderchen?"

Da brach der Telegraphenpsahl los, zitternd
vor Erregung:

„Dummköpfe, etwas mehr Respekt und drei
Schritt vom Leibe! Ob ich sprechen kann?

Jawohl, aber nicht mehr die Sprache der
dummen Bäume! Ich spreche die Weltsprache,
die Univcrsalsprache, die verstanden wird von
Pol zu Pol, von Shanghai bis New-Vork,
von Gibraltar nach Wladiwostock.. Ich bin
der Telegraphenpsahl Nr. 987!!"

„Was faselt er?" murmelten untereinander
die Tannen. „Wir verstehen ihn nicht."

„Natürlich begreift euresgleichen mich
nicht!" polterte der Telegraphenpsahl, „wie
solltet ihr auch, ihr dummen Holzkolosse! Es
ist auch nicht nothig, daß ihr mich versteht!

Respektirt mich nur! Respektirt mich, der
ich mehr bin, als ihr und wißt, wen ihr vor
euch habt! Wißt, daß ich ausgehört habe, still
dazustehn und zu vegetiren, daß ich ein in-
telligenter und thätiger Faktor in dem unge-
heuren Mechanismus der Weltordnung ge-
worden bin! Wißt, daß ich jetzt ein Glied bin
in der Welten umschlingenden Kette der Ge-
dankenauswechselung und der Oeffentlichkeit!

J U GEN D

Vollbehr (St. Heinrich)

1902

Wißt, daß ohne meine unumgängliche Mitwirkung die Ne-
gierungen nicht regieren, die Financiers nicht spekuliren,
und die Redakteure nicht redigiren können! Wißt, daß
durch dieses mein Haupt wie Blitzstrahlen die Weltgescheh-
nisse hinfahren. Die Kriegserklärungen, die Milliarden-
operativnen, die Nachrichten, die Kontinente aufrütteln und
ganze Nationen jubeln lassen oder in Verzweiflung stürzen !
Kurz, wißt, daß ich der Telegraphenpsahl Nr. 987 bin!" —
Weniger als zuvor begriffen die Tannen, was sie da
zu hören bekamen. Das Einzige, was ihnen deutlich wurde,
ging darauf hinaus, daß ihr Bruder von früher kein Tan-
nenbaum mehr war, und sich zu erhaben dünkte, um noch
Baum heißen zu wollen. Deshalb nahm der Aelteste von
ihnen das Wort und sprach:

„Ei so, Freund, so sieht's mit dir aus? Da schau her!
Du bist also groß geworden in der Welt und nun ver-
achtest du uns arme Bäume, trotzdem du vor sechs Mo-
naten noch unseresgleichen warst! Du bist also jetzt thätig
geworden nnd intelligent und ein Faktor und ein Glied
und etwas, wo Blitze hindurchsahren und was alles noch!
Das mag ja alles sehr schön nnd wichtig sein, obgleich wir
in unserer Einsalt das nicht verstehen. Aber sage mal,
kannst du jetzt auch noch rauschen und im Winde sausen?
Kannst du noch Schatten über Moos und Farren breiten?
Kannst du im Winter noch eine Krone und einen Mantel
von Schnee tragen? Kannst du im Sommer noch die Lust

rim dich her mit würzigen Düften erfüllen? Kannst du-"

Auf einmal fing der Telegraphenpsahl an zu zittern
und begann erregt und heftig:

„Still! schweigt! hört auf mit eurem Geschwätz!.. Ich
fühle etwas nahen... da kommt es — da ist es — da

fliegt cs . .. Ha, was habe ich gesagt-ein Weltcreigniß,

durch mich hinblitzt, das durch mich empfangen und
mich fortgetragen wird!.. Ha! Ha! Ha!"

„Was ist es? dürfen wir es wissen?" sragte
athemlos die alte Tanne.

„Hört zu! Achtung! Und Respekt!" ant-
wortete der Telegraphenpsahl, und seine Stim-
me klang noch dreimal so gewichtig. „Hört,
was durch mich, durch mich Seine Excellenz
der erste Minister von Schwarzstein-Sonders-
hausen an Seine Excellenz den Premier von
Pappelburg-Strelitz telegraphisch kund und
zu wissen thut, aus daß weit und breit über
ganz Europa die Kunde davon zu allen
Völkern dringe: ....Unser durchlauch-
tigsterFürst und Landesvater istvon
einer Erkältung befallen. Seine
Durchlaucht wird vermuthlich für
einig e Tage Höchst ihre Appartements
hüten müssen.'"

„Ha! Ha! was habe ich gesagt!" rief noch-
mals der Telegraphenpsahl, noch steifer als
steis vor Würde.

Die Tannen hoben ihre Kronen empor
und rauschten.

(Aus dem Holländischen von Paul Jiachs.)

Die Erschaffung des Weibes

(Frei nach einer indischen Fabel)

-Vollendet hatte Gott sein

Schöpfungswerk.

Zu seinen Füßen die bethauten Flure»
Erglänzten in dem Hauch des jungen

Lichtes,

Oie Luft durchjubelte das Heer der Vögel,
Im Wasser purzelte» die blanken Fische —
Mit Mammuth, Bisam, Tiger und Gorilla
Im Urwald, keulenschwingend, rang

der Mann.

Auf Pfählen thürmt er Klötze starker

Cedern

Im Wasser auf und baut sich seine Hütte,
In der er Nachts, vom grimmen

Kampf zerbrochen,
Am Feuer sich auf seine Felle streckt —
Als Gott ihn so allein, von Gram

bedrückt, erblickte,
Register
C. van Nievelt: Telegraphenpfahl Nr. 987
Fritz Salzer: Die Erschaffung des Weibes
Ernst Vollbehr: Zierleiste
 
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