Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
HAUS IN VIERLANDEN Erich Kleinhempel (Dresden)

zu l^cbcit, und da ich gar keine Neigung verspürte,
ans der jungen, verderbten Welt in die alte, ver-
derbte Welt überzusicdeln, so beschloß ich, mich mit
meinen unterdrückten Brüdern, mit dein alten Na-
turvolk, zusammen zu thnn, das von der Kultur-
Horde zinn Anssterben bestimmt war. .. nämlich
mit den Rothhänten.

Das sollte eine herrliche Rache werden: den
Rothhänten mein Serum zu schenken, sie alle jung
zu impfen und sic so zu einer unausrottbaren
Raffe zu machen, die den amerikanischen weißen
Wilden, die mich, den großen Erfinder, als Lhar-
latan ausgewiesen hatten, tapfer Stand zu halten
vermöchte — eine famose Perspektive!

Ich zog also nach dem fernen Westen, ging
zu dem Stamm der weißen Bisons und ließ mich
bei „Wunder-Auge", dem großen käuptling, als
Arzt der Weißen anmelden. Als ich in seinem
Zelt saß und die Friedenspfeife mit ihm geraucht
hatte, erzählte ich ihm von meinem Mittel und
bat ihn um die Erlaubniß, es bei allen Mitgliedern
seines Stammes in Anwendung bringen zu dürfen.

Der große Mann saß lange grübelnd da und
sagte endlich:

„Rah ... ist mein Sohn mit dem bleichen Ge-
sicht seines Mittels denn auch ganz sicher?"

„Das Mittel ist sicher."

„Rah, — und warum nehmen die Bleichgesichter
es denn nicht selbst?"

„Die Bleichgesichter sind verderbte Wesen, die
ihren großen Mediziner verstoßen haben und nur
Betrügern Gehör schenken."

„Rah", antwortete der Pänptling, „mein
Sohn spricht ein wahres Wort, aber mein Sohn
ist selbst ein Bleichgesicht und also auch verderbt.
Kann solch ein Mann ein wahres wort sprechen?"

„Das wird die Erfahrung lehren," ant-
wortete ich.

„Das ist richtig, aber wenn die Erfahrung eine
schlechte ist, dann werden meine Brüder die Schlacht -
opfer sein."

„Und mein Jagdhund?"

„Meine Brüder sind keine Jagdhunde, so wie
die Bleichgesichter."

Er sah mich noch immer drohend an, dachte
einen Augenblick nach und sagte dann:

„Rah, Ihr sollt eine Probe nehmen, die Män-
ner meines Stammes sind kostbar, sie sind tüchtige
Krieger auf dem Schlachtfelde und unüberwindlich,
aber der Frauen habe ich viele — unter ihnen
mögct Ihr wählen. . . Rah, Ihr könnt gehen."

„Dn wirst meine Freude verstehen können, Ba-
rend. Am nächsten Tage wählte ich vierhundert

alte Frauen, vierhundert junge Mütter, vierhundert
Jungfrauen und vierhundert weibliche Kinder ans,
und nachdem ei» Monat verflossen, hatte ich sic
alle mit meinem Serum geimpft .. .

Keine von ihnen starb zufolge der Impfung,
und nachdem ich ein halbes Jahr die Gastfreund-
schaft des Stammes genossen, begann man die
Resultate meines Mittels zu merken. Die alten
Frauen waren wieder wie junge Mädchen, die
jungen Mütter kannten keine Ermüdung beim
Weben, Spinnen, Holzhacken, Wassertragen und
anderen häuslichen Arbeiten, die Jungfrauen waren
blühende Schönheiten, und die weiblichen Kinder
waren lebenslustiger und wilder als die Knaben.

Und als eine Typhnsepidemie in dem Lager
ausbrach, blieben all die Geimpften von der Krank-
heit verschont.

„Wunderauge" war indessen noch immer nicht
überzeugt. Bevor er mir die Männer zu den:
Experiment anvertrante, wollte er erst fünf Jahre
lang die Resultate meines Serums beobachten.

Und siehe, dies ward mein Unglück. Nicht als
ob mein verjüngungs Serum nicht gut gewesen
wäre... aber seine Tugend ward nun zu seiner
Untugend, denn die wieder gewonnene Jugend
machte ihre Ansprüche geltend, und bald gab es
in allen Familien, wo Geimpfte waren, Zank
und Streit und allgemeine Verwirrung. Die Groß-
mütter, die wieder jugendlich geworden, begannen
auf jugendliche Weise zn fiirten und sich zu ver-
lieben, die Mütter wurden neidisch ans ihre Töchter
und als zn Ehren eines bevorstehenden Krieges
gegen die Apachen ein großes indianisches Fest
arrangirt wurde, bei dem die Frauen den Kriegs-
tänzen der jungen Krieger zuschauten und um ihre
Gunst warben . . da entstand ein solches Gedränge
um die jungen Krieger, und die vielen Frauen
jeglichen Alters waren so wüthcnd auf einander,
daß der Kriegstanz nicht einen stolzen Auszug der
Männer in die Schlacht zur Folge hatte, sondern
einen entsetzlichen, erniedrigenden Kampf zwischen
den Großmüttern, Großtanten und Schwieger-
müttern einerseits und den jungen Mädchen anderer
feits.

Man kämpfte mit Tomahawk, Lasso, Büffel-
pcitsche und Speer. Ich war zn Tode verwundert
über die plötzliche unerwartete lvirknng meines
Mittels, und begab mich schleunigst in das Zelt
von „lvnnderange".

Dieser erhob sich würdevoll und rief die jungen
Krieger zn sich, die seinem Befehl unverzüglich ge-
horchten.

Allein die Franc» kämpften noch immer, cs war
entsetzlich anzusehen. Geimpfte und Nichtgeimpfte

stürmten auf einander los, schlugen einander nie-
der, rangen miteinander, bissen einander, traten
einander, ... es war das reine Blutbad.

„So trennt sie doch, trennt sie doch!" rief ich
verzweifelt ans, „die Frauen Eures Stammes
werden einander vernichten!"

„Rah," sagte lvnnderange würdevoll und mit
Nachdruck, während er mich mit durchbohrenden
Blicken ansah, „die Bleichgesichter hatten Recht,
als sic Euch vertrieben. Ich muß dies Alles ruhig
mit ansehen, denn wer würde wohl für dieses
niedere Weibsvolk auch nur einen einzigen Kriegs
mann opfern? Rah, trennet sie selbst!"

„Ich eilte zurück, mischte mich in den Streit,
aber sobald die Nichtgeimpften meiner ansichtig
wurden, stürmten sie auf mich los mit Tomahawks,
und Lassos und Büffelpeitschen und Spceren, und
ich mußte entfliehen, so schnell mich meine Füße
tragen wollten. Sie verfolgten mich über die Prärie
in wilder Eile, und wenn mein treuer vengst auf
meinen Pfiff nicht zu mir geeilt wäre, so daß ich
mich auf ihn werfen und schleunigst davonjagen
konnte, so wäre es mir unmöglich gewesen, der
leidenden Menschheit mein kostbares Leben zu er-
halten . .."

Der Doktor goß sich von neuem ein Glas ein,
nachdem er das erste ansgetrnnkcn hatte, ohne
Wasser hinzu gethan zu haben.

„Und haben Sic später noch was darüber ge-
hört ?" fragte ich.

„Ja, Barend, die Rngcimpften haben den Sieg
über die Geimpften davon getragen, all meine
Patienten haben den Tod gefunden!"

„Aber wie ist das nur möglich?"

„Ja, das frage ich mich selbst auch so oft,
sie waren doch jugendlich kräftig. Und dann er-
richteten die Sieger einen Scheiterhaufen, schleppten
all meine kostbaren Serum Medikamente und eine
Puppe darauf, die den weißen Mediziner darstellte,
und verbrannten das Ganze...

So habe ich mir wohl das Leben gerettet, das
Geheimnis; der Zusammenstellung des Jugend
Serums aber ist verloren gegangen, . . . das ist
das Schicksal großer Männer...

Barend, ich gratuliere Dir, daß Dn kein Genie
bist, denn wir genialen Menschen sind alle un-
glücklich .. .""

Und damit warf er die letzte Litronenschcibe in
das letzte Glas, das er an jenem Abend trank.

(Aus dem hoUändlsihen Manuskript übertragen von
S. Dtten.)

712
Register
B. Cauter: Das Jugend-Serum
Erich Kleinhempel: Haus in Vierlanden
 
Annotationen