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JUGEND

1902

Nr. 43

Der Reporter

Alles erhorcht und erspäht, was neu, amüsant
int'ressant ist — —
Kellner, he! Tinte, Papier! —

Droschke! — peidi! — Redaktion!

Kannegiesser

Seht nur, wie sich die Bierbankpolitiker

grimmig befehden! —
Jeglicher ficht mit dem Spieß,

den ihm sein Leibblatt geschärft.

Der Rornansckreiber

Zwanzig Kapitel sind fertig, und zehn wohl

könnt' ich noch schreiben,
Ehe der Knoten sich löst,

aber jetzt haxert's —-Papier! —

o. ».. ii.

Die Klcipierbcindigerin

Line Loncertsaal-Phantasie

/ß?in mäßig großer, einfach getönter Saal, von
üi einem mystischen Halbdunkel erfüllt, in welchem
einige hundert Personen auf langen Reihen von
Stühlen sitzen und athemlos, gespannt, aufgeregt
der beginnenden Vorstellung harren. Vor ihnen
erhebt sich aus dem wesenlosen Düster eine Art
Tribüne und auf dieser steht schweigend und schwarz
das greuliche, gefährliche, männermordende Wesen,
dessen Bändigung vor sich gehen soll. Es sieht
ganz sanft aus, mit seinem langen, glatten Leib
und den vier plumpen, in eine einzige Kralle aus-
laufenden Beinen, und rührt sich gar nicht, Nur
die beiden Augen blinzeln schläfrig und heimtückisch.
Einige Diener in undefiuirbaren Livreen huschen
hie und da scheu an ihm vorüber — dann scheint
es ein wenig, ganz leise zu knurren, sonst ist Alles
still. Plötzlich ein Rascheln, ein paar kräftige
Schritte eines kleinen Fußes, oder besser: zweier
kleiner Füße — ah! Die Klavierbändigerin ist auf
die Bühne getreten. Alles freut sich, einige be-
ginnen schon zu klatschen — nur das Klavier selbst,
das arme, riesige, unbeholfene Tonthier bleibt noch
ruhig und stumm stehen wie bisher. Da tritt die
Bändigerin auf dasselbe zu und öffnet ihm mit
ihren zarten, langen Fingern langsam das Maul.
Hui Eine ganze Reihe weißer Zähne wird sichtbar,
Entsetzen faßt die Zuschauer, wird das Thier sie
verschlingen? Lächerlich! Das heißt, der Bän-
digerin erscheint diese Frage lächerlich, denn sie
lächelt und legt dem Thier einen Pack Bücher auf
die Rase, aus denen sie dann eines recht grob und
rücksichtslos hervorzieht und ausschlägt Und das
gute Thier reißt nur die Augen ein bißchen heller
auf und bleckt seine weißen Zähne, — sonst nichtsI
Prachtvoll! Man klatscht Beifall und athmet er-
leichtert auf, denn jeder denkt, nun sei das Aergste
vorüber. Aber was denn?! Es geht ja erst los!
Die Dompteuse wirft die Aermel und Locken zurück

und schlägt dem armen Thier mit allen ihren
langen, dürren Fingern Eins aufs Maul, daß die
Zähne wackeln. Run schreit es natürlich laut ans
und droht, zu schnappe». Allein es kommt nicht
dazu. Immer von neuem schlägt ihm die kleine
Person ins Gesicht, immer neuest Aufkreischen,

Vibel uncl Lommiss

(Line wahre Geschichte)

Der Nazi pimmelfreundpointner kam zum
Militär. Lr war init der schönsten Hoffnung ein-
gerückt, mindestens General zu werden. Gbwohl
in der österreichischeti Armee ein Gemeiner bekannt-
lich kein General werden kann, konnte es doch
möglich sein, daß der liebe Gott ausnahmsweise
dem Nazi zuliebe ein Wunder that.

Nazi war aus einer streng religiösen protestant-
ischen Familie und so bibelfest, wie nur irgend ein
Pastor in Deutschland oder Lngland. Lr hielt sich
bei allen seinen pandlungen streng an die heilige
Schrift . . . dies aber war der Grund zu vielen
Unannehmlichkeiten für Nazi, denn er schwankte
zwischen Neuem und altem Testament, wie Buri-
dans Lsel zwischen den bekannten peubündeln, und
diese beiden Bücher, nämlich das alte und neue
Testament enthalten ja viel widersprechendes.

Linmal, als Jein Lorporal, ein Innviertler,
ihm wegen allzu „schlampeter" Gewehrgriffe einen
Backenstreich, der nicht von schlechten Litern war,
versetzte, erinnerte sich Nazi an den Spruch: „So
dir jemand einen Streich auf die Backe gibt, so
biete ihm auch die andre dar" . . . Lr that dies
auch sehr demüthig ... was aber war die Folge?

-— Der Lorporal rief wüthend: „Mir scheiuts, des
gscheerte Bauernluader halt mi zum Narrn!" ...
hieb nochmal mächtig über's Mhr, und Nazi wurde
eingesperrt.

In der Jnstruetionsstunde, als er um die Be-
standtheile des k. k. österreichischen Armeegewehres
befragt wurde und wenig wußte, fiel ihm der
Spruch ein „Lnre Rede sei ja ja, nein nein, was
drüber ist, ist von Uebel" .. . und er that dem-
gemäß.

Nach zweimaliger Anwendung dieses Bibel-
wortes aber befand sich unser Nazi unter den
„ksäuden" des Regimentsarztes, der ihn auf seine
geistigen Fähigkeiten untersuchte, und als er ihn
normal fand, benamsete er ihn „einen gemeinen
Schwindler und Simulanten" .. und Nazi wanderte
wieder in „Sing-Sing".

Als ihn einmal sein Gffizier mit den schmeichel-
haften Worten: „Faule Bestie und schmierige Ca-
naille" beehrte, fiel ihm Jesus Sirachs Spruch
bei: „Aug um 2Iuge, Zahn um Zahn" ... und
er that nach der Schrift.

Don den übrigen zahllosen biblischen „Ver-
irrungen" wäre vielleicht noch zu erwähnen, daß
er einem wildfremden Arbeiter, der ohne Jacke
hernmlief, seine zweite Garnitur schenkte, weil ja
so was Bezügliches in der heiligen Schrift stand.

Nazi wurde wegen allgemeiner Blödsinnigkeit
vom Militär entlasten .... heute ist er wohl-
bestallter Meßner. j.0_

Klage eines Münchner €entrum$-
Patrioten

0ur Zeichnung von L. Swerbeck)

Wasser trinken mit der Zunge,
Splitternackt am Brunnen steh'n,

Das kann nur ein Heidenjunge
Aus dem sündigen Athen.

War' er Christ und war' von hier,

Trüg' er Hosen, trank' er Bier!

Wespe

„press“-alien

Die Redaktionsscbeere

perrliches Instrument, du Scheere, eiu schneidiges
ritsch ratsch — —

Mühelos fällt in den Schooß mir eines Anderen

Geist!

Der Kritiker

Zwei Theater und drei Konzerte — mein

heutiges Pensum! —
0, wie der Schädel mir brummt!

Tinte, jetzt werde zu Gift!

Der Gedankenstrich

Fehlt'; an der paffenden Wendung, an Worten,
kurzum au Gedanken,

Lehnt man an Ibsen sich an: (-! I.. ?—.!)

„Leser, jetzt zeig', was Du kannst!"

Die Tageszeitung

Lumxengebor'nes Geschöpf, gelt'

dennoch als perold des Geist's ich,
Leider, ach, leider nur heut,

morgen schon wieder als Lump!
Register
Otto Eugen Heinrich: Pressalien
A. Po.: Bibel und Commiß
Ernst Ewerbeck: Das heidnische Brunnenbuberl
Wespe: Klage eines Münchner Centrums-Patrioten
Monogrammist Frosch: Illustrationen zum Text "Die Klavierbändigerin"
A. De Nora: Die Klavierbändigerin
 
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