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Nr. 44

JUGEND

1602

Mschieä vom Süden



CVJot^brauner Duft schmiegt sich an die bläulich
»Jt- dämmernden Kämme der Haardt. Wie
schimmerndes Alkgold leuchten des Neckars kühne
Bogen von der Ebene herüber. In leisem Grün
grüßt der Abendhimmel durch die zerfallenen Fenster
des Otto-Heinrich-Baus. Ein rosig graues Weben
schleicht über die Dächer der Altstadt. Kinderjubel
klingt, wie ans weiter Ferne, von den Gassen und
Brücken herauf. Milde lauten die Glocken von
St. Peter zu Abend; ein leises Rauschen geht heim-
lich durch die Wipfel uralter Rüstern, und zärtlich
legt der rankende Epheu sich um die vernarbten
Stämme....

Lebe wohl!

Traulich winken der alten Wirthschast er-
leuchtete Fenster in die Straße hinaus. Drinnen
aber umfängt Dich ein frohes Brausen, aus
dem Du nur schwer des Einzelnen lachende
Worte sonderst. Köstliches Bier schäumt in
die cyklopischen Krüge, mit einem warmen
Blick aus den liebe» braunen Schwaben-
augen kredenzt das Bärbele oder Mariele
_, Dir den eisig augelanfenen Humpen voll

blumigen Markgräflers. Bunte Mützen
wechseln mit grauen und kahlen Schädeln,
\ flaumig weiße Wangen siehst Du neben

\ schwer gervtheten Pfälzernasen, und dicht

bei dem Geheimrathskind im neuenTennis-
kostüm stellt die Fleischersgattin ihre letzten
falschen Brillanten zur Schau. Wie ein
schwerer Nebel lagert der Tabaksrauch
über den Tischen, hilflos surrt Stunde
auf Stunde am Fenster das Lustrad —
da, auf einmal ein Leuchten auf allen
Gesichtern: Der Löwe hat gebrüllt, don-
nernd ertönen die Schlage zum frischen
Anstich, und alle Krüge eilen zum Munde,
damit er das alte Naß leere und in be-
haglicher Andacht das neue empfange..
Lebe wohl!

Wild jagt der Sturm über den kahl-
geschorenen Kamm. Noch lag uns im Ge-
dächtnis, wie am letzten Abend der leise
Hauch wehmüthig ums Schilf von Gcrardmcr
zitterte; jetzt leuchten die Blitze vom Hoheneck
herüber, gewaltig grollen die Donner durch
St. Amarins und Metzcrals Thalschluchten,
und drohend wälzen die schwarzen Wolkeuballen
sich dem mächtigen Haupte des Storchen zu.
Aber schon verwundet uns nicht mehr der spitz-
körnige Hagel; dicht vor uns liegt das
gastliche Heim des großen Belchen.

Und wenn erst dort in fröhlicher

Tafelrunde der Kittcrle oder Gebweiler Edelwciu
die Seelen entflammt, dann mögen draußen überm
Wasgau die Wetter grollen. Doch es ist längst still
geworden. Funkelnd breitet sich der Sternenhimmel
vom Schwarzwald über die satte Rhcinebene zu uns her-
über, fern von unten flimmern, eine stolz ausgerichtete
Paradefront, die Lichter von Mühlhausen. Und wenn
am Morgen die Sonne duukelroth hinterm Feldberge
emporsteigt, dann heben sich aus der blauen Wolken-
wand am Horizont, dort weit, weit im Süden, erst
schüchtern, dann immer trotziger, die weißschimmern-
den Zacken des Eiger und der Jungfrau und des
Finsteraarhorn, und unbeweglich ragt des Mont-
blanc gigantischer Block aus rosig leuchtenden
Nebeln hervor. Von den rasenbedeckten Hängen
aber, die jäh zum Belchensee hiunntergleiten,
läuten eintönig die Kuhglocken den Tag ein . . .

Lebe wohl!

Langsam steigst Du von den kahlen Gipfeln
der Hornisgrinde zu Thal. Uralter Wald um-
fängt Dich mit seinem zauberischen Dunkel,
purpurn breitet der Fingerhut sich über Ge-
rölle und Lichtungen ans. Vornehme Kur-
häuser blicken auf Dich hernieder, aber an
die kostbaren Spiegelscheiben des Speise-
saals legt sich ein schelmisch lachendes
Mädelgesicht und lädt Dich zu schäkernder
Rast. Reiche Dörfer bauen sich zur
Seite sprudelnder Wässer. Und dann
wanderst Du auf sammetwcichem Kies,
eine alte Allee verbirgt Dir die glühende
Sonne, farbenjanchzende Beete geschwung-
ene Hecken geleite» Dich. Seidene Unter-
kleider knistern und rauschen und geben
eines zierlichen Fußes Reize preis, wenn
die kostbar beringte, elfenbeiuwejße Hand
kokett die Toilette rafft. Immer reicher prangen
die Landhäuser und Cafe's, in malerischer
Linie schwingen die Schwarzwaldhöhen sich
über rothen Dächern hin, und in sengender
Gluth steigst Du die Jesuitenstaffel hinan, um
von oben mit einem Blick dies Juwel zu fassen:
Baden-Baden! Bis wieder der tausendjährige
Wald Dich umfängt, und Schloß Hohenbadens
moosbewachsene Trümmer Dir aus vergangenen
Tagen wundersame Mär zurannen . . .

Lebe wohl!

Hinunter den Becher mit köstlichem Dürkheimer
Feuerberg! Ulid dann frisch und ftoh ins Ann-
weiler Thal, bis die Burgdreifaltigkeit Euch winkt
und Pfalz Trifels ihre grauen Mauern gegen
den blauen Himmel zeichnet. Von oben
aber sendet Eure Grüße dem Silber-

Paul Geissler (Glauchau)

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Ernst Gystrow: Abschied vom Süden
 
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