—————-
Nr. 45
JUGEND
1902
goss Der
Frofch von Seeburg
von lvitry ?. Urban
^tie Frösche von Sccburg waren
eins der urältesten und vor-
nehmften Adelsgeschlechter, die man
sich vorstellen kann. Sie führten ihren
Stammbaum bis auf den sagenhaften
Frosch in dem Brunnen am Königsschloß
zurück, den die Königstochter heirathcn
mußte und vor Wuth darüber gegen die
lvaud warf, worauf er sich in einen schönen
Prinzen verwandelte. Lange, lange Jahre lebten
die Frösche auf ihrem Stammschloß Sceburg und
bekamen sogar mit der Zeit den Fürstentitel. Der
älteste Frosch erbte immer das Stammschloß, während
die jüngeren Frösche in den diplomatischen Dienst oder
ins Peer eintratcn und sich in vielen Kriegen rühmlichst
hervorthaten. Nun begab es sich, daß einer dieser jüng-
eren Frösche, Prinz Gttokar Frosch von Seeburg, auf des
Vaters Wunsch Minister werden sollte, obgleich er seinem
eigenen Wunsche gemäß gern Mediziner geworden wäre.
Anstatt fleißig zu lernen, trieb der goldblonde Gttokar jedoch
die tollsten Allotria. Er verlor große Summe» beim Spiel
und immer, wenn er verloren hatte, klemmte er sein Mouocle
ins Auge und sagte bloß: „Aeh — schnuppe !" Das war seine
Lieblings-Redensart. Was er nicht im Spiel verlor, das
knöpfte ihm die höchst üppige Gesine de Saint-Larteret ab,
die eigentlich Anna Schmudicke hieß und von irgend einem
Vater aus der Köpenickcrstraße in Berlin stammte. Gesine
tingeltangelte nämlich. Und was dann noch von dem Gelds
übrig blieb, das verkneipto der goldblonde Gttokar in Lham-
paguer. Denn merkwürdiger weise hatte er als Frosch von
Seeburg gegen Wasser eine bis zur Uebclkeit gehende Ab-
neigung. Lines Tages aber war die Herrlichkeit zu Lude:
Das Geld war futsch und, der goldblonde Gttokar mußte die
Ministcrlaufbahii ausgeben.
„Aeh — schnuppe!" sagte er und fuhr nach Amerika,
um dort ein neuer Mensch zu werden, wie man so zu sagen
pflegt. Damit es ihm nicht gar zu schlecht gehe, hatten sich
die verwandten bereit erklärt, ihm einen kleinen monatlichen
Zuschuß zu senden, der ihn vor dem unstandesgemäßen ver-
hungern schützen sollte.
Als er in New-Vork ankam, hatte er einige Luipfehl-
ungen an hervorragende pankees mit. Er ging zuerst zu
Lbcuezer Grant, der S Millionen Dollars in Käse gemacht
hatte und bcu sie deshalb den Käseköuig nannten.
„6m! pm!" sagte Ebenezer Grant und verzog sein gelbes,
saures Dyspeptiker-Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen,
„vor allen Dingen, junger Mann, bedenken Sie, daß Sic
in dem frei'sten Lande der Welt sind. Wir kennen hier keine
Adligen, Pier sind Alle gleich, vier gilt nur die persönliche
Tüchtigkeit, verstehen Sic, nur die persönliche Tüchtigkeit. Das
Erste, was Sie zu thun hätten, wäre daher, Ihren Titel ab-
zulegen. Das ist besser für Ihr Fortkommen. Der Titel
ist Ihnen eher hinderlich dabei. Und daun, wenn ich
Ihnen rathen kann, fangen Sie von unten au, ver-
stehen Sie, ganz von unten. Je kleiner Jemand
angefangen hat, als um so größer gilt er später,
wenn er es zu Etwas gebracht hat. Schell
Sie mich an, ich war früher Stiefel-
putzer, dann Laufbursche, dann
Reisender für Butter, Käse und
Eier, jetzt bin ich mein eigener
perr. Und noch Eins — Sie
sprechen kein übles Englisch,
paben Sie sonst noch etwas
gelernt?"
„Aeh —massenhaft!" sagte
der goldblonde Gttokar und
strich de» goldblonden Schnurr- *
bart liebevoll nach oben.
„Spreche noch französisch
und zwar kolossal fließend,
pabe Iymnasium durchjemacht und
wollte cijcutlich Mediziner werden.
Papa war aber für Minister-Lausbahn.
Ueberdies spiele ich tadellos Klavier und
singe auch."
„pm, hm!" machte der Andere wieder.
„Das mag ja ganz gut sein, wenn man in
.*»
H. Nisle
dem zurückgebliebenen Deutsch-
land ist, wo die Geschäftsleute
Latein und Griechisch kennen müs-
sen, wie ich mir habe sagen lassen.
Aber das ist Nichts für das er-
leuchtete Amerika, verstehen Sic,
Nichts für das erleuchtete Amerika,
vier sind wir über so Etwas erhaben.
Wir setzen unseren Stolz darein, cs
Zuin zehnfachen Millionär zu bringen,
ohne jemals etwas vernünftiges gelernt
zu haben. Sehen Sie mich an, ich weiß
Nichts, rein gar Nichts. Ich spreche und
schreibe lediglich Englisch, und selbst das
nickt ordentlich. Sic können mich todtschlagcu
und ich weiß nicht, wie die Dinger da an dem
«zyprischen Gbclisken im Park genannt werden."
„Hieroglyphen!" half ihm Gttokar.
„Ja, Das meine ich. Und trotzdem habe ich
ein vermögen von sechs Millionen Dollars gemacht,
nur mit Käse. Was sagen Sic dazu?"
„Ach — kolossal!" sagte Gttokar dazu.
„Sehen Sie? Also vergessen Sie das, was Sic gelernt
haben, so schnell wie möglich. Es sind Pflastersteine i»
Ihren Rocktaschen. Die Leute hier lieben es nicht, wenn
Einer weniger unwissend ist als sie. Denn das verletzt ihr
amerikanisches Gefühl von Gleichheit und Brüderlichkeit. Be-
suchen Sie mich bald wieder, junger Mann!"
„Dolle Iejcnd!" sagte Gttokar, als er wieder im Freien
war. „Junger Mann titulict er mich, dieser Käsefatzke. Na,
Das kann jut werden. Den Prinzen werde ich also wohl an
den Nagel hängen müssen. Ach — schnuppe!"
Und er häugte den Prinzen an den Nagel. Er ließ sich
Visitenkarten drucke», woraus zu lesen stand: G. Seeburg.
Weiter nichts. Sogar das „von" halte er fortgelaffen. Unter
den Blinden hatte es ja keinen Zweck, auch nur mit einem
einzigen Auge hcrumzulaufen. Also lieber ganz blind wie alle
übrigen. Aus dein Prinzen Gttokar Frosch von Sceburg war
ein ganz gemeiner Mr. Seeburg geworden, der sich in Nichts
von den andern Tausenden von Misters unterschied, nicht
mehr war als sie und auch wie sic behandelt wurde. Es
gelang ihm, eine Stellung als Agent bei einem Scuffabri-
kanten zu bekommen. Sic war recht armselig, diese Stellung.
Aber es mar wenigstens ci>ic Thätigkeit. So vergingen einige
Monate, als er eines Tages in einem Restaurant zufällig einen
intimen Schulfreund traf, der sich in New pork als Arzt nie-
dergelassen hatte. Gttokar erzählte ihm feine Erlebnisse.
„Lieber Frosch!" sagte der Schulfreund, denn so hatte er
Gttokar immer auf der Schule genannt. „Das ist ja Alles
Blödsinn mit dem von unten anfangcn, nur Nichts gelernt
haben und so weiter. Dummer Vuatsch, den sich die Iguo
ranten hier zu Lande vom Schlage des biederen Ebenezer
Grant zum Trost für ihre Unwissenheit selber vorlügcn. Das
ist Alles anders geworden. Auch hier fängt man an, Bildung
und Wissen zu achten und zu verlangen. Ich will Dir was
sagen: werde Du ebenfalls Arzt. Es war ja immer Dcitic
Lieblings-Idee. So ernährst Du Dich wenigstens stander
gemäß. Mittel hast Du ja ein wenig. Bis Du aus
studiert hast, wohnst Du bei mir. Im Uebrigen,
den Prinzen kannst Du Dir ja verkneife». Aber
ich sehe nicht ein, warum Du Dich nicht ruhig
Gttokar von Seeburg nennen sollst."
Das gefiel Gttokar über die Maßen.
Er nahm das großmüthige An-
erbieten des lieben Freundes an
und machte sich mit Eifer ans
Werk. Auch ließ er sich visiten-
Karten drucken, worauf zu
lesen stand: Gttokar von See-
burg Nach wenigen Jahren
bestand er sein Examen und
konnte sich zu seiner Freude
aberinals Visitenkarten drucken
lassen, worauf zu lesen stand:
Or. Gttokar v. Seeburg. Aber
mit der Praxis wollte es
nicht recht vorwärts, trotz aller
kameradschaftlichen Pilse des Schul-
freundes und älterer Kollegen. Pier durfte
er einmal bei einer Gperatiou die Narkose
»rachen, dort bekam er eine Entbindung zu
gewiesen oder durfte einen Kollegen während der
Sommerferien vertreten — — Das war Alles.
744
Nr. 45
JUGEND
1902
goss Der
Frofch von Seeburg
von lvitry ?. Urban
^tie Frösche von Sccburg waren
eins der urältesten und vor-
nehmften Adelsgeschlechter, die man
sich vorstellen kann. Sie führten ihren
Stammbaum bis auf den sagenhaften
Frosch in dem Brunnen am Königsschloß
zurück, den die Königstochter heirathcn
mußte und vor Wuth darüber gegen die
lvaud warf, worauf er sich in einen schönen
Prinzen verwandelte. Lange, lange Jahre lebten
die Frösche auf ihrem Stammschloß Sceburg und
bekamen sogar mit der Zeit den Fürstentitel. Der
älteste Frosch erbte immer das Stammschloß, während
die jüngeren Frösche in den diplomatischen Dienst oder
ins Peer eintratcn und sich in vielen Kriegen rühmlichst
hervorthaten. Nun begab es sich, daß einer dieser jüng-
eren Frösche, Prinz Gttokar Frosch von Seeburg, auf des
Vaters Wunsch Minister werden sollte, obgleich er seinem
eigenen Wunsche gemäß gern Mediziner geworden wäre.
Anstatt fleißig zu lernen, trieb der goldblonde Gttokar jedoch
die tollsten Allotria. Er verlor große Summe» beim Spiel
und immer, wenn er verloren hatte, klemmte er sein Mouocle
ins Auge und sagte bloß: „Aeh — schnuppe !" Das war seine
Lieblings-Redensart. Was er nicht im Spiel verlor, das
knöpfte ihm die höchst üppige Gesine de Saint-Larteret ab,
die eigentlich Anna Schmudicke hieß und von irgend einem
Vater aus der Köpenickcrstraße in Berlin stammte. Gesine
tingeltangelte nämlich. Und was dann noch von dem Gelds
übrig blieb, das verkneipto der goldblonde Gttokar in Lham-
paguer. Denn merkwürdiger weise hatte er als Frosch von
Seeburg gegen Wasser eine bis zur Uebclkeit gehende Ab-
neigung. Lines Tages aber war die Herrlichkeit zu Lude:
Das Geld war futsch und, der goldblonde Gttokar mußte die
Ministcrlaufbahii ausgeben.
„Aeh — schnuppe!" sagte er und fuhr nach Amerika,
um dort ein neuer Mensch zu werden, wie man so zu sagen
pflegt. Damit es ihm nicht gar zu schlecht gehe, hatten sich
die verwandten bereit erklärt, ihm einen kleinen monatlichen
Zuschuß zu senden, der ihn vor dem unstandesgemäßen ver-
hungern schützen sollte.
Als er in New-Vork ankam, hatte er einige Luipfehl-
ungen an hervorragende pankees mit. Er ging zuerst zu
Lbcuezer Grant, der S Millionen Dollars in Käse gemacht
hatte und bcu sie deshalb den Käseköuig nannten.
„6m! pm!" sagte Ebenezer Grant und verzog sein gelbes,
saures Dyspeptiker-Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen,
„vor allen Dingen, junger Mann, bedenken Sie, daß Sic
in dem frei'sten Lande der Welt sind. Wir kennen hier keine
Adligen, Pier sind Alle gleich, vier gilt nur die persönliche
Tüchtigkeit, verstehen Sic, nur die persönliche Tüchtigkeit. Das
Erste, was Sie zu thun hätten, wäre daher, Ihren Titel ab-
zulegen. Das ist besser für Ihr Fortkommen. Der Titel
ist Ihnen eher hinderlich dabei. Und daun, wenn ich
Ihnen rathen kann, fangen Sie von unten au, ver-
stehen Sie, ganz von unten. Je kleiner Jemand
angefangen hat, als um so größer gilt er später,
wenn er es zu Etwas gebracht hat. Schell
Sie mich an, ich war früher Stiefel-
putzer, dann Laufbursche, dann
Reisender für Butter, Käse und
Eier, jetzt bin ich mein eigener
perr. Und noch Eins — Sie
sprechen kein übles Englisch,
paben Sie sonst noch etwas
gelernt?"
„Aeh —massenhaft!" sagte
der goldblonde Gttokar und
strich de» goldblonden Schnurr- *
bart liebevoll nach oben.
„Spreche noch französisch
und zwar kolossal fließend,
pabe Iymnasium durchjemacht und
wollte cijcutlich Mediziner werden.
Papa war aber für Minister-Lausbahn.
Ueberdies spiele ich tadellos Klavier und
singe auch."
„pm, hm!" machte der Andere wieder.
„Das mag ja ganz gut sein, wenn man in
.*»
H. Nisle
dem zurückgebliebenen Deutsch-
land ist, wo die Geschäftsleute
Latein und Griechisch kennen müs-
sen, wie ich mir habe sagen lassen.
Aber das ist Nichts für das er-
leuchtete Amerika, verstehen Sic,
Nichts für das erleuchtete Amerika,
vier sind wir über so Etwas erhaben.
Wir setzen unseren Stolz darein, cs
Zuin zehnfachen Millionär zu bringen,
ohne jemals etwas vernünftiges gelernt
zu haben. Sehen Sie mich an, ich weiß
Nichts, rein gar Nichts. Ich spreche und
schreibe lediglich Englisch, und selbst das
nickt ordentlich. Sic können mich todtschlagcu
und ich weiß nicht, wie die Dinger da an dem
«zyprischen Gbclisken im Park genannt werden."
„Hieroglyphen!" half ihm Gttokar.
„Ja, Das meine ich. Und trotzdem habe ich
ein vermögen von sechs Millionen Dollars gemacht,
nur mit Käse. Was sagen Sic dazu?"
„Ach — kolossal!" sagte Gttokar dazu.
„Sehen Sie? Also vergessen Sie das, was Sic gelernt
haben, so schnell wie möglich. Es sind Pflastersteine i»
Ihren Rocktaschen. Die Leute hier lieben es nicht, wenn
Einer weniger unwissend ist als sie. Denn das verletzt ihr
amerikanisches Gefühl von Gleichheit und Brüderlichkeit. Be-
suchen Sie mich bald wieder, junger Mann!"
„Dolle Iejcnd!" sagte Gttokar, als er wieder im Freien
war. „Junger Mann titulict er mich, dieser Käsefatzke. Na,
Das kann jut werden. Den Prinzen werde ich also wohl an
den Nagel hängen müssen. Ach — schnuppe!"
Und er häugte den Prinzen an den Nagel. Er ließ sich
Visitenkarten drucke», woraus zu lesen stand: G. Seeburg.
Weiter nichts. Sogar das „von" halte er fortgelaffen. Unter
den Blinden hatte es ja keinen Zweck, auch nur mit einem
einzigen Auge hcrumzulaufen. Also lieber ganz blind wie alle
übrigen. Aus dein Prinzen Gttokar Frosch von Sceburg war
ein ganz gemeiner Mr. Seeburg geworden, der sich in Nichts
von den andern Tausenden von Misters unterschied, nicht
mehr war als sie und auch wie sic behandelt wurde. Es
gelang ihm, eine Stellung als Agent bei einem Scuffabri-
kanten zu bekommen. Sic war recht armselig, diese Stellung.
Aber es mar wenigstens ci>ic Thätigkeit. So vergingen einige
Monate, als er eines Tages in einem Restaurant zufällig einen
intimen Schulfreund traf, der sich in New pork als Arzt nie-
dergelassen hatte. Gttokar erzählte ihm feine Erlebnisse.
„Lieber Frosch!" sagte der Schulfreund, denn so hatte er
Gttokar immer auf der Schule genannt. „Das ist ja Alles
Blödsinn mit dem von unten anfangcn, nur Nichts gelernt
haben und so weiter. Dummer Vuatsch, den sich die Iguo
ranten hier zu Lande vom Schlage des biederen Ebenezer
Grant zum Trost für ihre Unwissenheit selber vorlügcn. Das
ist Alles anders geworden. Auch hier fängt man an, Bildung
und Wissen zu achten und zu verlangen. Ich will Dir was
sagen: werde Du ebenfalls Arzt. Es war ja immer Dcitic
Lieblings-Idee. So ernährst Du Dich wenigstens stander
gemäß. Mittel hast Du ja ein wenig. Bis Du aus
studiert hast, wohnst Du bei mir. Im Uebrigen,
den Prinzen kannst Du Dir ja verkneife». Aber
ich sehe nicht ein, warum Du Dich nicht ruhig
Gttokar von Seeburg nennen sollst."
Das gefiel Gttokar über die Maßen.
Er nahm das großmüthige An-
erbieten des lieben Freundes an
und machte sich mit Eifer ans
Werk. Auch ließ er sich visiten-
Karten drucken, worauf zu
lesen stand: Gttokar von See-
burg Nach wenigen Jahren
bestand er sein Examen und
konnte sich zu seiner Freude
aberinals Visitenkarten drucken
lassen, worauf zu lesen stand:
Or. Gttokar v. Seeburg. Aber
mit der Praxis wollte es
nicht recht vorwärts, trotz aller
kameradschaftlichen Pilse des Schul-
freundes und älterer Kollegen. Pier durfte
er einmal bei einer Gperatiou die Narkose
»rachen, dort bekam er eine Entbindung zu
gewiesen oder durfte einen Kollegen während der
Sommerferien vertreten — — Das war Alles.
744